Needle Spiking in Nachtclubs «Die Bandbreite an Motiven ist sehr gross»

Von Oliver Kohlmaier

5.8.2022

Rätselhafte Angriffe mit Nadeln oder Spritzen verunsichern Nachtschwärmer*innen. 
Rätselhafte Angriffe mit Nadeln oder Spritzen verunsichern Nachtschwärmer*innen. 
Sebastian Gollnow/dpa

Berichte über mysteriöse Attacken mit Spritzen oder Nadeln schrecken die Szene in Europa auf. Über die Motive der Täter*innen ist so gut wie nichts bekannt. blue News hat bei einem Psychologen nachgefragt. 

Von Oliver Kohlmaier

5.8.2022

In immer mehr Ländern Europas gibt es Berichte über rätselhafte Attacken mit Spritzen oder Nadeln in Nachtclubs oder auf Konzerten.

Bislang ist über die Angriffe noch wenig bekannt, auch die Motive der Täter*innen liegen im Dunklen. Welche dies sein könnten, und warum es sich auch um politische Hintergründe handeln könnte, erklärt der Zürcher Psychologe Felix Hof.

Herr Hof, was können Sie uns über die rätselhaften Attacken in Nachtclubs oder auf Konzerten sagen?

In der Tat lässt sich bei den Berichten bislang häufig nur spekulieren. Neu ist dieses Phänomen jedoch nicht. Als HIV entdeckt worden ist, hat es diese Entwicklung schon in der Drogenszene gegeben. 

Punktuell haben Drogenkonsumenten damals andere Menschen bedroht, also etwa ‹Ich stecke dich mit HIV an, wenn du mir nicht Stoff oder Geld gibst!› Dass Spritzen zu Erpressungszwecken eingesetzt werden, ist also nicht neu.

Zur Person
zVG

Felix Hof ist Psychotherapeut und Psychologe in Zürich. Nach seinem Werkstudium in der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich arbeitete er unter anderem mehrere Jahre als Chefpsychologe des Rekrutierungszentrums Rüti ZH der Schweizer Armee.

Wodurch unterscheiden sich die derzeitigen Vorfälle von damals?

Was neu ist — und dies gibt mir sehr zu denken — dass K.-o.-Tropfen oder ähnliche Substanzen nun offenbar auch mit Spritzen verabreicht werden und nicht wie zuvor in Getränken. 

Zudem handelt es sich offenbar auch um Substanzen, die noch gar nicht identifiziert sind — das macht natürlich noch mehr Angst. Hinzu kommt, dass laut manchen Opferberichten offenbar Nadeln mit einem grossen Durchmesser verwendet wurden, die sehr schmerzhaft sind und  Verletzungen zufügen können.

Es ist alles noch immer sehr mysteriös und nimmt geradezu epidemische Ausmasse an. In Spanien sind mittlerweile rund 50 Anzeigen eingegangen und man geht von einer sehr hohen Dunkelziffer aus. Was sehr interessant ist: Derzeit beschränken sich die Vorfälle vor allem auf Touristenzentren und dort speziell die Clubs.

Es kann durchaus sein — und dies ist auch meine Hypothese — dass die Täter so viel Unsicherheit schaffen wollen, dass die Szenendichte abnimmt — und das schaffen die auch. Vor allem die Frauen sind verunsichert. Damit hätten die Täter auch ein Ziel erreicht.

Also Nadelattacken als politisches Statement gegen den Massentourismus?

Das ist eine meiner Hypothesen, ja. Möglicherweise handelt es sich um Gruppierungen, die dafür sorgen, dass die Verunsicherung so gross wird, dass sich vor allem Frauen dann nicht mehr in den Ausgang trauen. 

Man muss sich vor Augen führen, was für massive Übergriffe dies sind. Die Opfer sind zum Teil wehrlos. Und vor allem die Frauen fragen sich: ‹Bin ich die nächste?›

Unterscheiden sich die Vorfälle in Spanien von jenen in den anderen Ländern?

In der Tat decken sich die Berichte in Deutschland, Frankreich und Grossbritannien nicht mit jenen, die nun aus Spanien kommen, was das Phänomen umso diffuser macht. 

Inwiefern? Welche Motive könnten die Täter*innen dort haben?

Letztlich handelt es sich um Menschen, die anderen Menschen gezielt Angst machen, gezielt Schaden zufügen wollen. Das kann sadistische Motive haben. Die Täter könnten sich am Schaden und am Schmerz anderer erfreuen. 

Vor allem wenn K.-o.-Tropfen oder andere Substanzen im Spiel sind, die andere gefügig machen, könnten die Attacken natürlich auch sexuelle Hintergründe haben. Die Bandbreite an Motiven ist sehr gross.

In Frankreich wurden bei den Opfern zum Teil gar keine Toxine gefunden. Geht es vielleicht nur darum, Angst und Schrecken zu verbreiten?

Mag sein. Allerdings würde ich diese Berichte mit Vorsicht geniessen. Es gibt kurzzeitig wirksame Substanzen, die nicht mehr nachweisbar sind, wenn das Opfer dann untersucht wird. 

Das Motiv der Schmerzzufügung, des Übergriffs, also des grenzüberschreitenden Verhaltens, und der Angstmache — diese Motive scheinen wohl in Deutschland, Frankreich und Grossbritannien stärker ausgeprägt zu sein. 

In allen Ländern sind die Opfer überwiegend Frauen. Spielt Misogynie ihrer Ansicht nach eine Rolle?

Das würde ich so nicht behaupten wollen. Es wird wohl darauf ankommen, ob man möglichst bald Täterinnen oder Täter dingfest machen kann. Über die Täterschaft ist schliesslich noch so gut wie gar nichts bekannt. Die beiden in Frankreich verhafteten Männer könnten nur Einzeltäter sein. 

Es wäre interessant zu wissen, wie sich die Täterschaft zusammensetzt. Gibt es also frauenfeindliche Motive oder handelt es sich um Menschen, die sich daran erfreuen, wenn andere Menschen Schmerz empfinden, Angst haben, beeinträchtigt sind — das kann alles unabhängig vom Geschlecht sein.