Neue Studie So schlecht steht es wirklich um die Schweizer Gletscher

Von Jennifer Furer

4.8.2020

Der Grosse Aletschgletscher ist der flächenmässig grösste und längste Gletscher der Alpen. 
Der Grosse Aletschgletscher ist der flächenmässig grösste und längste Gletscher der Alpen. 
Keystone

Wissenschaftlerinnen haben erstmals den Gletscherschwund in den gesamten Alpen untersucht. Dabei zeigt sich: Besonders die Schweizer Gletscher schmelzen rapide. Wie sieht es dieses Jahr aus?

Innerhalb von nur 14 Jahren haben Gletscher des Alpenraums rund ein Sechstel ihres Gesamtvolumens verloren. Das haben Forscherinnen und Forscher der Universität Erlangen-Nürnberg herausgefunden.

Die Wissenschaftler haben die Gletscher des gesamten Alpenraums und deren Schwund zwischen 2000 und 2014 untersucht. Bisher wurden nur einzelne Regionen und Gletscher angeschaut. Den grössten Eisverlust stellten die Forscherinnen und Forscher in den Schweizer Alpen fest.

Der Grund für den Gletscherschwund ist der Klimawandel. Laut Matthias Huss, Leiter des Schweizer Gletschermessnetz (GLAMOS), bestimmen Schneemenge und Sommertemperaturen den jährlichen Rückgang der Gletscher.

«Keine sehr gute Situation»

Im Jahr 2018 sorgte der Hitzesommer beispielsweise für massive Eisverluste. Ohne die riesigen Winter-Schneemengen wäre die Schmelze noch viel intensiver ausgefallen. Und dieses Jahr?

«Unsere Messungen von Ende April zeigen, dass die Gletscher gar nicht so wenig Schnee hatten, wie man das nach dem ungewöhnlich milden Winter im Flachland erwarten könnte», sagt Glaziologe Huss. Auf den Gletschern sei es genug kalt für Schneefall gewesen. «Und vor allem Oktober und November  2019 gab es in gewissen Regionen in der Höhe viel Schnee.»

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Allerdings habe die Schmelze im Frühling auch früher eingesetzt als etwa letztes Jahr. «Insgesamt liegt der Winter 2019/2020 für die Gletscher ziemlich genau im Mittel der letzten zehn Jahre», stellt Huss fest. Er bezeichnet die diesjährige Eisschmelze bis jetzt als «normal» –, wenn man sie denn mit den letzten zehn Jahren vergleicht. «Wir haben noch kein Extremjahr, allerdings auch keine sehr gute Situation.»

Würde man die heutige Situation allerdings mit den letzten 30 oder 100 Jahre vergleichen, dann sähe es «einmal mehr schlecht aus», so Huss.

August und September entscheidend

Um wie viel die Gletscher dieses Jahr konkret schmelzen, könne man noch nicht genau sagen. Die Messungen werden erst Ende September gemacht. «Dabei werden die Witterungsbedingungen von August und September entscheidend sein», sagt Glaziologe Huss.

Bereits jetzt könne aber mit Sicherheit aufgrund der Zwischenmessungen an sechs Gletschern gesagt werden, dass die Gletscher auch dieses Jahr an Volumen verlieren werden.

Auch das Schweizer Gletschermessnetz schrumpft folglich von Jahr zu Jahr. Denn: «Ab einem gewissen Zeitpunkt sind die Messdaten der ‹sterbenden Gletscher› einfach nicht mehr repräsentativ», so Huss.

Bereits dieses Jahr nicht mehr dabei ist der Pizolgletscher. Auch der Vadret dal Corvatsch im Oberengadin, der Schwarzbachfirn bei Andermatt und der Vadret da Lischana in Unterengadin sind zu klein, um brauchbare Daten zu liefern.

Der Pizolgletscher liegt 16 Kilometer nordwestlich von Chur im Kanton St. Gallen.
Der Pizolgletscher liegt 16 Kilometer nordwestlich von Chur im Kanton St. Gallen.
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Droht uns eine Zukunft ohne Gletscher? «Die Schweiz kann mit starkem, globalem Klimaschutz rund einen Drittel des Eises retten – immerhin», sagt Huss. «So würde kein kompletter Verlust stattfinden.»

Anstelle von weissem Firn prägen grosse, graue Geröllflächen und bröcklige Bergflanken die Alpen, so Huss. «Neue Gletscherseen bilden sich und die Vegetation holt sich ihren Platz zurück – die vom Eis freigegebenen Flächen werden langsam wieder besiedelt.»

Der Gletscherschwund bedeutet aber nicht nur, dass die Alpen ein anderes Bild bieten. «Der Gletscherrückgang hat auch Auswirkungen beispielsweise auf die Wasserverfügbarkeit in trockenen Sommermonaten und die Stromproduktion», sagt Huss. Gletscher seien auch für den Tourismus wichtig. «Zusätzlich kann der Rückgang zu neuen Gefahren – wie Gletscherfluten oder Bergstürzen – führen.»

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