Leben mit der Minimalrente – Teil 2Nach 21 Tagen ist das Monatsbudget schon verpulvert
Von Gil Bieler
23.11.2022
Steuern, Haftpflicht und Zugfahrten: Das alles habe ich vergessen, als ich mein Budget für ein Leben mit der AHV-Mindestrente erstellt habe. Doch die Bilanz wäre auch sonst ernüchternd ausgefallen.
Von Gil Bieler
23.11.2022, 16:40
Gil Bieler
Schön wär’s.
Dieser Gedanke begleitet mich zuverlässig durch meinen Selbstversuch im November. Zur Erinnerung: Ich will herausfinden, ob die AHV-Mindestrente für die Fortführung meines aktuellen Lebensstandards ausreicht. Respektive: Wie lange es geht, bis das Budget aufgezehrt ist.
Dazu habe ich mir im ersten Teil Gedanken gemacht, die ich mir als knapp 40-Jähriger normalerweise kaum mache. Ein Budget erstellt, das zeigt: Abzüglich aller Fixkosten bleibt ein frei verfügbares Budget von 51 Franken pro Tag übrig.
Ich glaubte, ich hätte alles berücksichtigt. Ich glaubte auch, 51 Franken pro Tag reichen doch. Aber eben: Schön wär’s.
Wobei: Einen hundskommunen Tag kann ich mit diesem Budget durchaus bestreiten. Selber kochen statt auswärts essen, im Laden die Billigmarken statt die Bio-Variante kaufen, das reicht. Und sogar ein abendliches Bier in der Beiz liegt drin. Lässt sich alles gut einplanen.
Spielverderber sind all die ungeplanten Ausgaben. Und davon gibt es mehr als erwartet.
Was Junge über die Altersvorsorge denken
Weil wir alle länger leben, kommt die Altersvorsorge unter Druck. Das betrifft insbesondere die Jungen. In einer Strassenumfrage wollte blue News wissen: Was denkt ihr darüber?
13.06.2022
Beispiel: Geburtstage. Zwei Einladungen flatterten ins Haus, das bedeutet zweimal ein kleines Geschenk kaufen (40 Franken). Und weil eine Jubilarin in einer ganz anderen Ecke der Schweiz wohnt, kommt noch eine zweistündige Zugfahrt obendrauf. Sogar mit Halbtax macht das 47.80 Franken fürs Billett, fast ein ganzes Tagesbudget.
Und damit hat es sich ja noch nicht. Die Neonröhren im Bad geben auch noch den Geist auf (17 Franken). Arztbesuch: über 200 Franken. Ein Gang auf die Behörden für Dokumente und Stempel und so: 163 Franken! Immerhin ins Musical werde ich eingeladen, zum Glück.
Der Monat dauert länger, als das Budget hält
Solche ungeplanten Auslagen sind auch ein häufiger Grund, dass jemand bei den Budget-Beratungsstellen der Pro Senectute anklopft. «Sei es ein Hörgerät oder auch ein Umzug in eine vielleicht günstigere Wohnung», erklären die Budgetexperten auf Anfrage. Wobei die angespannte Situation auf dem Wohnungsmarkt kostensparendes Zügeln oft erschwere. Auch Auslagen für Zahnbehandlungen seien «gerade für Personen ohne Ergänzungsleistungen oftmals eine sehr grosse Belastung».
In meinem Fall kommt noch ein Hang zu Spontankäufen dazu. 33.15 Franken allein für Coffee to go – Sparsamkeit sieht anders aus. Die Folgen überraschen kaum: Am 21. November ist das Monatsbudget schon verpulvert. Und zwar komplett.
Vermutlich habe ich sogar noch einiges vergessen einzurechnen. Wie rasch das passiert, zeigen mir die kritischen – aber überaus freundlichen – Zuschriften aus der Leserschaft.
Eine Leserin, seit einigen Jahren pensioniert, ergänzt meine Fixkostenliste um einige Pöstchen aus ihrer eigenen Erfahrung. Steuern: 100 Franken pro Monat. Strom: 60 Franken. Haftpflicht: 20 Franken. Und, und, und. In ihrem Portemonnaie bleiben am Schluss 1122 Franken übrig, 37.40 Franken pro Tag. «Absolut machbar», schreibt sie. Aber wer zum Beispiel etwas für Ferien auf die Seite legen wolle, müsse schon sehr sparsam leben.
Umfrage
Glaubst du, dass du fürs Alter finanziell abgesichert bist?
Und: Mein fiktives Budget setzt sich aus der gesetzlichen AHV-Mindestrente und meiner effektiv zu erwarteten Pensionskassen-Rente zusammen. Einem Leser vom Fach fiel natürlich sofort auf, dass die beiden Beträge streng genommen nicht auf dem gleichen Lohn basieren können. Das bedeutet: Mein Budget wäre eigentlich noch etwas schmaler.
Für viele ist das kein Gedankenspiel, sondern Realität. Das bestätigen die Budgetberater von Pro Senectute: Rentner*innen mit Ergänzungsleistungen (EL) – alleinlebend, wohnhaft in der Stadt Zürich – kämen auf eine vergleichbare Finanzlage.
Besonders hart treffe es jene, die knapp keinen Anspruch auf EL haben: Sie müssten je nachdem sogar mit weniger auskommen, «da sie ein höheres Einkommen versteuern müssen und zudem Krankheitskosten zu 100 Prozent selber tragen müssen», so die Finanzexperten.
Jede*r Sechste braucht Ergänzungsleistungen
Wer im Alter nicht von AHV oder Pensionskasse leben kann, muss also entweder auf Vermögen zurückgreifen können. Oder eben auf EL.
Ende 2020 bezogen 218'900 Menschen in der Schweiz eine EL zu ihrer AHV-Rente. Das sind 12,7 Prozent der AHV-Rentner*innen, wie die Zahlen des Bundesamts für Sozialversicherungen zeigen. Diese Beiträge dienen etwa dazu, die obligatorische Krankenversicherungsprämie zu bezahlen.
Zweite Säule und AHV-Initiative kommen ins Parlament
Die Altersvorsorge ist auch Thema an der Wintersession der Eidgenössischen Räte, die am kommenden Montag beginnt. Der Ständerat knöpft sich die im Sommer verschobene Reform der beruflichen Vorsorge (BVG) vor. Deren Kern ist die Senkung des Umwandlungssatzes zur Berechnung der Renten. Umstritten ist die Frage, wie grosszügig die am stärksten betroffenen 15 Jahrgänge kompensiert werden sollen. Im Nationalrat steht die AHV-Initiative des Gewerkschaftsbundes an, die eine 13. AHV-Rente verlangt.
Das Geld stammt aus Steuermitteln, wobei der Bund für 30 Prozent der Kosten aufkommt, die Kantone für den Rest. Entsprechend gibt es kantonal so manche Unterschiede.
Auch beim Risiko, EL beziehen zu müssen, gibt es grosse kantonale Unterschiede: In Basel-Stadt bezieht jeder fünfte Rentner, jede fünfte Rentnerin eine EL. In Appenzell-Ausserrhoden sind es dagegen nur 7,1 Prozent. Und: Wer in einem Heim lebt, ist viel eher auf EL angewiesen als jemand, der zu Hause lebt. Weil Heimpflege natürlich kostet.
Was bleibt? Der Rat, sich frühzeitig mit der finanziellen Situation im Alter auseinanderzusetzen.
Für frisch Pensionierte sei es generell empfehlenswert, ein Budget zu erstellen, lautet der Rat von Pro Senectute. «Dies gibt einen Überblick über das neue Budget.» In einem zweiten Schritt sollte abgeklärt werden, in welchen Bereichen allenfalls Abstriche gemacht werden müssen. «Hier sind die individuellen Prioritäten immer zu berücksichtigen. Für jemanden sind vielleicht Ferien nicht mehr so wichtig, dafür möchte er/sie keinesfalls auf das Auto verzichten.»
Für Personen, die relativ wenig Einkommen aus AHV und Pensionskasse haben und vom Ersparten leben, sei es sicherlich ratsam, regelmässig ein solches Budget zu erstellen und zu prüfen, ob und wann allenfalls ein Anspruch auf EL entsteht. Auch bei jeglichen Veränderungen der Lebenssituation – zum Beispiel dem Verlust des Lebenspartners – müsse die finanzielle Situation neu überprüft werden.
Wenn mich mein Selbstversuch etwas gelehrt hat, dann zweierlei: Professionelle Hilfe kann beim Budgeterstellen echt nicht schaden. Und man kann nie alles vorhersehen.
Glaubst du, im Alter genügend Geld auf der Seite zu haben? Oder wird es knapp? Diskutiere mit (vorerst nur mit Desktop-Ansicht).