Rücktritt Was Petra Gössi auf einer Wanderung vor zwei Jahren zum CO₂-Gesetz sagte

Von Anna Kappeler

14.6.2021

Im Rahmen unserer Sommerserie wanderten wir mit Petra Gössi. Zum Abgang der FDP-Chefin veröffentlichen wir den Text erneut.
Im Rahmen unserer Sommerserie wanderten wir mit Petra Gössi. Zum Abgang der FDP-Chefin veröffentlichen wir den Text erneut.
Patrick Hürlimann

Auf einer Wanderung vor zwei Jahren trotzte Petra Gössi dem Regen. Damals sagte sie, warum die von ihr bestimmte Klima-Wende das einzig Richtige sei. Heute tritt sie überraschend zurück.

Von Anna Kappeler

Manchmal sind es vordergründig lapidare Sätze, die hängen bleiben. Etwa dieser der FDP-Präsidentin: «Ich bin einfach Petra Gössi. Punkt.» Es ist ihre Antwort auf die Frage, wie sie lieber genannt werden möchte statt Klima-Gössi. Dies, weil die Chefin ihrer Partei quasi im Alleingang eine grüne Wende verordnet hat.

Petra Gössi tritt zurück

Hinweis: Dieser Text wurde am 19.8.2019 im Rahmen einer Wahlkampf-Serie erstmals publiziert. Schon damals war das gestern gescheiterte CO₂-Gesetz das dominierende Thema. Weil Petra Gössi heute überraschend ihren Rücktritt angekündigt hat, publizieren wir den Text erneut. (red.)

Am Tag der Wanderung regnet es gefühlt nur einmal. Nämlich ununterbrochen. Der spontane Versuch, einen anderen Termin zu finden, scheitert an der vollen Agenda. Gössi ist im Wahlkampf-Endspurt, hat bis zu den Wahlen am 20. Oktober keinen einzigen freien Abend mehr, wie sie sagt. «In jüngeren Jahren hätte mich das belastet. Inzwischen trage ich es mit Fassung, die Zeit dahin ist absehbar.»

Ausgerüstet mit Regenjacke geht es also los. Vor Ort dann unerwartetes Wetterglück. Bei der Ankunft an der Talstation der Rotenflue-Luftseilbahn in Rickenbach ob Schwyz hellt es auf, sogar der imposante Grosse Mythen taucht aus dem Nebel auf. Gössi, in farbigen Outdoor-Kleidern, strahlt beim Anblick des Berges.

«Privat ist privat»

Vielsagend ist die «Ich bin einfach Petra Gössi»-Aussage auch aus einem zweiten Grund. Die Schwyzer Nationalrätin schirmt ihr Privatleben ab wie sonst kaum jemand in der nationalen Politik. «Privat ist privat», wiederholt Gössi darauf angesprochen den Satz, der auch auf ihrer Webseite steht. Sie sei als Person typisch schweizerisch und wohl ziemlich durchschnittlich. «Bei mir zu Hause steht im Bad ein Brünneli wie in anderen Haushalten auch. Ich weiss wirklich nicht, was daran interessant sein soll.»

Beim Wandern, insbesondere im Regen, geht es allerdings kaum ohne etwas Persönliches. Und so erzählt Gössi dann doch von sich, etwa davon, dass sie zweimal durch die Anwaltsprüfungen gerasselt sei. Also entschied sie sich, ihrem damaligen Freund, einem Koch, in der Küche zu helfen. «Da habe ich jeweils unter grossem zeitlichem Druck und zusammen mit den verschiedensten Nationen Rüebli geschält und Kartoffeln gerüstet.»

Hektisch sei das gewesen, der Ton rau, doch nach erfolgreicher und gemeinsamer Arbeit seien die Meinungsverschiedenheiten vergessen gewesen. «Dort lernte ich, was Arbeiten heisst.» Davon profitiere sie heute als Politikerin.

Ein Freisinn mit staatlichen Abgaben?

Vom Privaten zurück zur Politik. Noch im Dezember hat die FDP das CO₂-Gesetz im Nationalrat zusammen mit der SVP so abgeschwächt, dass die Linke es in der Schlussabstimmung versenkte. Im Februar dann die Wende: Gössi kündigte in einem Interview eine freisinnige Klima-Wende an. In nur vier Monaten führte sie eine Mitgliederbefragung durch, die an der Delegiertenversammlung im Juni von der Basis nicht nur bestätigt, sondern mit Massnahmen wie einer Flugticketabgabe sogar noch verschärft wurde. Ein Erfolg für Gössi. Aber einer, der Fragen aufwirft. Ein Freisinn, der plötzlich für staatliche Abgaben beim Fliegen und beim Autofahren ist, wie geht das mit liberalen Grundsätzen zusammen?

Gössi hat keine Freude an der Frage. Dass sich die Medien auf «Details» wie die Flugticketabgabe stürzen, statt sich mit der gesamten Umweltpolitik des Freisinns auseinanderzusetzen, nervt sie. «Wir haben nur eine Erde, also müssen wir diese schützen. Was soll daran nicht liberal sein?» Gössi betont, dass ihre Umweltpolitik vor allem auf die Eigenverantwortung und auf Investitionen in Innovationen setzt. «Erst wo die Eigenverantwortung nicht reicht, braucht es Lenkungsmassnahmen.»

Falsch wäre es laut Gössi, «als FDP keine Antworten zu liefern auf das Thema, das die Leute beschäftigt». Sie betont: «Der Freisinn hat eine ökologische DNA.» Bereits 1913 habe FDP-Bundesrat Ludwig Forrer in Bern die erste Weltnaturschutzkonferenz eröffnet. «Aber zugegeben, wir haben unser grünes Erbe in den letzten Jahrzehnten vernachlässigt.»

«Die Mythen sind für mich Heimat»

Oben bei der Rotenflue-Bergstation schweift der Blick von der Aussichtsplattform über Vierwaldstätter- und Lauerzersee bis zu den Voralpen mit Stanserhorn und Pilatus. Und natürlich zur Rigi, Gössis Hausberg, an deren Fuss in Küssnacht sie wohnt. Ihr haben es besonders der Grosse und der Kleine Mythen angetan. Beide hat sie schon erwandert. «Die beeindrucken mich in ihrer Schroffheit. Sie sind für mich Heimat.»

Später bleibt Gössi plötzlich auf dem Wanderweg stehen, blickt sich kurz um, zeigt auf eine vertrocknete Baumgruppe. «Sehen Sie, ich muss nicht einmal mehr lange suchen, bis die Spuren der heissen Sommer und der Trockenheit offensichtlich sind.» Jetzt müsse man handeln, das sei ihr eine Herzensangelegenheit.

Eine Neupositionierung in einem Wahljahr, da gibt’s den Vorwurf, das sei reines Wahlkalkül, von politischen Gegnern gratis dazu. Gössi hört das oft, wahrer werde die Behauptung dadurch nicht. «Ich hätte die Klimapolitik gern früher wieder auf unsere Agenda gesetzt, nicht erst im Wahljahr.» Aber die beiden ausserordentlichen Bundesratswahlen von Ignazio Cassis 2017 und Karin Keller-Sutter letztes Jahr «stemmt man nicht mit links». Die Kapazitäten einer Partei seien beschränkt. Und es könne doch nichts sein, dass man sich nicht mehr bewegen dürfe, nur weil Wahljahr sei. «Der politische Stillstand in Wahljahren stört mich.»

Durch ihre Besuche bei Parteisektionen quer durchs Land habe sie gemerkt, dass sich die Basis in der Umweltfrage neu positioniert habe. «Da sich das mit meiner persönlichen Überzeugung deckt, handelte ich. Ich bin nicht risikoscheu.» Wer nicht mit Niederlagen umgehen könne, bewege nichts. «Ich bin in der Politik, um etwas zu bewegen.»

Da die FDP bis anhin vor allem Papier produziert hat, steht der Beweis, dass es ihr mit dem Grünsein ernst ist, noch aus. Die nächste Gelegenheit dazu hat die Partei bereits nächsten Monat, wenn sich der Ständerat über das CO₂-Gesetz beugt. Folgt der Rat seiner vorbereitenden Kommission, dürfen zumindest die freisinnigen Ständeräte grün gestärkt in den Wahlendspurt. Der wahre Test für die FDP allerdings folgt erst nach den Wahlen im nächsten Jahr. Dann kommt das Gesetz zum zweiten Mal in den Nationalrat.

Gössi als Quizmasterin

Plötzlich grinst Gössi. Sie erinnert sich an eine kürzlich gehörte Quizfrage: «Von der Rigi sieht man alle Schweizer Kantone ausser zwei. Welche?» «Genf», wie der Fotograf und die Journalistin schnell erraten, auf den zweiten kommen sie nicht. Gössi hat sichtlich Spass an der Rolle der Quizmasterin, gibt die Lösung erst nach mehreren falschen Antworten preis. «Basel-Stadt ist es!» Dann – richtig – lacht sie wieder.

Bald kehrt der Regen zurück. Gössi ändert die Route, wählt eine kürzere Rundwanderung auf der Rotenflue. Der Weg ist nass und menschenleer. Es ist bis auf den Klang von Kuhglocken still. Die Rindviecher selber entdeckt man erst auf den zweiten Blick, sie drängen sich schutzsuchend unter einigen Bäumen zusammen. Gössi stört der Niederschlag nicht. «Ich gehe oft auch bei Regen joggen.» Sie lacht noch immer, sodass der Fotograf sie bittet, für die Fotos doch auch einmal ernst zu schauen.

Nach Jahrzehnten des Niedergangs nimmt der Wähleranteil der FDP seit den letzten nationalen Wahlen wieder zu. Zumindest bis diesen Frühsommer. Je nach Umfrage muss die Partei mit Verlusten von 0,2 bis 0,9 Prozentpunkten rechnen. Dies, nachdem sie im Februar mit 17,4 Prozent sogar ihr Ergebnis von 2015 (16,4 Prozent) überflügelt hatte. Abgeschifft ist die Partei auch bei den kantonalen Wahlen in Zürich. Ist das die Quittung für die Klima-Wende? Gössi verneint. «Ohne unseren Fokus auf die Umwelt hätten wir noch schlechter abgeschnitten, das zeigt die Analyse der Zahlen.»

Gössi will die SP überholen

Am Ziel, zweitstärkste Partei des Landes zu werden und also die SP zu überholen, hält Gössi fest. «Wir wollen gewinnen», sagt sie. Sonst würde sie jetzt nicht im Regen wandern, sondern im Büro arbeiten und Geld verdienen. Sie gibt sich zuversichtlich: «Wahlen kann man in den letzten zehn Tagen gewinnen. Dann, wenn die Leute die Wahlcouverts im Briefkasten haben.» Die FDP sei wieder die stärkste Kraft in den Kantonen.

Doch Gössi ist durchaus selbstkritisch: «Beim Mobilisieren müssen wir stärker werden.» Erstmals hat auch der Freisinn deshalb den Tür-zu-Tür-Wahlkampf eingeführt. «Aus kantonalen Wahlen wissen wir, dass wir in den Orten besser abgeschnitten haben, in denen wir zuvor direkt bei den Leuten klingelten und persönlich mit ihnen sprachen.»

Die FDP könne nur als Volkspartei mit breit überzeugenden Lösungen erfolgreich sein. Sie nennt als Beispiel die AHV21-Reform mit Rentenalter 65 für Mann und Frau («Wir müssen dieses Sozialwerk nachhaltig strukturell reformieren, sonst zahlen die Jungen die Quittung.»). Oder das Rahmenabkommen mit der EU («Die FDP ist die Gralshüterin des bilateralen Weges. Er bringt unserem Land Wohlstand.»).

«Der Liberalismus, der stark auf Eigenverantwortung setzt, liegt nicht im Trend», sagt Petra Gössi. Die Wahlen will sie trotzdem gewinnen. Bild: Patrick Hürlimann

Gössi arbeitet neben der Politik als Juristin und Partnerin beim Zürcher Beratungsunternehmen Baryon. Vor dem Parteipräsidium konnte sie einen wesentlichen Teil ihrer Arbeitszeit für ihren Beruf einsetzen, heute ist der berufliche Anteil «verschwindend gering».

«Bei allem geht es zuerst immer um den Menschen», steht dort auf der Webseite neben Gössis Foto. Ein Satz, der ihr wichtig ist. Als Liberale bereite ihr die zunehmende Polarisierung in der Politik Sorge. «Der Liberalismus, der stark auf Eigenverantwortung setzt, liegt nicht im Trend. Die heutige Erwartungshaltung der Gesellschaft ist: Der Staat muss liefern.» Gössi ist eine soziale Abfederung wichtig. «Ich sehe es so: Der Staat gibt den Rahmen vor. Doch innerhalb dieses Rahmens muss ich mich schon selber bewegen.» So hat sich auch Gössi, von Haus aus geprägt von der katholischen Innerschweiz, weiterentwickelt. War sie früher etwa gegen Homo-Ehe und gegen Stiefkindadoption, befürwortet sie heute beides.

«Ohne Vorurteile mit allen reden»

Aus dem Zvieri im Bergrestaurant wird nichts. Es hat wegen des schlechten Wetters schon geschlossen. Statt bei Kaffee werden die letzten Punkte also in der Seilbahn hinunter ins Tal und auf dem Parkplatz vor Gössis Auto verhandelt. Ihr Rezept als Parteipräsidentin? «Mit allen reden, ihnen zuhören, und zwar ohne Vorurteile im Kopf.» Gelernt habe sie das auf die harte Tour, eben durch die Arbeit beim Ex-Freund in der Küche. Man müsse wollen in der Politik – und Freude haben. «Als Präsidentin muss ich aber auch einfach meine Arbeit machen.»

Gössi lacht zum Abschied. Dann fährt sie davon, zum nächsten Termin.