Bedrohte Arten Der Artenschutz wird zum Corona-Opfer

AP/toko

9.6.2020

Vom Aussterben bedrohte Löwenäffchen im Zoo Zürich.
Vom Aussterben bedrohte Löwenäffchen im Zoo Zürich.
KEYSTONE/ENNIO LEANZA (Archivbild)

Ob seltene Äffchen, bedrohte Nashörner oder gefährdete Tiger: Lockdowns und ausbleibende Einnahmen in der Corona-Krise bremsen Umweltschützer aus und öffnen Wilderern die Türen.

Seit einem Vierteljahrhundert dreht sich für Carlos Ruiz alles um die Rettung der Goldgelben Löwenäffchen. Zum Schutz der seltenen Tiere, die nur in einem kleinen Gebiet im brasilianischen Regenwald zu finden sind, plante der Biologe in diesem Jahr eine Impfaktion. Dann kam Corona.

«Wir haben Sorge, dass sich für uns das Zeitfenster schliesst, in dem wir die Art retten können», sagt Ruiz, der Präsident der Umweltorganisation AMLD, die sich den Goldgelben Löwenäffchen verschrieben hat. Grosse Schutzanstrengungen hatten die bedrohten Affen zunächst so weit gestärkt, dass die wildlebende Population zu Beginn des Jahrtausends wieder auf etwa 1000 Tiere anwuchs. Doch einem Gelbfieber-Ausbruch 2018 fiel dann etwa ein Drittel der kleinen goldbraunen Tiere zum Opfer. Jetzt hatten Ruiz und sein Team vorgesehen, möglichst viele Affen zu immunisieren.



Das Coronavirus machte ihnen einen Strich durch die Rechnung. Erst mussten Mitglieder des Tierschutzteams in Quarantäne, dann schloss die Regierung Mitte April Nationalparks und Schutzgebiete für die Öffentlichkeit und für die Forscher. Damit war die Arbeit von AMLD ausgebremst. «Wir hoffen, dass wir unsere Aufgabe noch erledigen können, bevor eine zweite Gelbfieberwelle kommt», sagt Ruiz.

Schutzlosigkeit der Schutzgebiete

Nicht nur die Zeit macht den Helfern sorgen, sondern auch die Schutzlosigkeit der Schutzgebiete in Zeiten von Corona. Denn während sich die Wissenschaftler und Umweltschützer an die Zugangsbeschränkungen halten, nutzen Wilderer und andere Kriminelle den Lockdown aus, um die Gebiete auszubeuten. Auch im Gebiet der Goldgelben Löwenäffchen sind sich die Forscher sicher, dass illegale Aktivitäten vonstattengehen: Mehrere bewegungssensible Kameras wurden zerschlagen.



Weltweit treibt Umweltbehörden und Artenschützer die gleiche Sorge um. Zur Bekämpfung der Corona-Pandemie wurde Geld umgeleitet, das nun für den Naturschutz fehlt. Und der Tourismus, der sonst zu grossen Teilen Nationalparks mitfinanziert, ist zusammengebrochen. Wo kein Geld für Schutz und Überwachung bleibt, öffnet das Wilderern und illegalen Holzfällern die Türen.

Wissenschaftler und Umweltschützer seien schon früher von Katastrophen ausgebremst worden, etwa von Erdbeben oder Staatsstreichen, sagt Stuart Pimm von der Duke University in Durham im US-Staat North Carolina. «Aber ich kann mich an keine andere Zeit erinnern, in der nahezu jedes Land auf der Erde zeitgleich mit den Auswirkungen derselben grossen Katastrophe konfrontiert war», erklärt der Gründer der Artenschutzorganisation Saving Species.

«Wir verlieren seltene Flora und Fauna»

«Die Situation ist in jedem Land anders, aber dass die Einhaltung der Umweltgesetze weniger überwacht werden kann, trifft alle gleich», bekräftigt Jeremy Radachowsky von der US-Naturschutzstiftung WCS. Die Folge: «Wir verlieren seltene Flora und Fauna.»

In Nepal beispielsweise nahmen der illegale Holzeinschlag und ähnliche kriminelle Machenschaften seit Beginn der Corona-Beschränkungen auf mehr als das Doppelte zu, wie die Regierung und die Umweltorganisation WWF melden. Betroffen seien auch fünf Parks, in denen gefährdete Königstiger leben.

Aus Guatemala berichtet der indigene Umweltschutzverband ACOFOP (Asociación de Comunidades Forestales de Petén), dass viele Feuer gelegt würden, um Land für illegale Viehzucht zu roden. Die Brände, die zu den schlimmsten der vergangenen zwei Jahrzehnte zählen, sind dabei umso schwerer einzudämmen, als die Feuerwehren in die Bekämpfung der Corona-Pandemie einbezogen wurden.

Auch viele afrikanische Nationalparks mit ihren Nashörnern und Elefanten schlagen Alarm. Ohne die Safari-Urlauber und deren Nationalparkgebühren bleiben die Kassen leer. «Der gesamte internationale Touristensektor wurde Mitte März praktisch über Nacht eingestellt», sagt Peter Fearnhead von der Organisation African Parks, die eine Reihe von Schutzgebieten in insgesamt elf Ländern betreibt. Und auch im kommenden Jahr könnte der Ökotourismus vielleicht nur die Hälfte des üblichen Aufkommens erreichen, schätzt Fearnhead – mit möglicherweise unwiederbringlichen Folgen: «Ein Schutzgebiet, das nicht aktiv gemanagt wird, geht verloren.»


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