Juncker-Nachfolge Verhältnis Schweiz – EU: «Kristallkugel Ursula von der Leyen»

Von Anna Kappeler

3.7.2019

Ist Ursula von der Leyen bald neue EU-Chefin?
Ist Ursula von der Leyen bald neue EU-Chefin?
Bild: Keystone/PATRICK SEEGER

Was würde unter einer neuen EU-Chefin Ursula von der Leyen mit der Schweiz passieren? Die SVP sieht in der Norddeutschen die Hoffnung auf einen tatsächlichen Neuanfang, andere fürchten sich vor einer Degradierung des Schweiz-Dossiers.

Die Zeichen stehen auf Neuanfang. Die deutsche CDU-Politikerin Ursula von der Leyen könnte die neue EU-Kommissionspräsidentin werden. Sie wäre damit die Nachfolgerin des selbsternannten «Schweiz»-Freundes Jean-Claude Juncker. Doch wie sieht von der Leyen die Schweiz? Und würden sich unter ihr die festgefahrenen Verhandlungen zum Rahmenabkommen ändern?

«Falls Ursula von der Leyen neue Kommissionspräsidentin wird, wird sie die Schwerpunkte neu festlegen», sagt Aussenpolitiker und SP-Nationalrat Eric Nussbaumer. Es stehe nirgends geschrieben, dass das Schweiz-Dossier dann weiterhin eine so hohe Priorität in der Kommission habe wie heute. «Von der Leyen könnte das Dossier Schweiz in der Wichtigkeit herunterstufen», sagt Nussbaumer.

« Wir brauchen keine Schweiz-Freunde»

Anders klingt die Einschätzung auf der anderen politischen Seite. SVP-Ständerat Hannes Germann, ebenfalls Mitglied der Aussenpolitischen Kommission (APK), sagt: «Wir haben unter den Vorgängern José Manuel Barroso und Jean-Claude Juncker ja gesehen, wohin wir mit sogenannten Freunden der Schweiz kommen: zu einem Rahmenvertrag, den wir unmöglich unterzeichnen können. Wir brauchen also keine Schweiz-Freunde, sondern einen Neuanfang.»



Germann geht davon aus, dass von der Leyen genau solchen frischen Wind in die Verhandlungen zum Rahmenabkommen bringen könnte. «Wenn sie gewillt ist, sich in das Dossier hineinzuknien, bin ich zuversichtlich, dass das für die Schweiz gut kommt.»

Zurückhaltender äussert sich APK-Mitglied und FDP-Nationalrat Hans-Peter Portmann. «Welchen Schweiz-Kurs Ursula von der Leyen fahren wird, ist schwierig vorauszusagen.» Sie habe sich kaum je zur Schweiz und zum Rahmenabkommen geäussert: «Sie ist diesbezüglich eine Kristallkugel.» Das findet Portmann aber immer noch besser, als wenn der ebenfalls als EU-Chef gehandelte Manfred Weber zum Zuge käme. Dieser habe nämlich klar kommuniziert, dass er strenger mit der Schweiz umgehen würde als Juncker.

«EU-28 ist für Deeskalation»

Portmann ist auch Präsident der EFTA/EU-Delegation. In dieser Funktion verweist er auf eine Konferenz in Bukarest von Ende Juni, an der auch eine Schweizer Parlamentarier-Delegation teilgenommen hat. «Dort haben sich alle 28 parlamentarischen Delegationen der EU-28 dafür ausgesprochen, dass Brüssel in Bezug auf die Schweiz eine weitere Eskalation verhindern soll.»

In die Schlusserklärung der Konferenz wurde nun sogar eine entsprechende Passage aufgenommen, gemäss der weitere eskalierende Schritte im bilateralen Verhältnis Schweiz–EU zu verhindern seien und eine Verhärtung der Fronten vermieden werden solle. Dies geht auch aus einer von der Öffentlichkeit bisher kaum beachteten Medienmitteilung des Parlaments hervor.

Portmann aber relativiert: «Nur weil die Mitgliedstaaten für Deeskalation sind, heisst das nicht, dass das EU-Parlament das auch so sieht.» Es zeige jedoch, dass «die Volksvertreter unverkrampfter mit dem Rahmenabkommen umgehen als die Technokraten in Brüssel».

«Wohl nicht zuoberst auf Prioritätenliste»

Da sie Norddeutsche sei – von der Leyen wuchs nahe Hannover auf –, stehe die Schweiz wohl nicht zuoberst auf der Prioritätenliste, mutmasst Portmann. «Für die Schweiz wäre diesbezüglich jemand aus Süddeutschland vorteilhafter.» Denn: «Deutsche Abgeordnete und südliche Länder in Deutschland sind mit der Konfrontationspolitik der EU nicht einverstanden.» Deutschland als Ganzes mache sich für Schweizer Interessen stark, auch wenn einzelne Politiker ausscherten. Der amtierende Generalsekretär Martin Selmayer beispielsweise ist nicht pro Schweiz. «Selmayer brachte die Verknüpfung der Börsenäquivalenz mit dem Rahmenabkommen aufs politische Tapet und setzte es durch.»



Auch der SVP-Ständerat Germann hätte lieber jemanden aus Süddeutschland an der EU-Spitze. Er sagt: «Natürlich ist von der Leyen als Norddeutsche etwas weniger Schweiz-freundlich, als es die Bundesländer Baden-Württemberg und Bayern sind.» Doch allen Deutschen sei der gute wirtschaftliche Austausch mit der Schweiz ein Anliegen.

«Deutsche Vertretung im Brüsseler Teich»

«Eine deutsche Vertretung im verfilzten Brüsseler Teich wäre gut für die Schweiz.» Germann hofft auf von der Leyens Pragmatismus. «Als langjährige Vertreterin der deutschen Regierung ist sich von der Leyen harte, aber faire Lösungen gewohnt.» Am Schluss brauche auch die EU konstruktive Lösungen – eine massive Verschlechterung des Verhältnisses zur Schweiz könne nicht im Interesse der EU sein.

Auf den Einwand, dass sich von der Leyen öffentlich für «Vereinigte Staaten von Europa» ausgesprochen habe, sagt Germann, dass er das zur Kenntnis nehme. «Ob das nach wie vor ihre Vision ist, bleibt abzuwarten.» Wer nach Brüssel wolle, müsse ja fast so etwas sagen. «Das steigert die Wahlchancen. Ich bin zuversichtlich, dass von der Leyen für die Verhandlungen mit dem Rahmenabkommen positiv wäre», sagt Germann.

Laut FDP-Aussenpolitiker Portmann indes wird sich «von der Leyen für mehr Zentralismus in der EU» und kaum für Sonderrollen einsetzen. «Nach dem Brexit Ende Oktober wohl umso weniger.» Dazu passe, dass sie von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron vorgeschlagen worden sei, der ebenfalls mehr Zentralismus wolle. «Im Widerspruch dazu steht, dass von der Leyen aber auch von Ländern wie Italien und den Visegrad-Staaten unterstützt wird, die mehr Nationalismus wollen», sagt Portmann.

Andere Probleme nach Brexit

Auf die Frage nach einem Zeitplan schliesslich sagt SP-Nationalrat Nussbauer: «Stand heute ist ein Abschluss des Rahmenabkommens noch unter Juncker kaum anzunehmen, es gibt in der Politik aber Überraschungen.» Klar sei, dass die EU nach dem Brexit andere Probleme als die Schweiz haben werde.

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