Katholiken in der Krise Warum der «Missbrauchsgipfel» für den Papst so wichtig ist

DPA/tjb

18.2.2019

Eine «Beichtgelegenheit» allein reicht nicht, um mit dem Missbrauchsskandal aufzuräumen. Foto: 
Eine «Beichtgelegenheit» allein reicht nicht, um mit dem Missbrauchsskandal aufzuräumen. Foto: 
Bild: DPA/Armin Weigel

Seit Jahren verspricht die katholische Kirche, Missbrauchsskandale aufzuarbeiten. Nun lädt der Papst zu einem noch nie dagewesenen Gipfel in den Vatikan. Für Franziskus steht nicht nur seine eigene Glaubwürdigkeit auf dem Spiel.

Was sind dreieinhalb Tage im Leben einer zweitausend Jahre alten Institution? Was sind dreieinhalb Tage, um einen Skandal aufzuarbeiten, der das Leben von Kindern auf der ganzen Welt zerstört hat? Papst Franziskus hat für diese Woche die Chefs der Bischofskonferenzen der Welt in den Vatikan geladen. Der sexuelle Missbrauch von Kindern in der katholischen Kirche und Vertuschung sollen endlich von allen Kirchenoberen ernst genommen und verhindert werden. Die Erwartungen an den «Missbrauchsgipfel» könnten kaum höher sein. Die Falltiefe könnte allerdings auch kaum grösser sein.

Keine bindenden Beschlüsse

Seit Jahrzehnten ist bekannt, dass Priester und andere Geistliche rund um den Globus Kinder misshandelten. Warum erst jetzt solch ein Gipfel? Das Treffen von Donnerstag bis Sonntag sei ein «wichtiger Schritt eines langen Prozesses», der vor 30 Jahren begonnen habe, sagte der deutsche Pater Hans Zollner, der zum Vorbereitungskomitee für das Treffen gehört. Das Aufsehen ist riesig. Schliesslich gab es so eine Konferenz noch nie. Medien aus aller Welt strömen nach Rom, Opfergruppen haben Demonstrationen angekündigt.

Die Gefahr einer Enttäuschung ist gross. Reue für die «Schande» hat die Kirche zur Genüge gezeigt – eine Schande, die der Privatsekretär des emeritierten Papstes Benedikt, Georg Gänswein, als das «9/11» der Kirchebezeichnet. Viele erwarten nun konkrete Taten. Doch bindende Beschlüsse können von den etwa 380 Teilnehmern auf der Konferenz gar nicht gefasst werden.

Hinzu kommt, dass die Unterschiede in der Weltkirche riesig sind. In vielen Erdteilen wird Missbrauch bisher nicht als Problem anerkannt. «Wir im Nahen Osten zum Beispiel haben dieses spezifische Problem des Kindesmissbrauchs nicht wirklich in unserer Kirche», sagte das Oberhaupt der katholischen Kirche im Heiligen Land, Pierbattista Pizzaballa, dem Domradio.

Papst Franziskus leitet die Missbrauchskonferenz im Vatikan. 
Papst Franziskus leitet die Missbrauchskonferenz im Vatikan. 
Bild: DPA/AP/Andrew Medichini

Das Argument lassen zumindest die Aufklärer im Vatikan nicht gelten. «Manchmal höre ich aus einigen Teilen der Kirche: ‹Bei uns gibt es das nicht›. Aber das heisst, dass man nicht darüber redet. Denn es existiert in der gesamten Menschheit», sagte Zollner. Für die Kirchenoberen dieser Länder gilt also erst mal, die Augen zu öffnen. Der Papst trug daher allen Chefs der Bischofskonferenzen auf, sich vor dem Gipfel mit Opfern zu treffen.

Gläubige erwartel mehr als Reue

Dem gegenüber stehen Länder wie Deutschland, die USA oder Irland, wo Missbrauchsskandale schon vor Jahren ans Licht kamen. Selbst wenn es auch dort Widerstände gegen die Aufklärung gibt, die Aufarbeitung hat zumindest begonnen. In Deutschland steht die Kirche besonders unter Druck, haben sich doch viele Gläubige auch wegen des Missbrauchsskandals von ihr abgewendet. Man erwartet sich also mehr als Schuldbekenntnisse, wachsweiche Erklärungen und Busse.



Die deutsche Laien-Bewegung «Wir sind Kirche» und das Zentralkomitee der Katholiken forderte bereits eine andere Sexualmoral, die Weihe von Frauen, die Abschaffung des Pflichtzölibats sowie eine echte Gewaltenteilung in der katholischen Kirche. Solange die Struktur besteht, in der männliche Geistliche die Macht auf sich vereinen und in der Kurie (meist ältere) Männer das Sagen haben, darf man auf nicht allzu grosse Veränderungen hoffen.

«Sexueller Missbrauch ist vor allem auch Missbrauch von Macht», heisst es in einer Studie der Deutschen Bischofskonferenz. Deshalb sollen auf der Konferenz im Vatikan auch strukturelle Probleme des «Systems Kirche» diskutiert werden. Auch Transparenz soll künftig gross geschrieben werden. Höchste Zeit. Der Vatikan veröffentlicht bisher noch nicht mal Zahlen zu Missbrauchsfällen oder Tätern. Und die für Missbrauch zuständige Glaubenskongregation gleicht einem Buch mit sieben Siegeln. Sie hat noch nicht mal eine Pressestelle oder einen aussagekräftigen Internetauftritt.

Viele Themen sind tabu

Auch werden Themen wie der Missbrauch von Ordensfrauen, das der Papst selbst mit seinem Kommentar über «sexuelle Sklaverei» in religiösen Gemeinschaften ans Tageslicht befördert hatte, auf der Kinderschutz-Konferenz nicht explizit diskutiert. Auch das Tabu-Thema Homosexualität steht nicht auf der Tagesordnung.

Aber ein Schritt ist besser als kein Schritt. Alle Themen zusammen würden den Rahmen des Treffens in der Tat sprengen. Auch wird Missbrauch natürlich nicht von heute auf morgen abgeschafft werden. «Als wäre es möglich, alle Probleme der Kirche in dreieinhalb Tagen zu lösen, als wäre es möglich, das gesamte Leben der Kirche zu ändern», sagte Zollner. Auch der Papst sah sich genötigt, die Erwartungen zu dämpfen. «Das Problem des Missbrauchs wird weiterbestehen», sagte er im Januar.

Es geht um Franzsikus' Erbe

Für Franziskus geht es um viel mehr. Es geht auch um sein Erbe als Papst: Wird der Argentinier lediglich als der Pontifex der nicht gehaltenen Versprechen in die Geschichte eingehen? Oder als einer, der wirklich durchsetzt, was er ankündigt? Als einer, der mit seinen erzkonservativen Gegnern bricht?

«Für Franziskus ist der Gipfel ein Moment des Kampfes in einer Kirche, wo ein grosser Teil der Bischöfe und des Klerus keine grundlegende Änderungen wollen», sagte der Vatikan-Autor Marco Politi. Der Gipfel sei «für die Endjahre des Pontifikats wichtig». Es bestehe die Gefahr, dass die Konferenz von Franziskus' konservativen Gegnern instrumentalisiert werde. Wenn nach dem Gipfel neue Skandale ans Licht kommen, würden sie nicht die Ortskirche treffen, sondern «direkt die Glaubwürdigkeit des Papstes», so Politi. «Das, was nachher kommt, wird ein Bumerang sein für Franziskus.»

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