Untote MachtEinbalsamierungsinstitut in Moskau – Lenin frisch halten
von David Eugster
1.5.2019
1924 starb Lenin, der Anführer der russischen Revolution. Um seinen Körper für die Ewigkeit zu erhalten, gründete sein Nachfolger Josef Stalin das Moskauer Einbalsamierungsinstitut – das sich bis heute weltweit um die mächtigen Leichen des Kommunismus kümmert.
Lenins Nase wurde schwärzer und schwärzer, Flecken übersäten sein Gesicht, das langsam vollkommen auszutrocknen drohte. Der russische Revolutionsführer war nun, im März 1924, seit bald zwei Monaten tot. Bisher hatte ihn die russische Kälte einigermassen konserviert. Doch die Versuche des «Ausschusses für die Verewigung des Andenkens an Lenin», die Verwesung zu stoppen, waren eher kontraproduktiv gewesen.
Die Gruppe von sowjetischen Apparatschiks aus der kommunistischen Partei hatte Lenin Formaldehyd und Alkohol injiziert, die Hälfte der Flüssigkeit war aber wieder aus der Leiche ausgetreten. Und die Zeit drängte: Lenins Leiche lag bereits in einem provisorischen, aus Holz zusammengezimmerten Mausoleum auf dem Roten Platz – er durfte nicht in aller Öffentlichkeit verfaulen.
Vom Revolutionär zur Reliquie
Im Oktober war Lenin zum letzten Mal im Kreml, dem Sitz der sowjetischen Regierung, gewesen – dies in schlechter körperlicher Verfassung. Josef Stalin war sein Nachfolger als Generalsekretär des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei der Sowjetunion und damit künftiger Regent des Riesenreichs. Dieser setzte gleich nach dem Besuch Lenins in einer geheimen Sitzung durch, dass der Revolutionär nach seinem Tod mumifiziert werden sollte. Das war das ziemlich genaue Gegenteil dessen, was sich Lenin wünschte.
Bereits wenige Tage nach dem Tod Lenins forderte Lenins Witwe, man solle jede pompöse Anbetung ihres Mannes unterlassen: «Wenn ihr das Andenken an Wladmir Iljitsch Lenin in Ehren halten wollt, dann baut Kinderkrippen, Kindergärten, Häuser und Krankenhäuser.» Auch die anderen Teilnehmer der Geheimsitzung empörten sich über Stalins Idee, Lenins Körper für die Ewigkeit zu präparieren: Das erschien ihnen schlicht als zu religiös für einen kommunistischen Politiker. Doch genau darum ging es Stalin: Er wollte die fromme Landbevölkerung erreichen, indem er aus dem Revolutionär eine Reliquie macht.
Entstehung des Instituts
Trotz des schlechten Zustands von Lenins Leiche hielten sich Wissenschaftler lange zurück. Sie fürchteten sich davor, sich mit Stalin einzulassen, wussten sie doch, dass bei einem Scheitern der Tod oder Schlimmeres folgen konnte. Erst als die Nase Lenins in einen fortgeschrittenen Verwesungszustand eintrat, erhielten zwei Biochemiker Zugang zur berühmten Leiche.
Einer der Wissenschaftler war Boris Zbarski. Sein Sohn, Ilyas, der seinen Vater später im Mausoleum unterstützte, erzählt in seiner Autobiografie «Lenin und andere Leichen» seine Geschichte – und jene des Instituts, das sich um Lenin seither kümmert. Im Moskauer Einbalsamierungsinstitut war ab 1924 ein Heer von Gewebeforschern, Anatomen, Biologen und Chemikern für Lenin zuständig. Auf dem Höhepunkt beschäftigte das Institut 200 Leute.
Wie konserviert man Leichen?
Im Schatten der grossen Leiche konnte sogar unter Stalins Terrorregime in den 1930er Jahren einiges freier geforscht werden als sonst wo im Land, beispielsweise zu Zellkernen. Denn man betrat mit der Mumifiziereung Lenins Neuland. Das Wissenschaftler-Team experimentierte an Lenins Leiche. Dabei kam es auch zu Fehlern. So übergoss man seine Füsse mit heisser Gelatine, was dazu führte, dass sie schwarz und unförmig wurden und rekonstruiert werden mussten. Regelmässig fielen Hautfetzen ab, und Dellen entstellten das Gesicht. Ab und an musste man improvisieren, so setzte man ab einer gewissen Zeit nach Lenins Tod auf künstliche Wimpern.
Der Biologe Yuri Lopukhin, der seit den 1940er Jahren am Institut arbeitete, bezeichnete seine Arbeit einmal als eine Mischung aus Kunst und Biologie. Das genaue Verfahren, wie Lenin einbalsamiert und gepflegt wurde, wurde der Öffentlichkeit jedoch nie bekannt gemacht. Man weiss aber, dass die Leiche ungefähr ein halbes Jahr in eine Flüssigkeit eingelegt wurde, die das Wasser in den Zellen ersetzte. Lenins Glieder sind durch das Prozedere immer noch beweglich und vollständig.
Kompetez-Zentrum für politische Leichen
Das Institut, das an Lenins Mausoleum angegliedert war, entwickelte sich im Kalten Krieg zunehmend zu einem sozialistischen Kompetenz-Zentrum für die Haltbarmachung von politischen Leichen. Fast alle kommunistischen Führer, die sich für die Ewigkeit erhalten wollten, sind von Mitarbeitern des Instituts bearbeitet worden – einzig Mao-Tse-Tung wurde von chinesischen Wissenschaftlern selbst konserviert.
Auch Stalin wurde nach seinem Tod 1953 im Mausoleum auf dem Roten Platz aufgebahrt, neben Lenin. Doch 1961 wurde er aufgrund seiner Verbrechen zur Persona non grata erklärt. Man beerdigte seine Leiche hinter Lenins Mausoleum – er wurde der Ewigkeit für unwürdig befunden.
Die Praxis der Einbalsamierung blieb bei kommunistischen Führern auch nach der Stalin-Ära beliebt: So wurde Ho Chi Minh, der Führer Vietnams, 1969 inmitten der Wirren des Vietnamkrieges einbalsamiert, und auch die weniger bekannten kommunistischen Führer von Angola und Guyana wünschten sich das Lenin-Makeover. Selbst nach dem Fall der Sowjetunion wurden noch Aufträge angenommen: So hat man 1994 Kim il Sung und 2012 Kim Jong Il, die Führer von Nordkorea, für die Ewigkeit präpariert.
Nach dem Fall kamen die Gangster
Auch wenn ab und an noch Aufträge zur Einbalsamierung von Herrschern eintrafen – für das Institut wurde es nach 1991 schwieriger. Die Unterstützung, von der man während des Sowjetregimes profitiert hatte, wurde nach dem Fall des Kommunismus empfindlich gekürzt. Doch die ökonomische Schocktherapie nach 1991 spülte eine neue Schicht von zwielichtigen Figuren hervor, die sich noch nach dem Tod als Herrscher gebärden wollten.
Eine Zeitlang hielt sich das Institut mit einem neuen Geschäftsfeld über Wasser: dem Zusammenflicken und Präparieren von zusammengeschossenen Mafiosi und grössenwahnsinnigen Bankern. Dazu kamen Spenden, die die Kommunistische Partei Russlands gesammelt hatte. Seit einigen Jahren soll auch wieder mehr Geld vom Staat ins Institut fliessen: Schätzungen von 2016 zufolge lässt sich der russische Staat die Leichenbetreuung fast 200'000 Dollar jährlich kosten.
Wladimir Putin schiebt die Beerdigung Lenins weiter auf. Manche meinen, er wolle die Entscheidung vermeiden, um die kommunistischen Wähler nicht zu verärgern – und Lenin nicht posthum zu einem heldenhaften Märtyrer machen. Als der russische Potentat 2012 gefragt wurde, ob das Ausstellen eines unbeerdigten Körpers denn nicht gegen religiöse Traditionen in Russland verstosse, sagte er mit einem Lächeln: Er sehe da kein Problem, schliesslich hätte man auch die grossen Heiligen nach ihrem Tod öffentlich gezeigt. Da war er mit Stalin ganz auf einer Linie.
Untote Macht
Wenn Mächtige sterben, betreibt man immer einen grösseren Aufwand, um sie zu verabschieden. Für Lady Di wurden beispielsweise 10'000 Tonnen Blumen niedergelegt. Aber manche Mächtige gelten als so unentbehrlich, dass man sie gar nicht gehen lassen will. Sie werden mumifiziert, in Mausoleen verehrt und beschäftigen noch als Tote die Nachwelt. Um Anekdoten aus der Geschichte dieser untoten Macht dreht sich diese Reihe.
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