Sicherheitsbedenken «Wir müssen das E-Voting stoppen!»

Valerie Zaslawski

25.1.2019

Ganz ohne Papier geht es auch beim E-Voting nicht: Mit solche einer Karte muss sich identifizieren, wer im Kanton Genf elektronisch abstimmen will.
Ganz ohne Papier geht es auch beim E-Voting nicht: Mit solche einer Karte muss sich identifizieren, wer im Kanton Genf elektronisch abstimmen will.
Bild: Keystone/Martial Trezzini

Ein Initiativkomitee rund um SVP-Nationalrat Franz Grüter will E-Voting per Volksinitiative verhindern. Das Ziel der Initianten ist nichts Geringeres als die Rettung der Demokratie.  

Es sind eindringliche Worte, mit denen der Luzerner SVP-Nationalrat Franz Grüter warnt: «Wir müssen das E-Voting stoppen!» Geht es nach dem Willen des Bundesrates, soll Abstimmen und Wählen im Internet bald Standard werden. Neben der Urne und der Briefabgabe möchte die Landesregierung den elektronischen Stimmkanal nach rund 300 Pilot-Versuchen regulär einführen. Vergangenen Dezember wurde die Gesetzesvorlage in die Vernehmlassung geschickt.



Grüter und ein bunt gemischtes Initiativkomitee, bestehend aus Politikern und innovativen Unternehmern, darunter auch Nationalrat Balthasar Glättli (Grüne, Zürich) und der Waadtländer Jean Christophe Schwaab, alt Nationalrat der SP, wollen die Einführung verhindern. Am kommenden Freitag lancieren sie die Unterschriftensammlung für eine Initiative, die ein fünfjähriges Moratorium in die Verfassung schreiben soll. Gemeinsam ist den Initianten die Sorge um die Demokratie, welche sie durch das E-Voting in Gefahr sehen.

Gesammelt wird über die Plattform WeCollect. Die offizielle Unterschriftensammlung beginnt erst, sobald sich mindestens 10'000 Personen bereit erklärt haben, je drei weitere Unterschriften zu sammeln. Dies dürfte Anfang März der Fall sein.

«Je nerdiger ein Politiker, desto kritischer ist er»

Es fällt auf, dass sich unabhängig der Parteizugehörigkeit ausgerechnet jene Parlamentarier gegen die Einführung von E-Voting einsetzen, die sich in der Materie am besten auszukennen scheinen. Glättli drückt es so aus: «Je nerdiger ein Politiker, desto kritischer ist er.» Die Initianten betonen dann auch bei jeder Gelegenheit, dass sie «keine Technologieverhinderer» seien. Vielmehr gehe es ihnen um die Art und Weise, wie der Bundesrat und insbesondere die zuständige Bundeskanzlei das Projekt vorantrieben. Unbeirrt von den jüngsten Ereignissen werde der Fahrplan durchgeboxt, schimpft Grüter. Der Grundsatz des Bundeskanzlers Walter Thurnherr – «Sicherheit vor Tempo» – werde nicht mehr eingehalten.

So hat beispielsweise der Schweizer Ableger des Chaos Computer Club vergangenen November eine Schwachstelle des Genfer E-Voting-Systems aufgezeigt, indem er zahlreiche Benutzer auf eine gleichnamige Seite umgeleitet hatte – gross war die Aufregung. Die Lücke betrifft zwar nicht nur E-Voting, sondern auch E-Banking, E-Healt, E-Broking oder E-Umzug, zeigt aber die Fragilität des Systems auf.

Unabhängig davon wurde ebenfalls im November bekannt, dass das Genfer E-Voting-Projekt auf Februar 2020 eingestellt wird. Der Kanton möchte die Kosten für die Softwareentwicklung und die mit dem Projekt verbundenen Risiken nicht mehr allein tragen. Bund und Kantone hatten ihm die finanzielle Unterstützung verweigert. Durch die Einstellung des Genfer Systems wird das Manipulationsrisiko verdoppelt, weil es künftig nur noch ein System gibt – und zwar jenes der Schweizerischen Post, das vom spanischen Unternehmen Scytl entwickelt wurde. «Wir haben eine veränderte Situation und zu viele offene Fragen, die einen zutiefst beunruhigen müssen», sagt Grüter.

Angriffe könnten Resultate verändern

Zugenommen hat auch die Cyberkriminalität als solche. «Das Gesamtsystem ist unsicherer geworden», erklärt Glättli. Dabei ist der Grüne sich freilich bewusst, dass auch analoge Systeme manipuliert werden können. Doch er gibt zu bedenken: «Attacken auf ein digitales System skalieren viel besser.» Das heisst: Einzelne Papierstimmen zu manipulieren, ist vergleichsweise einfach. Auf diese Weise den Ausgang einer Abstimmung tatsächlich zu beeinflussen, ist aber enorm aufwendig. Der Aufwand, eine Sicherheitslücke in einem E-Voting-System zu finden, ist grösser. Wenn das System aber erst einmal geknackt wurde, ist es deutlich einfacher, Angriffe im grossen Stil durchzuführen. Und diese können sehr wohl Resultate verändern.

Glättli zitiert diesbezüglich Bruce Schneier, einen weltweit anerkannten Kryptologen. Für Scheider hätten Wahlen und Abstimmungen zwei Aufgaben: Die erste sei es, den Gewinner zu bestimmen, und die ebenso wichtige zweite, den Verlierer zu überzeugen. «Wenn ein Wahlsystem aber nicht auf eine transparente und nachvollziehbare Weise akkurat ist, erfüllt es diese zweite Aufgabe nicht», sagt Glättli. Die Demokratie als System lebe indes vom Vertrauen in die Prozesse.

Schliesslich ist der Nutzen des E-Voting laut den Initianten zu klein, um das Risiko einzugehen: Das System koste viel Geld und die Stimmbeteiligung werde nachweislich nicht erhöht. Grüter sagt: «E-Voting ist für die Schweiz kein existenzielles Projekt.»

Kritik an Bundeskanzler Thurnherr

Vor allem aber, so scheint es, ist E-Voting kein Projekt, über dessen Einführung sachlich diskutiert werden kann. Die Debatte verläuft vielmehr hitzig und emotional.

Dazu dürfte auch der zuständige Bundeskanzler Walter Thurnherr beigetragen haben. Für ihn sei E-Voting ein «Prestigeprojekt mit überdimensionalem Status», kritisiert beispielsweise Grüter. Mit viel Biss möchte Thurnherr die Schweiz ins digitale Zeitalter bringen. E-Voting ist ein Schwerpunktprojekt im Schweizer E-Government – und zum Synonym für Fortschritt geworden. Es herrsche ein regelrechter Hype, so Grüter.

Die Kritik an Thurnherr kommt von allen Seiten. Auch von jenen, die sich grundsätzlich für die Einführung von E-Voting aussprechen, wie zum Beispiel Carlo Sommaruga, SP-Nationalrat aus dem Kanton Genf. Er fordert in einem Vorstoss den Bundesrat dazu auf, das Genfer System wieder einzuführen, weil es in der Schweiz zwingend zwei Systeme brauche, um die Sicherheit zu gewährleisten.

Wichtig für Auslandschweizer

Unterstützung erhält der Bundeskanzler hingegen von Matthias Samuel Jauslin, der für die Aargauer FDP im Nationalrat sitzt. Er gehört der für die Gesetzesrevision zuständigen Staatspolitischen Kommission an. «Die Bundeskanzlei macht mit ihrem Fahrplan nicht, wie von den Gegnern behauptet, unbeirrt vorwärts», sagt er. Vielmehr sei E-Voting ein Projekt, an dem man seit 2004 arbeite. «Im Kanton Aargau haben wir mit dem System nur positive Erfahrungen gemacht

Jauslin ist denn auch überzeugt, dass die Zukunft dem E-Voting gehört. Das Initiativkomitee betreibe «Angstmacherei» und male «den Teufel an die Wand». Die drei zur Debatte stehenden Abstimmungskanäle seien alle gleich sicher oder unsicher. Allfällige Manipulationen würden durch die Verifizierbarkeit der Systeme kontrolliert. Zudem sei E-Voting für Auslandschweizer die einzige Möglichkeit, stressfrei abzustimmen.

Warum ausgerechnet die Schweiz die Vorreiterrolle einnehmen soll, nachdem sich ihre Nachbarländer gegen E-Voting ausgesprochen haben, erklärt Jauslin so: «Die Schweiz hat viel Erfahrung mit der direkten Demokratie, wieso nicht einen Schritt weitergehen im Zeitalter der Digitalisierung?» Er ist überzeugt: «Stillstand wäre gleich Rückschritt.»

Eine Debatte anstossen

Sowohl Thurnherr als auch die Initianten sehen ihr Engagement als Gelegenheit, eine Debatte über das E-Voting anzustossen – wenn auch ihre jeweilige Motivation unterschiedlicher nicht sein könnte. Das letzte Wort wird dann wohl ohnehin das Volk haben. Die Vernehmlassung des Bundesrats zum Thema dauert noch bis Ende April. Danach will der Bundesrat eine Standortbestimmung durchführen und die allfällige Botschaft ans Parlament verabschieden. Beschliessen die eidgenössischen Räte tatsächlich eine entsprechende Gesetzesänderung, kann dagegen das Referendum ergriffen werden.

Mit der Initiative soll sowohl die flächendeckende Einführung verhindert als auch sichergestellt werden, dass es nicht beim Status Quo – einem ewigen Versuchszustand – bleibt.


Vernehmlassung zum E-Voting läuft

Der Bundesrat möchte das E-Voting vom Testbetrieb in einen ordentlichen Betrieb überführen. Die Anforderungen sollen im Gesetz festgeschrieben werden, weshalb das Bundesgesetz über die politischen Rechte teilrevidiert werden muss. Im Juni 2018 hatte die Landesregierung die Bundeskanzlei beauftragt, eine entsprechende Vorlage auszuarbeiten, nachdem die «Expertengruppe elektronische Stimmabgabe» zum Schluss gekommen war, dass «E-Voting mit vollständig verifizierbaren Systemen sicher und vertrauenswürdig angeboten werden kann». Die Vorlage wurde vergangenen Dezember in die Vernehmlassung geschickt. Der Bund soll demnach den Rahmen für das E-Voting vorgeben, insbesondere die Minimalanforderungen an die Sicherheit. Die hohen, bereits heute geltenden Sicherheitsmassnahmen sollen weitergeführt werden. Dabei können die für Wahlen und Abstimmungen zuständigen Kantone weiterhin entscheiden, ob sie E-Voting anbieten wollen oder nicht. Die Stimmberechtigten sollen ebenfalls weiterhin wählen dürfen, ob sie ihre Stimme lieber brieflich oder persönlich an der Urne abgeben wollen. Neu sollen die Kantone aber nicht für jede Abstimmung eine Zulassung beim Bund einholen müssen.

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