Kaum Nachschub Kein Koks in der Krise – wie das Coronavirus Dealer belastet

AP/tafi

12.5.2020

Die Polizei kennt auch die letzten Tricks: Auch Drogendealer bekommen die Auswirkung der Corona-Pandemie zu spüren. (Symbolbild, Archiv)
Die Polizei kennt auch die letzten Tricks: Auch Drogendealer bekommen die Auswirkung der Corona-Pandemie zu spüren. (Symbolbild, Archiv)
KEYSTONE/DPA/C4494/_Paul Zinken

Die Corona-Pandemie stört das Geschäft mit Drogen: Es gibt kaum Nachschub, die üblichen Verkaufsplätze werden streng kontrolliert. Und nun kennt die Polizei auch noch den neuesten Liefertrick.

Unsichere Lieferketten, strengere Kontrollen und Kunden mit finanziellen Sorgen: Die Corona-Krise bereitet Selbstständigen in ganz Europa Probleme. So ergeht es auch Jerry in der belgischen Hauptstadt Brüssel. Der junge Mann arbeitet zwar nicht auf dem legalen Markt, steht aber vor den gleichen Herausforderungen wie andere Selbstständige: Entweder er sich eine andere Beschäftigung, oder er passt sich den neuen Gegebenheiten an.

Jerry verkauft Kokain, Marihuana und Ecstasy. «Der Lockdown nervt richtig», sagt er. Seinen richtigen Namen will er nicht nennen, verrät aber, dass er 2016 aus Albanien nach Brüssel kam und seitdem mit Drogen handelt.

«Es ist stressig. Weil die Polizei patrouilliert, kann man nachts nicht mehr dealen.» Die Gefahr, auf den einsamen Strassen entdeckt zu werden, sei einfach zu gross. Der Dealer hat sich deshalb an seine Kunden angepasst und in seinem WhatsApp-Profil seine Geschäftszeiten aktualisiert – in drei Sprachen.

Nur noch bis 21 Uhr bietet er seine Waren an, danach muss auch er die Ausgehbeschränkungen einhalten. Um diese Zeit läuft das Geschäft normalerweise noch, aber die Schliessung von Bars und Clubs hat die Konsumgewohnheiten seiner Kunden verändert.

Die Polizei kennt die Tricks

In den vergangenen Jahren haben Dealer ihre Waren verstärkt mit Fahrrädern zum Kunden gebracht und dabei so getan, als wären sie für einen der zahlreichen Lieferdienste unterwegs. Die Drogen – Kokain, Marihuana, Ketamin und Ecstasy – waren dabei unter ihren Helmen versteckt. Jerry war das damals schon zu riskant, weshalb er einen Kurier anheuerte, der die Auslieferung für ihn übernahm.

Doch auch dieser Trick ist inmitten der Pandemie zu gefährlich geworden, die Polizeibehörde Interpol legte ihn vor Kurzem offen. Die Polizei ist seither dazu übergegangen, die Fahrradkuriere darauf zu kontrollieren, ob sie die offizielle App eines Lieferdienstes auf ihrem Handy haben, wie Jerry erklärt.

Auch in Frankreich hat die Polizei Veränderungen im Drogenhandel bemerkt. In den Wochen nach Verhängung von weitgehenden Ausgehverboten am 17. März nutzten Dealer kaum noch die üblichen Routen, um importierte Drogen quer durchs Land zu fahren, wie die Zeitung «Le Monde» unter Berufung auf ein Polizeidokument berichtete.

Kuriere etwa, die Kokain aus Französisch-Guayana ins Land schmuggelten, seien kaum noch zu finden. Stattdessen bleibe zum Beispiel Cannabis in grossen Mengen in Marokko und Spanien hängen, ohne nach Frankreich weitertransportiert zu werden, berichtete «Le Monde».

Bestellung an der Hauswand

Das ist nichts Neues für die Strassendealer in Lyon. Die zweitgrösste Stadt Frankreichs ist ein wichtiger Knotenpunkt für den Schmuggel von Cannabis und Kokain. In einem Quartier des sozialen Wohnungsbaus in der Region Vénissieux bleibt der Stuhl leer, der abwechselnd von Marihuana-Dealern genutzt wird, um Kunden zu begrüssen und Bestellungen anzunehmen. Stattdessen werden die Preise für verschiedene Mengen nun handschriftlich an der Wand eines Mehrfamilienhauses notiert – ähnlich einer Tafel mit den Tagesgerichten vor einem Restaurant.

Die Dealer ziehen sich für die Transaktionen mit ihren Kunden in Gebäudeeingänge oder Treppenhäuser zurück und meiden die offenen Strassen. Ein junger Mann, der sich mit Gummihandschuhen vor einer Infektion mit dem Coronavirus schützen will, erzählt, dass viele Kunden sich zu Beginn der Krise einen Vorrat angelegt hätten und die Nachfrage nun zurückgegangen sei.

Studie bestätigt sinkenden Verbrauch

Mehr als einen Monat nach Beginn der Restriktionen in Belgien berichtet auch Jerry von einem nachlassenden Geschäft. Diesen Eindruck bestätigt die Universität von Louvain, die mehr als 10'000 Menschen in Belgien befragte. Danach gaben 52 Prozent der Marihuana- und 75 Prozent der Kokainkonsumenten an, ihren Verbrauch wegen der Einschränkungen reduziert zu haben.

Jerry geht davon aus, dass in seinem Fall die Auswirkungen der Beschränkungen auf die Sex-Arbeit eine grosse Rolle spielen. Prostitution ist in Belgien nicht illegal, aber derzeit wegen der vorgegebenen Abstandsregeln verboten. Die Sex-Arbeiterinnen kauften darum weniger Kokain, erklärt er.

In diesen europäischen Städten wird am meisten Kokain konsumiert

Weniger Ware, höhere Preise

Im Gegensatz zu Millionen Menschen, die ihre legale Arbeit verloren haben oder Einkommenseinbussen hinnehmen müssen, konnte Jerry sein Einkommen halten, wie er erklärt. Normalerweise verdient er rund 4'000 Euro pro Monat mit dem Verkauf von 200 Gramm Kokain und einem Kilogramm Marihuana. «Bisher geht es mir gut», sagt er. «Selbst wenn die Ware in den kommenden Wochen knapp wird, weiss ich, woher ich Nachschub bekomme.»

Das könnte allerdings bald schwieriger werden. Flugreisen sind weltweit eingeschränkt, was sich auch auf den Drogenhandel auswirkt. Das Büro der Vereinten Nationen für Drogen- und Verbrechensbekämpfung teilte vor Kurzem mit, Kokain werde weiterhin über die europäischen Seehäfen eingeschmuggelt. Die Pandemie behindere jedoch den Transport per Flugzeug.

Vor Beginn der Pandemie kostete ein Gramm Kokain in Brüssel und Paris zwischen 50 und 80 Euro. Jerry sagt, seine Preise hätten sich nicht verändert. Die belgische Polizei geht davon aus, dass das nicht unbedingt so bleibt: Derzeit zeigten sich erste Probleme mit der Verfügbarkeit von Drogen, was bereits zu einem Preisanstieg von zehn bis 20 Prozent geführt habe.

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