Psychologie Die Macht der Zahlen bei der Akzeptanz für Einwanderung

SDA

2.5.2019

Eine Wandtafel anlässlich des «Tages der offenen Tür» zum Schulangebot Asyl von jungen Asylsuchenden im Schulhaus Schädrüti der Stadt Luzern. (Archiv)
Eine Wandtafel anlässlich des «Tages der offenen Tür» zum Schulangebot Asyl von jungen Asylsuchenden im Schulhaus Schädrüti der Stadt Luzern. (Archiv)
Bild: Keystone

Zahlen sind mächtige Mittel der Meinungsmache. Das zeigt einmal mehr eine Studie von Forschenden der Universität Genf. Je nachdem, welche Zahlen man Personen vor einer Befragung vorlegt, sind sie mit hohen oder tiefen Zuwanderungszahlen einverstanden.

Wie viele Zuwanderer pro Jahr sollte die Schweiz aufnehmen? Diese Frage beantworten Befragte sehr unterschiedlich, je nachdem, welche Zahlen man ihnen vorher als Vorschlag vorlegt. Dieser sogenannte «Ankereffekt» ist in der Psychologie schon seit Jahrzehnten bekannt. Mit einer Studie weisen Forschende um Fanny Lalot von der Universität Genf jedoch insbesondere darauf hin, welch grossen Einfluss die in Medien verbreiteten Zahlen auf das Meinungsbild in der Schweiz haben.

Lalot und ihre Kollegen legten je 300 Studienteilnehmenden den angeblichen Vorschlag einer politischen Partei vor, 1000 oder 100'000 Zuwanderer pro Jahr zuzulassen, wie die Universität Genf am Donnerstag mitteilte. Anschliessend befragten sie die Probanden, ob diese Zahl höher oder tiefer sein sollte, und wie hoch genau. Ihre Ergebnisse stellten sie im Fachblatt «Journal of Applied Social Psychology» vor.

Massive Unterschiede

Die Gruppe mit der tiefen vorgeschlagenen Zahl gab im Durchschnitt 20'800 pro Jahr an, die mit der hohen rund sechsmal mehr, nämlich durchschnittlich 126'000. Das unterstreiche die Bedeutung des Ankereffekts, so Lalot.

Die politische Quelle der vorgeschlagenen Zahl spielte zur Überraschung der Forschenden indes eine viel geringere Rolle. Kamen die vorgeschlagenen 1000 Einwanderer pro Jahr angeblich von der SVP, schlugen sie als Zahl rund 20'000 vor, kam die Zahl angeblich von der SP, lag der Durchschnitt der von den Probanden vorgeschlagenen Zahlen bei 15'000. Ähnlich sah es bei den Teilnehmenden aus, die von 100'000 Einwanderern pro Jahr ausgingen. Mit der SVP als Quelle des Vorschlags nannten die Studienteilnehmenden 140'000, mit der SP als Quelle 130'000.

«Das beweist, dass die politische Quelle der Ankerzahl für die Einschätzung der Öffentlichkeit keine Rolle spielt; nur die Ziffer selbst zählt», erklärte Lalot gemäss der Mitteilung.

Hohe Akzeptanz für Zuwanderung

Ebenfalls überraschend war der Befund, dass politisch eher rechts orientierte Studienteilnehmende mit höheren Zahlen antworteten als die ursprünglich vorgeschlagene Ziffer: In der Gruppe mit der Ankerzahl 1000 nämlich 18'000, in der mit 100'000 leicht mehr, nämlich im Schnitt 100'500. Politisch eher links orientierte Probanden antworteten mit 25'000 beziehungsweise 160'000.

Normalerweise antworteten Probanden in der Gruppe mit hohen Ankerzahlen eher mit einer tieferen Ziffer; hier jedoch lag sie höher, betonte Lalot. Möglicherweise sei die Thematik der Grund.

Die Studie zeige, dass die Schweizer Bevölkerung offenbar bereit sei, sogar mehr Einwanderer aufzunehmen als politische Parteien vorschlagen, schrieb die Universität Genf. Insbesondere weise die Studie jedoch auf die Risiken von Abstimmungen hin, die auf Zahlen basieren, da sich die Stimmbevölkerung stark von Zahlen in den Medien beeinflussen lasse.

«Da dies ein wohlbekanntes Prinzip ist, könnten politische Parteien es nutzen, um die öffentliche Meinung zu beeinflussen, indem sie als erste Ziffern kommunizieren, die ihren Interessen am besten dienen», warnt Lalot.

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