«Neue Realität» Von Masken aus dem Automaten und der Angst vor Bargeld

Von Gil Bieler

1.6.2020

Schutzmasken kann man in der Schweiz seit einigen Wochen am Automaten beziehen. Verkaufsschlager scheinen sie noch nicht zu sein – dafür verändert sich offenbar unser Zahlungsverhalten.

Vor gut drei Wochen gab Selecta bekannt, in rund der Hälfte ihrer Verkaufsautomaten neu auch Schutzmasken und Desinfektionsgel anzubieten. Rund 700 Automaten seien bereits damit bestückt worden, teilt Selecta-Sprecher Yves Käser auf Anfrage von «Bluewin» mit. Dabei handle es sich vor allem um Geräte an stark frequentierten Orten. Die angebotenen Masken werden in der Schweiz produziert.

Mit 3'500 Verkaufsautomaten im öffentlichen Raum ist Selecta der Platzhirsch in der Schweiz. Und auch wenn er keine konkreten Verkaufszahlen nennen könne, sagt Käser: «Wir stellen fest, dass das Tragen einer Schutzmaske in der Schweiz noch nicht so weit verbreitet ist.»



Das deckt sich mit Beobachtungen im öffentlichen Verkehr. Vielleicht haben viele Passagiere ja immer noch die oft wiederholte Aussage von Daniel Koch, dem nun pensionierten Covid-Beauftragten des Bundes, im Ohr, gesunde Personen müssten keine Masken tragen.

Dabei herrscht im ÖV inzwischen fast wieder Normalbetrieb – und es gilt eine andere Ansage der Transportunternehmen: In Zügen und Bussen soll man dringen einen Mundschutz tragen, wenn es eng wird. Weil viele das noch nicht verinnerlicht haben, verteilten die Verkehrsbetriebe Zürich (VBZ) jüngst 50'000 Masken an Passagiere und Passanten.

Bei Selecta hat man dennoch eine Folge der Corona-Pandemie festgestellt: Es wird seltener mit Bargeld bezahlt als sonst. Wie Mediensprecher Yves Käser erklärt, stieg der Anteil an Käufen, die kontaktlos beglichen werden, auf bis zu 60 Prozent an. Vor der Corona-Krise habe dieser bei 44 Prozent gelegen. Offenbar scheinen sich viele Leute vor einer Ansteckung über ein Nötli oder Münzen zu fürchten.

Angst vor Bargeld

Dabei ist diese Furcht weitgehend unbegründet: Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) erklärt in seinen Verhaltensregeln: «Bezahlen mit Bargeld stellt kein erhöhtes Ansteckungsrisiko dar, solange man die Hygieneregeln befolgt.»

Dass das bargeldlose Bezahlen trotzdem gerade einen Aufschwung erlebt, zeigt eine Auswertung der «Handelszeitung». Sie hat Zahlen der Kreditkartenfirmen und des Zahlungsverarbeiters SIX Group analysiert und kommt etwas pointiert zum Schluss: «Während des Lockdowns lernten die Schweizer die Karte lieben. Oder das Bargeld hassen.»

Nach dem Shutdown Mitte März zückten die Schweizer ihre Kredit- oder Debitkarte demzufolge rund 30 Prozent seltener als zuvor. An einen Bankomat gingen sie nicht einmal mehr halb so häufig.



Mittlerweile würden wieder gleich viele Kreditkartenzahlungen getätigt und sogar 20 Prozent mehr Debitkartenzahlungen, schreibt die Zeitung. Dabei habe auch der Anteil der kontaktlosen Kreditkartenzahlungen im Inland zugenommen, von rund 57 Prozent auf zuletzt 64 Prozent. An die Bankomaten gingen die Leute aber immer noch seltener als vor der Krise.

«Neue Normalität»

Leidtragende dieser Entfremdung vom Bargeld sind unter anderem die Verkäufer des Strassenmagazins «Surprise»: Das Heftli bezahlt man traditionell mit Bargeld, doch während elf Wochen galt ein Verkaufsverbot.

Seit dem vergangenen Freitag gehen die armutsbetroffenen Verkäuferinnen und Verkäufer wieder auf die Strasse, wobei aber kein direkter Kontakt zu den Kunden stattfindet. Die Käufer legen das Bargeld in einen Kessel, aus dem sie auch das Heft herausnehmen. Während des Verkaufsverbots entstand dem Verein eine monatliche Einkommenslücke von 250'000 Franken.

All diese Entwicklungen spiegeln wohl das, was die Bundesräte an ihren Pressekonferenzen eine «neue Normalität» nennen. Wie sich die Zahl der Masken im öffentlichen Raum oder das Verhältnis der Schweizer zum Bargeld weiter entwickeln werden, muss sich noch weisen. Denn trotz weitreichender Lockerungsschritte per 6. Juni hält das BAG fest: «Das neue Coronavirus ist immer noch da. Wir müssen uns darauf einstellen, längere Zeit mit ihm zu leben.»

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