Neues JagdgesetzRudel, Risse, Referendum: So steht es um den Wolf und seinen Schutz
Von Gil Bieler und Tobias Bühlmann
8.10.2019
Der Wolfsschutz in der Schweiz soll gelockert werden. Das treibt Umweltschützer auf die Barikaden: Sie starten ein Referendum dagegen. Doch wie steht es eigentlich um den Wolf in der Schweiz?
Wie viele Wölfe gibt es in der Schweiz?
Nachdem er zu Beginn des 19. Jahrhunderts als ausgerottet galt, fasst der Wolf seit einigen Jahren wieder Fuss in der Schweiz. Das erste Wolfsrudel bildete sich 2012 am Calanda im Bündner Rheintal. Seither hat sich die Zahl der Wölfe in der Schweiz beständig erhöht, und auch die Zahl der Rudel wächst.
Im Jahr 2012 wurden in der Schweiz zwölf Wölfe genetisch nachgewiesen. Im letzten Jahr waren es schon 46 Tiere, wie Zahlen der KORA (Koordinierte Forschungsprojekte zur Erhaltung und zum Management der Raubtiere in der Schweiz) zeigen.
Wo gibt es die meisten Wölfe?
Die meisten Rudel leben in Graubünden – nämlich «viereinhalb», wie es Hannes Jenny, Wildbiologe beim kantonalen Amt für Jagd und Fischerei, ausdrückt. Vier Rudel leben permanent auf Kantonsgebiet, ein weiteres besucht vom Tessin her regelmässig die Südbündner Region Moesa. Insgesamt gebe es im Kanton rund 30 Wölfe, wovon 17 Jungtiere seien. Zwei weitere Rudel gibt es im Wallis und eines im Waadtländer Jura.
Der Wolf zählt zu den geschützten Arten. Diesen Schutz hat das Parlament nun gelockert: Die eidgenössischen Räte haben im September beschlossen, dass Wölfe und Steinböcke künftig auch in sogenannten Jagdbanngebieten geschossen werden dürfen. Dort ist die Jagd an sich verboten. Damit gehen die Räte weiter als Bundesrat, der sich noch gegen diesen Schritt ausgesprochen hatte. Das Gesetz gibt dem Bundesrat auch die Kompetenz, weitere geschützte Tierarten für die Bestandsregulierung zum Abschuss freizugeben.
Zudem sollen die Kantone künftig über die Abschüsse entscheiden können. Heute hat der Bund hierbei das letzte Wort. Und: Künftig soll der Abschuss von Wölfen schon möglich sein, bevor sie überhaupt Schaden angerichtet haben.
Woran stören sich die Umweltschützer?
Urs Leugger-Eggimann, Zentralsekretär von Pro Natura, befürchtet einen «massiven Rückschritt im Artenschutz», wie er auf Anfrage von «Bluewin» sagt. Pro Natura lanciert darum mit anderen NGO – darunter der WWF und die Gruppe Wolf Schweiz – ein Referendum gegen die Revision des Jagdgesetzes. Leugger-Eggimann kritisiert etwa, dass die Kompetenz für eine Regulierung geschützter Arten künftig bei den Kantonen liegen soll – was dazu führen würde, dass jeder Kanton eine eigene Lösung erarbeite. «Gerade bei raumgreifenden Arten wie dem Wolf oder dem Luchs wäre ein sinnvoller Schutz so gar nicht mehr möglich.»
Dass geschützte Tierearten auch in Jagdbanngebieten geschossen werden dürften, sei schlicht «widersinnig». Ebenso stören sich die Umweltschützer daran, dass allein schon die Befürchtung, dass Schäden entstehen könnten, für einen Abschuss ausreichen soll. Und sie erwarten, dass der Bundesrat künftig auch weitere Tierarten zum Abschuss freigeben könnte: «Es wäre nur noch eine Frage der Zeit, bis auch der Schutz von Graureiher, Biber oder Luchs gelockert wird», sagt Leugger-Eggimann.
Was sagen die Befürworter?
Befürwortet wird das Gesetz vom Interessenverband Jagd Schweiz. «Der Wolf bleibt eine geschützte Art. Aber es muss möglich sein, die Bestände zu regulieren», sagt David Clavadetscher, Geschäftsführer von Jagd Schweiz. Aktuell sei die Wolf-Dichte im Calanda-Gebiet beispielsweise sehr hoch.
«Das neue Gesetz macht für Abschüsse klare Vorgaben: Ein Tier muss verhaltensauffällig sein, Schaden anrichten oder Menschen gefährden», hält Clavadetscher fest. Er steht klar hinter der Vorlage: «Es wäre eine verpasste Chance, es ist ein modernes Gesetz mit vielen guten Tierschutzaspekten.»
Wie geht es nun weiter?
Ab jenem Zeitpunkt, an dem die Lancierung des Referendums im Bundesblatt publiziert wird, läuft die Frist: Die Initianten haben 100 Tage Zeit, um 50'000 gültige Unterschriften zu sammeln. Kommt das Referendum zustande, hat das Stimmvolk das letzte Wort – und Urs Leugger-Eggimann von Pro Natura ist «sehr zuversichtlich», dass das Referendum Erfolg haben werde.
Ein aktuelles Beispiel findet sich in Graubünden: Die kantonalen Behörden haben vom Bund erst jüngst die Erlaubnis erhalten, vier Jungtiere des Beverin-Rudels zu schiessen. Das männliche Elterntier M92 hatte diesen Sommer am Heinzenberg und im Safiental 16 Ziegen gerissen, obwohl diese durch Herdenschutzmassnahmen geschützt waren.
Die Abschüsse müssen im Streifgebiet des Rudels und spätestens bis zum 31. März 2020 erfolgen, wie das Amt für Jagd und Fischerei am Freitag mitteilte. Dazu, wann genau die Abschüsse geplant sind, konnte Hannes Jenny auf Anfrage keine Angaben machen. Sie sollen jedoch bald erfolgen, solange sich Jungtiere und erwachsene Tiere optisch noch gut voneinander unterscheiden liessen.
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