Geheimdokument verifiziert «Diese Kinder sind überall»: Wie der Vatikan mit Priester-Kindern umgeht

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20.2.2019

Der nächste Kirchenskandal? Kinder von Priestern kämpfen um ihre Anerkennung.
Der nächste Kirchenskandal? Kinder von Priestern kämpfen um ihre Anerkennung.
Keystone/Archiv

Sie entstanden aus Missbrauch oder aus Liebe: Auf dem Missbrauchsgipfel der katholischen Kirche wollen auch Kinder von Priestern Aufmerksamkeit auf ihre Situation lenken. Dass es davon viele geben könnte, legt nun ein brisantes Dokument nahe.

Es ist so sicher wie das Amen in der Kirche: Wer sich in der römisch-katholischen Kirche zum Priester weihen lässt, verpflichtet sich zur Ehelosigkeit und damit automatisch auch zur sexuellen Enthaltsamkeit. Dass sich einige Priester dennoch fleischlichen Gelüsten hingeben, ist mittlerweile ein offenes Geheimnis – und leider ein sehr dunkles: Immer wieder erschüttern Missbrauchsskandale das Vertrauen der Gläubigen. Kurz vor dem Beginn der Missbrauchskonferenz im Vatikan, in der sich katholische Würdenträger aus aller Welt von Donnerstag bis Sonntag über längst überfällige Gegenmassnahmen beraten wollen, sah sich der Vatikan nun zu einer brisanten Beichte gezwungen.


Wie die «New York Times» berichtet, existiert im Vatikan ein Dokument mit Verhaltensregeln für Priester, die nach ihrer Weihe Kinder gezeugt haben. «Ich kann bestätigen, dass es eine solche Richtlinie gibt», zitiert das Blatt Vatikansprecher Alessandro Gisotti. «Es ist ein internes Dokument».

Vatikansprecher Alessandro Gisotti bestätigte, dass es im Vatikan eine interne Richtlinie für Priester gibt, die ein Kind gezeugt haben.
Vatikansprecher Alessandro Gisotti bestätigte, dass es im Vatikan eine interne Richtlinie für Priester gibt, die ein Kind gezeugt haben.
Keystone

«Das ist der nächste Skandal»

Auf die Spur gebracht wurden die Reporter von einem jungen Iren, der selbst Sohn eines katholischen Priesters ist: Vincent Doyle erfuhr im Alter von 28 Jahren, dass der Würdenträger nicht wie bisher angenommen sein Götti, sondern sein leiblicher Vater ist. Seither setzt sich der junge Mann dafür ein, dass Kinder wie er von der Kirche anerkannt werden. Im Zuge dessen zeigte ihm ein Erzbischof das besagte Geheimdokument, das ihm bewies, dass er keine Ausnahme sein kann. «Das ist der nächste Skandal», ist sich Doyle sicher. «Diese Kinder sind überall.»

Über ihre Anzahl gibt es bisher keine Schätzungen, die Webseite der Hilfsgruppe Coping International, die Doyle gegründet hat, werde allerdings von 50'000 Nutzer aus 175 Ländern genutzt. In der Schweiz gab es bereits 1995 einen prominenten Fall: Hansjörg Vogel trat als Bischof von Basel zurück, um die Frau zu heiraten, die seine Tochter erwartete. «Man nennt uns Kinder der Ordinierten», erklärt Doyle. «Ich war geschockt, dass die Kirche einen Namen dafür hat.»

Hansjörg Vogel legte 1995 das Bischofsamt nieder, weil er Vater einer Tochter wurde.
Hansjörg Vogel legte 1995 das Bischofsamt nieder, weil er Vater einer Tochter wurde.
Keystone/Archiv

DNA-Tests schaffen Klarheit

Und längst nicht alle jener Kinder der Ordinierten entstanden aus Liebe. Jahrezehnte lang wunderte sich Linda Lawless, warum ihre Mutter jedes Mal «entsetzliche Angst» hatte, wenn ein Geistlicher ihr Haus besuchte. Seit vergangenem Jahr weiss die Australierin, warum: Ein Abgleich ihrer DNA mit Proben aus der Datenbank von Ancestry.com ergab, dass ihr Vater ein Priester war.

Auch Erik Zattoni war das Produkt einer Vergewaltigung: Seine Mutter war 14, als sich Pietro Tosi, ihr 40 Jahre älterer Priester, an ihr verging. Ihre Familie versuchte, den Täter zur Anerkennung der Vaterschaft zu zwingen. 2010 bestätigte ein gerichtlich angeordneter DNA-Test die Vaterschaft. Dennoch blieb Tosi bis zu seinem Tod 2014 in Amt und Würden.

Kirchenrechtlich nicht durchzusetzen

Papst Franziskus vertritt die Ansicht, dass ein Priester, der Vater wird, sein Amt niederlegen sollte, um für sein Kind dazusein.
Papst Franziskus vertritt die Ansicht, dass ein Priester, der Vater wird, sein Amt niederlegen sollte, um für sein Kind dazusein.
Keystone

In seiner 2017 erstellten internen Richtlinie stellt der Vatikan seinem Sprecher Alessandro Gisotti zufolge fest, dass «der Schutz des Kindes grösste Wichtigkeit» habe. Deshalb werden die betreffenden Priester «gebeten», ihr Priesteramt aufzugeben «um der Verantwortung eines Elternteils nachzukommen und sich um sein Kind zu kümmern».

Ganz ähnlich formulierte das auch Papst Franziskus in seinem 2010 erschienenen Buch «Über Himmel und Erde». Allerdings habe die Kirche in der Praxis keine legale Handhabe, Priester, die ein Kind gezeugt haben, aus diesem Grund zu entlassen: «Es gibt nichts, nichts, nichts», das im Kirchenrecht dafür spreche, erklärt die römische Rechtsgelehrte Laura Sgro. «Da es kein kanonisches Vergehen ist, gibt es keine Rechtsgrundlage für eine Entlassung.»

So denken die Priester-Kinder

Im Zuge des Missbrauchsgipfels sind auch viele Opfervereine nach Rom gereist.
Im Zuge des Missbrauchsgipfels sind auch viele Opfervereine nach Rom gereist.
Keystone

Eine Durchsetzung dessen ist allerdings auch nicht die Lösung, die Vincent Doyle anstrebt, wenn er in den kommenden Tagen auf dem Missbrauchsgipfel der katholischen Kirche mit mehreren prominenten Prälaten sprechen wird. «Ich glaube nicht, dass Arbeitslosigkeit eine Antwort auf Elternschaft ist». Schliesslich sei es kaum im Sinne des Kindes, wenn die Familie um ein Einkommen beraubt wird.

Vielmehr dürfte durch die Lebensgeschichten von Vincent Doyle und seinen Schicksalsgenossen eine andere kircheninterne Diskussion befeuert werden: die, ob die katholische weiterhin am Zölibat festhalten sollte oder nicht. 

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