Studien-Kritik «Bild» attackiert den deutschen Daniel Koch – und steht dumm da

Philipp Dahm

26.5.2020

Bekommt Kritik, aber noch mehr Zuspruch: Christian Drosten.
Bekommt Kritik, aber noch mehr Zuspruch: Christian Drosten.
Bild: Keystone

«Bild» hat den bekanntesten deutschen Virologen ins Visier genommen: «Brisant» soll der Artikel über Christian Drosten sein, doch wer darin zitiert wurde, hat sich bereits distanziert. 

Christian Drosten ist der deutsche Daniel Koch. Wie der BAG-Experte hierzulande ist Drosten während der Corona-Krise zu einem deutschlandweit bekannten Gesicht geworden. Sogar die «Bild» selbst nennt den 48-Jährigen einen «Star-Virologen» – obwohl das Boulevardblatt doch so gar nicht zu dem Professor der Berliner Charité aufschaut. Im Gegenteil: «Drosten-Studie grob falsch», titelte das Blatt zuletzt, es wirft dem Wissenschaftler «fragwürdige Methoden» vor. 

Drostens Virologie-Institut hat Ende April eine Studie herausgegeben, mit der ihr Chef «total daneben lag», wie «Bild» schreibt. Die Forscher hätten mit Blick auf Covid-19 untersucht, «ob Kinder genauso ansteckend sind wie Erwachsene». Herausgekommen sei, das beide Altersgruppen gleich ansteckend wären – und suggeriert wird, das Papier habe eine frühere Öffnung der deutschen Schulen verhindert.

Dabei würden Forscher aus dem In- und Ausland die Thesen kritisieren, und auch intern habe man bereits Fehler eingeräumt, so «Bild». Zwei Statistik-Professoren widersprechen den gewonnenen Erkenntnissen, ein Wirtschaftsprofessor der New Yorker Cornell University bescheinigt der Studie scheinbar Substanzlosigkeit – und auch ein Wissenschaftler der Universität Zürich kommt zu Wort: Der Epidemiologe Leonhard Held wird zitiert, die Studienergebnisse seien mit Vorsicht zu geniessen.

«Star-Virologe» hat «Besseres zu tun»

«Bild» hat Drosten um eine Stellungnahme gebeten, doch der habe «nicht antworten» wollen und bekundet, er habe «Besseres» zu tun. Doch hier lässt die Zeitung eine wesentliche Information aus: «Bild» hat dem gefragten Experten nämlich erwiesenermassen nur eine Stunde Zeit gegeben, um auf Zitatfetzen zu antworten. Deshalb veröffentlichte Christian Drosten die Anfrage auf Twitter. Dieser Tweet wurde aber von ihm wieder gelöscht, weil persönliche Daten des «Bild»-Reporters in der Anfrage sichtbar gewesen waren. Das ist der Ersatz:

Drosten ist nicht der einzige Forscher, der Mühe mit dem «Bild»-Artikel hat, wie sich mittlerweile herausgestellt hat. Die beiden zitierten Statistik-Professoren haben öffentlich gemacht, nie bewusst mit einem «Bild»-Reporter gesprochen zu haben. Sie wollen auch nicht Teil einer Kampagne gegen den forschenden Kollegen sein, schreiben sie.

Auch Ökonom Jörg Stoye in den USA ist empört. «Als ich heute von dem ‹Bild›-Artikel erfahren habe, habe ich [Drosten] gleich eine E-Mail geschrieben, wie unangenehm mir das ist», entschuldigte sich Stoya im «Spiegel». Auch er habe keinen Kontakt zur Zeitung gehabt. «[Meine Zitate] stammen aus einem Aufsatz, den ich auf Englisch verfasst habe und den ‹Bild› dann recht freihändig übersetzt hat. So stehe ich auf keinen Fall dazu.»

Veto auch aus der Schweiz

Nachdem sich der Schweizer Kollege via Twitter distanziert hat, ist die wissenschaftliche Rückendeckung der «Bild»-Offensive hundertprozentig zusammengebrochen. Selbst die Behauptung, dass das Berliner Team intern Fehler eingeräumt habe, ist falsch: Laut Drosten hat der Reporter einen englischsprachigen Mathematiker überrumpelt.

Als wäre es nicht genug, dass der «Anklage» die Zeugen abhandengekommen sind, hat der Reporter beim Übersetzen der Studie auch noch handwerkliche Fehler gemacht. Die hat übrigens nicht bloss Kinder und Erwachsene im Visier, sondern untersucht die «[Covid-19-]Viruslast in Relation zum Alter».

Kleinkrieg gegen Drosten

«Bild» schiebt der Studie folgende Aussage unter: «Kinder können genauso ansteckend sein wie Erwachsene.» Tatsächlich steht der Satz aber nicht im Indikativ, sondern im Konjunktiv: «Children may be as infectious as adults.» Sprich: «Kinder könnten genauso ansteckend sein wie Erwachsene» – und das brachte die Wissenschaftler zur Warnung vor einer zu frühen Schulöffnung.

«Bildblog» hält ausserdem fest, dass zwei vermeintlich gegensätzliche Forschungsergebnisse sich gar nicht widersprächen: «Miteinander kombiniert sagen die beiden Studien, dass Kinder ein geringeres Risiko als Erwachsene haben könnten, sich anzustecken; aber wenn sie sich angesteckt haben, dann könnten sie genauso infektiös sein wie Erwachsene. Die ‹Bild›-Redaktion kreiert daraus einen Widerspruch, den es nicht gibt.»

Anhand weiterer Beispiele belegt der Blog: «Bild» hat einen veritablen Kleinkrieg gegen Experte Drosten angezettelt. Ob es an dessen früherer Kritik an der häufig oberflächlichen Corona-Berichterstattung lag? Diese zumindest wäre mit dem jüngsten «Bild»-Artikel wohl bewiesen.

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