Ehe für alle Lärm und Polizeieinsatz läuten die letzte Runde im Dauerstreit ein

Von Gil Bieler

12.4.2021

Der Streit um die Ehe für alle dauert schon länger als manche Ehe – und wird noch immer leidenschaftlich geführt. Das zeigte sich heute erneut in Bern, wo Gegner und Befürworter aufeinanderprallten. 

Von Gil Bieler

«So etwas habe ich noch nie erlebt», sagt Anian Liebrand. Der Luzerner SVP-Politiker ist Koordinator des Referendumskomitees «Nein zur Ehe für alle», das am Montagnachmittag in Bern seine gesammelten Unterschriften einreichte. Dort wurde er nicht nur von den Kameras erwartet, sondern auch von Demonstranten.

«Sie haben uns beleidigt und versucht, alles niederzuschreien», sagt Liebrand zu «blue News». «Da bekam ich schon ein etwas mulmiges Gefühl.» Die Kantonspolizei Bern musste eingreifen, zeigte 49 Personen wegen Verletzung der Corona-Massnahmen an und wies sie weg.

Das Störmanöver zeigt: Selbst nach über siebenjährigem politischem Tauziehen um die Ehe für homosexuelle Paare haben sich die Gemüter keineswegs beruhigt. Im Gegenteil, der Dauerstreit nimmt wieder Fahrt auf – denn er steuert auf sein Finale zu.

Das von SVP- und EDU-Politiker*innen angeführte Referendumskomitee hat nach eigenen Angaben 59'176 beglaubigte Unterschriften eingereicht, hinzu kämen 7334 unbeglaubigte Unterschriften. Das sollte für eine Volksabstimmung reichen – auf diesem Weg will das Komitee die Ehe für alle doch noch stoppen.

Operation Libero hält dagegen

Auf der Gegenseite weibelt die Operation Libero gerade prominent für ein Ja zur Ehe für alle. Eine Online-Petition zum Thema wurde bis zum frühen Montagabend von fast 100'000 Personen unterzeichnet – wobei diese bereits 2015 aufgeschaltet wurde, wie Jessica Zuber, Kampagnenleiterin der Operation Libero, auf Anfrage sagt.

«Bis zum Entscheid im Parlament ging es darum, den Politiker*innen Dampf zu machen», erklärt Zuber. «Vor der Einreichung des Referendums wollten wir den Menschen nun eine Möglichkeit geben, ihre Zustimmung zu signalisieren.» Rund die Hälfte der Unterschriften kam denn auch seit letztem Freitag zusammen.

Darum geht's

Die Ehe für alle wurde bereits 2013 von den Grünliberalen angestossen, aber erst im Dezember 2020 von den eidgenössischen Räten angenommen. Das Geschäft öffnet die Ehe auch gleichgeschlechtlichen Paaren und will lesbischen Paaren Zugang zur Samenspende gewähren. Völlige Gleichstellung gibt es aber dennoch nicht: So bleibt die Leihmutterschaft, mit der ein schwules Paar Kinder bekommen könnte, illegal. Auch bei der Hinterlassenenrente wird nichts verändert. Ein Nein-Komitee, dominiert von SVP und EDU, hat dagegen das Referendum ergriffen.

Wird die Operation Libero auch im Abstimmungskampf mitmischen? Zuber bejaht, kann dazu aber erst so viel sagen: «Es soll eine Mitmach-Kampagne mit einer positiven Botschaft werden.» Das Ziel sei, dass sich möglichst viele Menschen für die Ehe für alle einsetzen werden. Man stehe hierbei auch in Austausch mit dem offiziellen Ja-Komitee.

Dass homosexuelle Paare auch in der Ehe dieselben Rechte haben sollten wie heterosexuelle, sollte «eine Selbstverständlichkeit» sein, findet Zuber. «Es passt nicht zu einer liberalen Demokratie, dass Menschen aufgrund der sexuellen Orientierung vom Rechtsinstitut Ehe ausgeschlossen werden.»

Das Referendumskomitee dagegen findet, die Ehe solle eine «natürliche Lebensgemeinschaft von Mann und Frau» bleiben. Insbesondere stört man sich daran, dass auch lesbische Paare Zugang zur Samenspende erhalten sollen. Liebrand spricht von einem folgenschweren Entscheid: «Das war einmal als Ultima Ratio für unfruchtbare Paare gedacht, aber so wird es zu einem Anspruch auf Kinder für lesbische Paare.»

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Ferner stört sich das Komitee daran, dass die Ehe für alle ohne Verfassungsänderung eingeführt werden sollte – das Volk hätte sich ohne Referendum also nicht äussern können.

Dass der Abstimmungskampf nicht einfach zu gewinnen sein wird, räumt Liebrand ein: «Der gesellschaftliche Trend läuft in eine andere Richtung, aber wir nehmen diesen Kampf dennoch auf.»

«Das Referendum wird die letzte Hürde»

Bei der Operation Libero hat man keine Angst vor einer Abstimmungsniederlage, wie Zuber sagt. Sie ist überzeugt: «Das Gegner-Komitee steht nicht für die Mehrheit der Bevölkerung.» Sie verweist auf eine 2019/20 durchgeführte repräsentative Umfrage, in der 82 Prozent der Befragten die Ehe für alle befürwortet hatten. Die Erhebung war vom Institut GFS Zürich im Auftrag von Pink Cross, dem Dachverband der schwulen und bisexuellen Männer, durchgeführt worden.

Auch auf Social Media verbreiten sich in diesen Tagen die Regenbogenflagge und der Slogan «Love is Love», mit dem für die Ehe für alle geworben wird. 

«Das Referendum wird die letzte Hürde, damit die Ehe für alle endlich Realität wird», glaubt Zuber. Dass es wohl überhaupt zu einer Abstimmung kommt, sieht sie auch positiv: «In der Schweiz dauern solche Prozesse zwar länger – aber wenn das Stimmvolk einmal Ja gesagt hat, wird nicht mehr daran gerüttelt.»