Politiker und Hunde Politiker und Hunde: Eine Liebe mit Hintergedanken

DPA/tjb

7.9.2019

Dilyn heisst der neueste Bewohner von Downing Street Nr. 10 – Boris Johnson hat den Jack Russel Terrier mitten in der tiefsten politischen Krise adoptiert.
Dilyn heisst der neueste Bewohner von Downing Street Nr. 10 – Boris Johnson hat den Jack Russel Terrier mitten in der tiefsten politischen Krise adoptiert.
Bild: DPA/PA Wire/Dominic Lipinski

Ausgerechnet auf dem Höhepunkt des Brexit-Dramas hat sich der britische Premier Boris Johnson einen Hund aus dem Tierheim zugelegt. Sein Vorgehen hat eine lange Tradition – und ist kaum ohne Hintergedanken.

Nie zuvor in seiner politischen Laufbahn stand Boris Johnson dermassen im Kreuzfeuer der Kritik wie diese Woche. Und ausgerechnet jetzt schafft sich der britische Premierminister einen neuen Mitbewohner für Number 10 Downing Street an: Helfer trugen einen 15 Wochen alten Jack Russell Terrier gut sichtbar zu der berühmten schwarzen Tür. Johnson und seine Freundin Carrie Symonds hätten ihn aus einem Tierheim adoptiert, hiess es dazu.

Kaum ein Zufall

Ein Hundezüchter habe den armen Dilyn aussortiert, weil er ein schiefes Gebiss habe und deshalb unverkäuflich sei, wussten britische Medien zu berichten. Ein Sprecher aus der Downing Street sagte: «Der Premierminister war immer ein leidenschaftlicher Anhänger des Tierschutzes und war immer überzeugt, dass Tiere einen guten Start ins Leben brauchen.»

Es sei wohl kein Zufall, dass sich Johnson den Hund gerade jetzt angeschafft habe, vermutet der Kommunikationswissenschaftler Joachim Trebbe von der Freien Universität Berlin. Die unterschwellige Botschaft: Allen Härten im Brexit-Drama zum Trotz – wer sich eines Hundes mit schiefen Zähnen annimmt, kann kein schlechter Mensch sein. «Wobei hier vielleicht gar nicht mal so sehr der Hund im Vordergrund steht als vielmehr das Tierheim. Es geht darum, die menschliche, mitfühlende Seite herauszustellen. Dafür hätte er auch ein Krankenhaus besuchen können.»

Perspektivenwechsel

Wenn man erstmal davon ausgeht, dass Politiker normale Menschen sind, gibt es natürlich eine gewisse Grundwahrscheinlichkeit, dass der eine oder andere auch einen Hund hat. Dass mitunter mehr dahinter steckt, lässt sich aber schon daraus ableiten, dass Politiker ihre Tierliebe oft sehr bewusst öffentlich machen. So besass der Hund des früheren US-Präsidenten George W. Bush, Terrier Barney, eine eigene Seite auf dem Internet-Auftritt des Weissen Hauses. In Deutschland hat Attila, der Hund des thüringischen Ministerpräsidenten Bodo Ramelow (Linke), einen Twitter-Account, der massgeblich von dessen italienischer Ehefrau gepflegt wird.

«Das ist natürlich eine spannende Idee, aus der Sicht eines Hundes die Arbeit des Ministerpräsidenten zu kommentieren», meint der Hamburger Politikberater Martin Fuchs. «Ich fand es gerade dann extrem smart, wenn er politische Aussagen und Aktivitäten kommentiert hat. Wenn er sich zum Beispiel beschwert hat, dass sein Herrchen schon wieder so lange nicht zuhause war. Eigentlich eine Kritik an seinem Herrchen, die dann aber zeigt: Der Typ reisst sich für Thüringen den Arsch auf.»

Das Ganze stehe in einem grösseren Zusammenhang, erläutert Prof. Trebbe: «Wir wissen aus der Entwicklung der sozialen Medien, dass es dort eine Tendenz gibt zur Preisgabe privater Informationen, um neben der politischen Kompetenz auch eine Sozialkompetenz zu vermitteln. So nach dem Motto: ‹Schaut mal her, ich bin ein Mensch wie ihr, ich habe einen Hund und hole ihn sogar aus dem Tierheim.› Damit macht man natürlich Punkte.»

Keine neue Idee

Diese Selbstinszenierung mit Haustier reicht Jahrhunderte zurück. Viele Könige und Kaiser liessen sich mit ihren Hunden porträtieren. Der vierbeinige Liebling des niederländischen Nationalhelden Prinz Wilhelm von Oranien (1533-1584) wurde nach dessen Tod sogar in Marmor gehauen: Als Teil eines pompösen Grabdenkmals in der Neuen Kirche von Delft ruht er auf ewig zu Füssen seines Herrchens.

Mops Pompey soll Oranien sogar einmal das Leben gerettet haben: Der Prinz schlief, während sich seine Feinde näherten. Da weckte ihn das aufmerksame «hondje», so dass er sich in Sicherheit bringen konnte. Oranien galt bezeichnenderweise als extrem erfolgreicher Propagandist in eigener Sache, der das neue Medium der gedruckten Flugschrift für seine Zwecke zu nutzen verstand.

Wöadimir Putin brachte einst Koni, seinen schwarzen Labrador, mit zu einem Treffen mit Angela Merkel – von deren Hundeangst habe er nichts gewusst, beteuerte der russische Herrscher damals.
Wöadimir Putin brachte einst Koni, seinen schwarzen Labrador, mit zu einem Treffen mit Angela Merkel – von deren Hundeangst habe er nichts gewusst, beteuerte der russische Herrscher damals.
Bild: DPA/EPA/Dmitry Astakhov

Das Image des Hundes ist dabei nicht immer gleich. Es gibt den süssen Hund und den grossen, gefährlichen. Der russische Präsident Wladimir Putin bereitete der deutschen Kanzerlin Angela Merkel vor einigen Jahren mit seiner Labrador-Hündin Koni eine unangenehme Überraschung. Angeblich wusste er nichts von der Hunde-Angst der Kanzlerin. «Hunde haben auch eine Macho-Tradition», sagt Trebbe. «Sie kommen ja von der Jagd zum Menschen. Dass sich Politiker, die sich etwas auf ihre männlichen Qualitäten zugutehalten, mit grossen Hunden schmücken, soll ihre Stärke unterstreichen.»

Im Fall von Boris Johnson ist sich Trebbe übrigens nicht sicher, ob die Anschaffung von Dilyn wirklich ein geschickter Schachzug war. «Es könnte auch gefährlich sein, denn es gibt in der Downing Street bereits seit langem den Kater Larry, der sehr populär ist.» Auf Twitter hat er 323’000 Follower. «Angeblich zeigt sich Larry seit dem Amtsantritt von Boris Johnson seltener. Wenn sich das bestätigen sollte, könnte man am Ende noch sagen: ‹Jetzt hat er sogar die nette Katze vergrault.›»

Bilder des Tages
Zurück zur Startseite