Der Fall «Anna Delvey» Wie sich eine falsche Erbin in die New Yorker High Society einschlich

dpa

25.4.2019

Sie liess sich teure Geschenke machen, Restaurantbesuche bezahlen und erschlich sich mit ihrem Selbstbewusstsein viele Millionen Kredit: Nun steht die Hochstaplerin Anna Sorokin vor Gericht. Eine filmreife Geschichte.

Wenn Reporter über einen Gerichtsprozess berichten, dann rücken sie normalerweise nicht unbedingt die modisch hochwertige Kleiderwahl der Angeklagten in den Mittelpunkt. Andererseits: Was war schon normal an der Verhandlung gegen die mutmassliche Hochstaplerin Anna Sorokin, die am Dienstag zu Ende ging? Nun steht das Urteil an.

Da ist zuallererst der hohe Glamour-Faktor: Statt unter richtigem Namen soll die in Russland geborene und später in Eschweiler bei Köln lebende Frau in den USA eine Identität als «Anna Delvey» erfunden haben. Über Jahre soll sie erzählt haben, eine Erbin mit deutschem Millionenvermögen im Rücken zu sein, die während ihrer Abenteuer mit superreichen Freunden angeblich immer nur mal gerade eben kein Geld dabei hat oder auf die nächste Überweisung von daheim wartet.

«Das sind verdammt viele M&Ms»

Von ihren neuen reichen Freunden, die sie für ihresgleichen hielten, lieh sich Anna Sorokin immer wieder Geld.
Von ihren neuen reichen Freunden, die sie für ihresgleichen hielten, lieh sich Anna Sorokin immer wieder Geld.
Bild: Keystone

Egal ob Restaurantbesuche, Hotelzimmer, Flüge oder extravagante Geschenke: Die Freunde sprangen verlässlich ein, so dass es am Ende vor Gericht um Erschlichenes im Wert von 275'000 Dollar ging, die sich die 28-Jährige in der New Yorker High Society geborgt haben soll. Zur Debatte steht ausserdem, ob Delvey wirklich den edlen New Yorker Privatclub plante, für den sie Kredite in Höhe von insgesamt 22 Millionen Dollar eingesammelt hat.

Zum Zweiten umgibt den Fall die typische Häme gegen die gutgläubigen, oft superreichen Opfer. Wie ein weiblicher Robin Hood für das Instagram-Zeitalter soll Delvey nur von den Reichen und Schönen der New Yorker High Society genommen haben. Als das «New York Magazine» im Mai 2018 ausgiebig den Fall aufrollt, ist darin die Rede von 7000-Dollar-Übernachtungen mit Privatbutler in Marokko oder Strähnchen für 800 Dollar – eine Welt, für die sich das Mitgefühl vieler in Grenzen hält. Vor Gericht geht es an einer Stelle um eine Minibar-Rechnung von 675 Dollar. «Das sind verdammt viele M&Ms», sagte Anklägerin Catherine McCaw dazu laut «Rolling Stone» trocken.

Verteidigungstaktik nach Frank Sinatra

Ob Anna Sorokin und ihr Anwalt Todd Spodek ihre Verteidigungsstrategie selbst ernst nehmen können?
Ob Anna Sorokin und ihr Anwalt Todd Spodek ihre Verteidigungsstrategie selbst ernst nehmen können?
Bild: Keystone

Dann ist da zum Dritten die Dreistigkeit, mit der Sorokin und ihr Anwalt Todd Spodek vor Gericht auftraten. Er argumentierte zum Abschluss am Dienstag, dass sich Sorokin von Anfang an eigentlich nur habe Zeit kaufen wollen. Dass sie immer beabsichtigt habe, ihre astronomischen Schulden bald zurückzuzahlen. Sie sei dabei auch von einem «System befähigt worden, das Leute mit Geld oder dem Anschein von Geld begünstigt», meinte Spodek.

Und überhaupt, letztlich sei sie ohnehin nur so vorgegangen, wie einst in «New York, New York» besungen. «Sinatra hat in New York einen brandneuen Start hingelegt, genauso wie Miss Sorokin», sagte er laut «New York Post». Die Anklage sieht das anders und betont, dass Sorokin über Monate hinweg nicht nur eine andere Identität angenommen, sondern ganz gezielt mehrfach gelogen und angebliche Überweisungen erfunden haben soll.

Fashionshow im Gerichtssaal

Weiss wie die Unschuld? Ganz sicher nicht.
Weiss wie die Unschuld? Ganz sicher nicht.
Bild: Keystone

Und schliesslich ist da noch Sorokins ständig zur Schau getragenes schillerndes Selbstbewusstsein. Das mündete eben nicht nur in der eindrucksvollen Kleidung, die immer auch ein Signal gesendet hat – beispielsweise durch den unschuldigen weissen Stoff am letzten Verhandlungstag – und die sogar dazu führte, dass Witzbolde den Instagram-Account «annadelveycourtlooks» mit Bildern ihrer Kleider starteten.

Ihr Anwalt befürchtete, dass die üblichen braungrauen Overalls des berüchtigten Rikers-Gefängnisses im Norden New Yorks sie schuldig aussehen liessen, berichtete das Modemagazin «GQ». Die über dem Knie endenden Kleider in Schlangenmuster und weissen Hemden zur schwarzen Capri-Hose stünden für ein Kalkül, das bei Männern, die im Anzug vor Gericht erscheinen, auch oft aufgehe.

Netflix hat schon angeklopft

Wenn es nach Anna Sorokin geht, übernimmt Jennifer Lawrence die Hauptrolle in ihrem Biopic.
Wenn es nach Anna Sorokin geht, übernimmt Jennifer Lawrence die Hauptrolle in ihrem Biopic.
Bild: Keystone

Nein, auch die Nachricht, dass der Streamingdienst Netflix sich die Rechte an ihrem Fall gesichert hat, sorgte bei der Betroffenen für eine eher unbescheidene Reaktion. Sie sprudelte aus dem Gefängnis heraus einige Besetzungsideen: Entweder Oscar-Preisträgerin Jennifer Lawrence oder Shootingstar Margot Robbie könne sie sich gut in der Hauptrolle vorstellen.

Welches Ende der Film nehmen wird, ist dagegen noch unklar. Die Verhandlung ist nun vorüber, aber wie lange die Geschworenen für ein Urteil brauchen, war diese Woche nicht in Erfahrung zu bringen. Bei einer Verurteilung drohen Sorokin mehrere gänzlich unspektakuläre Jahre in Haft und unabhängig davon die Abschiebung nach Deutschland – ihr 90-tägiges Besuchervisum in den USA ist schon lange abgelaufen.

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