Corona-Virus Ein Held stirbt – jetzt bedroht das Virus auch Präsident Xi

dpa/tmxh/SDA

7.2.2020

Medizinisches Personal kümmert sich in einem provisorischen Krankenhaus um Patienten, die sich mit dem Coronavirus infiziert haben. Foto: Uncredited/CHINATOPIX/AP/dpa
Medizinisches Personal kümmert sich in einem provisorischen Krankenhaus um Patienten, die sich mit dem Coronavirus infiziert haben. Foto: Uncredited/CHINATOPIX/AP/dpa
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Vertuscht, versäumt, verwarnt: «Unzulänglichkeiten» haben dazu beigetragen, dass sich das Coronavirus verbreitete. China trauert um einen Arzt – in der Schweiz gibt es derweil laut Behörden noch immer keinen Fall.

«Hoffentlich ist der Himmel frei von Viren – und Ermahnungen», lautet ein Kommentar zum Tod des chinesischen Arztes Li Wenliang in sozialen Medien. Der 34-Jährige ist der Held des Volkes.

Er hatte schon Ende Dezember vor einer Häufung von Infektionen mit einem gefährlichen Virus gewarnt, das offenbar von einem Markt mit Wildtieren in der Millionenstadt Wuhan kam. Doch die Polizei verwarnte ihn und andere Mediziner wegen der Verbreitung von «Gerüchten». Sie mussten unterschreiben, dass sie nichts mehr über den Ausbruch enthüllen.

Li Wenliang warnte schon früh vor dem Coronavirus.
Li Wenliang warnte schon früh vor dem Coronavirus.
dpa

Wenige Tage später infizierte sich der Augenarzt selbst bei einer Patientin, die er wegen eines grünen Stars behandelte und die plötzlich Fieber bekam. Er starb am Donnerstagabend – hinterlässt ein Kind und seine schwangere Frau. «Wir bedauern seinen Tod zutiefst und trauern», teilte das Zentralkrankenhaus in Wuhan mit.

Sein Schicksal symbolisiert für viele Chinesen die tragischen Folgen der anfänglichen Vertuschung und der langsamen Reaktion der Behörden – ohnehin eine chronische Krankheit des kommunistischen Systems.

Tod des Arztes bedroht den Staatschef

Der Fall ist politisch hochexplosiv für Staats- und Parteichef Xi Jinping. Wie sehr, das demonstrierte das Zentralkomitee, indem sofort am Freitagmorgen ein Ermittlungsteam in die zentralchinesische Metropole entsandt wurde, um «die Fragen des Volkes» zu den Vorfällen zu untersuchen. Die Propaganda drehte sofort auf und das Staatsfernsehen versuchte, die Stimmung im Volk widerzuspiegeln, indem es Li Wenliang als «einfachen Held» und «ausgezeichneten Repräsentanten» des medizinischen Berufsstandes lobte.

Chinas Präsident Xi Jinping zeigt sich zuversichtlich, dass der Kampf gegen das Virus bald geschafft sein könnte.
Chinas Präsident Xi Jinping zeigt sich zuversichtlich, dass der Kampf gegen das Virus bald geschafft sein könnte.
Source: Maurizio Gambarini/dpa

Seine «Professionalität» und seine «medizinische Ethik» hätten ihn veranlasst, in den Anfängen der Epidemie eine vorbeugende Warnung an die Öffentlichkeit zu bringen. Das Staatsfernsehen feiert ihn als «Whistleblower», obwohl das kommunistische System sonst niemanden ermutigt, Probleme oder Missstände zu enthüllen. Doch versucht die Propaganda damit, die öffentliche Meinung zu steuern.

«Einige der Erfahrungen, die Li Wenliang in seinem Leben gemacht hat, spiegeln unsere Unzulänglichkeiten und Defizite in der Vorbeugung und Kontrolle von Epidemien wider», kommentierte das Staatsfernsehen. «Wir müssen voneinander lernen.» Auch müsse das Krisenmanagement verbessert werden. Genau so hatte es diese Woche das Politbüro unter Vorsitz von Xi Jinping schon formuliert. Die Botschaft lautet: Wir hören euch, wir sind bei euch und kümmern uns um solche Probleme.

Die Propaganda weiss, dass sie den Ärger im Volk einfangen und steuern muss, weil sich die Empörung sonst gegen das System richten könnte. Denn die Anteilnahme am Tod des Arztes hat das ganze Land erfasst. Heldenhaft hatte Li Wenliang noch vom Krankenbett in einem TV-Interview gesagt, er wolle sich nach seiner Genesung wieder in den Kampf gegen das Virus stürzen. «Jetzt, wo sich die Epidemie weiter ausbreitet, will ich kein Fahnenflüchtiger sein.»

Kein Einzelfall

Ein Student erzählte einem Magazin, wie der Arzt am 30. Dezember ihn und seine Kommilitonen vor einer Rückkehr von SARS gewarnt hatte. Die Pandemie des Schweren Akuten Atemwegssyndroms hatte 2002/2003 rund 8'000 Menschen angesteckt, 774 starben. «Eure Familien müssen der Vorbeugung mehr Aufmerksamkeit schenken», habe Li Wenliang gemahnt. Sie hätten die Nachricht nicht über das in China verbreitete WeChat-Programm verbreitet, weil es von der Polizei überwacht wird. Aber sie hätten die Mahnung über Mundpropaganda verbreitet. Auch viele Ärzte hätten sich daraufhin besser vor dem Virus geschützt. «So hat er wirklich viele Leute gerettet.»

Li Wenliang war kein Einzelfall. Viele Ärzte wussten Ende Dezember von der Häufung seltsamer Virusfälle in der schwer betroffenen Metropole. An diesem Wochenende ist es genau zwei Monate her, das alles begann: Die erste Ansteckung datierten chinesische Behörden rückwirkend auf den 8. Dezember. Viele Versäumnisse gerade in den ersten Wochen haben dazu beigetragen, dass das Virus zu einer ernsten Bedrohung mit derzeit mehr als 31'000 Fällen in China wurde – und zu einer «internationalen Notlage» mit bald 300 Fällen in mehr als zwei Dutzend weiteren Ländern.

So gab es auch früh Hinweise, dass das Virus von Mensch zu Mensch übertragen wird. Die Ärztin Lu Xiaohong vom Hospital Nr. 5 in Wuhan erfuhr schon am 25. Dezember von dem Verdacht der Infektion von medizinischem Personal in zwei Krankenhäusern – fast einen Monat bevor die Behörden erst offiziell davor warnten. In einem Brief an die Zeitung «Zhongguo Qingnianbao» schreibt Lu Xiaohong: «Mir wurde klar, dass die Lage schwierig sein könnte.»

Wissenswertes über Viren

Wie kann sich das Personal schützen?

Die grosse Frage war: Wie können sich Ärzte und Pfleger schützen? «Virale Lungenentzündungen gibt es jedes Jahr, aber ich erfuhr von Kollegen, dass das Virus diesmal anders war», berichtete Lu Xiaohong. Da habe sie noch gescherzt, vielleicht sei es an der Zeit, eine Schutzmaske zu kaufen. «Je mehr ich darüber nachdachte, umso mehr hatte ich das Gefühl, das etwas nicht stimmt.» Am 2. Januar habe sie vorgeschlagen, für entsprechende Patienten eine eigene Fieberabteilung einzurichten und Quarantäne anzuordnen. Die Krankenhausleitung stimmte zu.

Was aber ein falsches Gefühl der Sicherheit vermittelte und zur Verwirrung der medizinischen Kräfte beitrug, waren die gleichzeitig wiederholten Beteuerungen der Gesundheitsbehörden, eine Ansteckung von Mensch zu Mensch sei nicht nachgewiesen. Genauso wurde gebetsmühlenartig wiederholt, die Krankheit sei «vermeidbar und kontrollierbar». Damit war erst am 20. Januar Schluss.

Anfang Januar war aber auch die Zeit des Volkskongresses der 58 Millionen Einwohner zählenden Provinz Hubei. Die jährliche Sitzung des lokalen Parlaments ist ein feierliches politisches Ritual, zu dem die Machtelite zusammenkommt. Werden in einem System wie in China schlechte Nachrichten schon zu gewöhnlichen Zeiten nicht gerne nach oben berichtet, gilt das für die Zeit dieser Sitzung umso mehr.

Während der Arzt Li Wenliang schon Sauerstoff zum Atmen brauchte, schrieb ein Richter des Obersten Gerichts Ende Januar in seltener Offenheit einen Kommentar zu dessen Ehrenrettung: Die Epidemie wäre leichter in den Griff zu bekommen gewesen, «wenn die Öffentlichkeit den «Gerüchten» damals geglaubt und ... angefangen hätte, Masken zu tragen, streng zu desinfizieren und den Wildtiermarkt zu meiden.»

Keine bestätigten Fälle in der Schweiz

In der Schweiz informierte derweil der Bund am Freitagnachmittag erneut über die Lage zur Ausbreitung des Virus hierzulande. 200 Personen seien getestet worden. Bisher habe sich bei keinem der Untersuchten das Coronavirus nachweisen lassen. Nach wie vor bleibt die Schweiz ohne bestätigten Corona-Fall.

Wie das Bundesamt für Gesundheit mitteilte, werden die einzigen verbleibenden Flüge nach China, von Genf nach Peking, beobachtet und die Passagiere informiert. Ziel sei es, Personen schnell zu identifizieren, die mit Symptomen aus China einreisten.

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