Australien Warum sterben plötzlich mehr Menschen durch Haiattacken?

tafu

19.10.2020

Vor Australiens Küste sterben immer mehr Menschen durch Haiangriffe. Doch warum?
Vor Australiens Küste sterben immer mehr Menschen durch Haiangriffe. Doch warum?
Bild: Keystone

Immer mehr Menschen kommen in Australien durch Haiangriffe ums Leben. Während manche Forscher einfach nur von Zufall sprechen, sehen andere vor allem einen Grund für die Häufung: den Klimawandel.

Angriffe von Haien auf Menschen kommen in Australien immer wieder vor. Erst Anfang Oktober wurde ein Surfer nach einer mutmasslichen Attacke vermisst – das Surfbrett wurde gefunden, der Körper des Mannes konnte bis heute nicht geborgen werden.

Der Surfer setzt damit einen traurigen Rekord: Er ist das siebte Opfer eines Haiangriffs in diesem Jahr – die höchste Zahl seit 1934. Zuletzt wurden so viele tödliche Attacken vor 86 Jahren registriert, wie ein Sprecher der Taronga Conservation Society Australia nach Berichten von CNN mitteilte. Lediglich fünf Jahre zuvor wurde diese Zahl noch übertroffen: 1929 starben neun Menschen nach Angriffen durch Haie.



Tatsächlich sei 2020 in Australien in dieser Hinsicht ein Ausreisser, erklärt Culum Brown von der Macquarie University in Sydney. Der Durchschnitt der tödlichen Angriffe beläuft sich auf einen pro Jahr – und diese Zahl sei die letzten 50 Jahre stabil geblieben. Dabei sei auffällig, dass die Zahl der Angriffe an sich nicht gestiegen sei, die Veränderung liege vor allem in der Todesfallrate.

Ist der Klimawandel schuld?

Doch warum kommt es vermehrt zu tödlichen Attacken durch Haie? Verschiedene Experten schreiben dies einfach nur dem Zufall zu oder bezeichnen es als Pech, denn die jährlichen Zahlen würden immer wieder schwanken.

Allerdings könnte auch ein anderes Phänomen der Übeltäter sein: der Klimawandel. Durch die Erwärmung der Meere verändern sich die Ökosysteme, werden sogar komplett zerstört. Fische wandern in Gebiete, in denen sie sich nie zuvor aufgehalten haben, das Verhalten der verschiedenen Spezies ändert sich. Mit der Veränderung der Meereswelt verändert sich auch das Verhalten der Haie: Sie folgen ihrer Beute und bewegen sich näher an die Küsten, welche besonders beliebt bei Menschen sind.

«Ich habe viel Zeit in Booten vor der Küste verbracht und ich erinnere mich an kein Jahr, in dem ich so viele Ansammlungen von Köderfischen so nah am Strand gesehen habe», erklärt Brown. Und auch wenn Forscher sich noch nicht ganz sicher sind, was diese Bewegungen verursacht, gebe es doch keinen Zweifel daran, dass die Haie ganz einfach darauf reagieren, wo sich ihre Beute, also die Köderfische, hinbewegt.

Damit einhergehend könnten steigende Wassertemperaturen die Ursache dafür sein, dass sich die Haie vermehrt in Küstennähe aufhalten. Meeresströmungen, besonders der Ostaustralstrom, bringen mehr warmes, tropisches Wasser in Küstennähe. Da die Strömung intensiver ist, treibt sie ausserdem kaltes, nährstoffreiches Wasser zu einigen östlichen Ufern. Diese Verschiebung der Wassertemperaturen sorgt dafür, dass sich Haie mehr in Menschennähe begeben.



Jagdgebiete verändern sich

Besonders der Bullenhai fühlt sich am wohlsten im warmen Wasser, erklärt Robert Harcourt, Direktor der Forschungsgruppe für Raubfische an der Macquarie University. Somit halte sich der Bullenhai häufiger in den wärmeren südlicheren Gewässern auf. Weisse Haie bevorzugen niedrige Temperaturen und begeben sich dort in Ufernähe, wo es in Kaltwassertaschen reichlich Beute zu holen gibt. Tigerhaie, die normalerweise höher im Norden anzutreffen sind, wagen sich inzwischen aufgrund der Strömungen weiter Richtung Sydney.

Diese drei Haiarten – Bullenhai, Weisser Hai und Tigerhai – seien hauptsächlich für die tödlichen Attacken verantwortlich. «Sie werden potenziell mehr mit Menschen in Kontakt kommen, gleichzeitig nimmt die menschliche Nutzung des Ozeans ständig zu», so Harcourt.



Die Zahl der tödlichen Angriffe durch Haie sei vor allem auch darum alarmierend, weil durch moderne Technologie, schnellere Reaktionen auf Notrufe sowie verbesserte medizinische Versorgung die Todesfallrate im letzten Jahrzehnt deutlich gesunken war, so Harcourt.

Auch Glück und Zufall spielen eine Rolle

Neben dem Klimawandel gebe es allerdings auch weitere Erklärungsmöglichkeiten für die steigenden Zahlen. «Es gelang uns in den letzten Jahren, mehrere Menschen allein durch das Glück zu retten, dass wir jemanden vor Ort hatten, der qualifiziert ist, die schwere Verletzung sofort zu verarbeiten», erklärt Culum Brown.

Auch an welcher Körperstelle genau das Opfer gebissen wird, spiele eine entscheidende Rolle. «Einen Zentimeter nach links, wenn Sie ins Bein gebissen werden, und Sie können innerhalb von Sekunden oder Minuten sterben», erklärt Harcourt. Einen Zentimeter weiter nach rechts und man habe vielleicht eine schreckliche Narbe und viele Schmerzen, doch die Chance zu überleben, sei wesentlich grösser.

Ein weiterer Faktor, der eine Rolle spiele, sei auch das durch die Coronapandemie verstärkt genutzte Homeoffice sowie die hohen Temperaturen. Die Menschen verbringen mehr Zeit zu Hause und haben so mehr Zeit, sich im Meer abzukühlen. Auch das erhöhe die Chance, einem Hai zu begegnen.



Eines ist klar: Die Welt verändert sich

Die Wissenschaftler Harcourt und Brown geben allerdings zu bedenken, dass die Zahlen ganz einfach wirklich nur auf Pech zurückzuführen sein könnten. Die Todesfallrate beziehe sich nur auf ein Jahr. Da sie von Jahr zu Jahr schwanken könne, sei es schwer zu sagen, ob nun der Klimawandel oder andere Ursachen der Grund für die vermehrten tödlichen Attacken seien.

In einer Sache sind sich die Forscher dennoch einig: Der Ozean verändert sich und mit ihm die Haie. «Man kann keine Schlüsse aus irgendetwas ziehen, das auf nur einem Jahr beruht, aber es besteht kein Zweifel, dass wir uns definitiv in eine Periode des Unbekannten begeben», steht für Brown fest. Alles, was wir bisher über die Verbreitung von Arten und wie wir mit ihnen interagieren wissen, könne man vergessen. «Was auch immer in der Zukunft kommen mag, wird neu sein.»

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