ZertifikatspflichtDie Luft für Ungeimpfte wird dünner
uri
30.8.2021
Das Gewerbe, die Fitnessbranche und die Gastronomie wehren sich mit aller Kraft gegen eine Ausweitung der Zertifkatspflicht. Der Druck durch Politik, Verbände und Experten steigt jedoch.
uri
30.08.2021, 15:22
30.08.2021, 16:28
uri
Mit den steigenden Corona-Fallzahlen will der Bundesrat die Zertifikatspflicht ausweiten. Er bekommt auch deutliche Unterstützung vom Präsident der Impfkommission Christoph Berger, aus den anderen Parteien und den Kantonen. Berger plädiert für eine Ausdehnung der Covid-Zertifikatspflicht. Im Gespräch mit der «Sonntagszeitung» sagte der Infektiologe am Kinderspital in Zürich, jetzt brauche «es härtere Massnahmen gegen die vierte Welle und etwas Druck auf die Ungeimpften».
Eine Ausweitung der Zertifikatspflicht sei nun unumgänglich: «Man kann nicht mehr warten. Sie muss nun wie vorgeschlagen auch für kleinere Veranstaltungen, Restaurants, Kinos und Theater gelten.» In einer Lage wie der aktuellen, wenn «grosser Schaden wie die Überlastung des Gesundheitssystems» drohe, sei es legitim, Ungeimpfte zu benachteiligen, so Berger.
Nur die SVP dagegen
Auch fast alle anderen grossen Parteien stimmen den Ideen des Bundesrats zu. Das Covid-19-Zertifikat habe sich bewährt, lautet der bereits vor Ablauf der Konsultationsfrist veröffentlichte breite Konsens. Lediglich die SVP rät von «inkompetenten und ungerechten» Massnahmen des Bundesrates durchwegs ab. Die Ausweitung werde vielen Betriebe wirtschaftlich schaden. Zudem hätten sich die existierenden Schutzkonzepte für die Gastronomie und die Hotellerie bewährt.
Bereits am letzten Donnerstag erklärte Lukas Engelberger, Präsident der Konferenz der kantonalen Gesundheitsdirektorinnen und -direktoren GDK vor den Medien in Bern: «Wir haben bei der Ausweitung der Zertifikats-Pflicht eine grosse Einigkeit mit dem Bundesrat». Das Covid-Zertifikat sei «eine Erfolgsgeschichte». Die Mehrheit der Gesundheitsdirektorinnen und Gesundheitsdirektoren sei der Meinung, dass eine Ausweitung der Zertifikat-Pflicht «der richtige Weg ist.» Alle anderen möglichen Massnahmen wären einschneidender und auch «weniger gerecht», weil Geimpfte unter den Massnahmen zu leiden hätten, hält die Konferenz fest.
Grossveranstalter dafür
Befürwortet wird die Massnahmen zudem vom Wirtschaftsdachverband Economiesuisse, dem Schweizerischen Arbeitgeberverband und dem Hotelier-Verband Hotelleriesuisse. Sie arguemtieren damit, dass sich so ein Lockdown abwenden lasse.
Ebenfalls begrüssten die Grossveranstalter den Vorschlag am heutigen Montag. Ihre Interessengemeinschaft Perspektive Live Unterhaltung machte aber deutlich, dass es auch ihrer Sicht keine weiteren Zugangsbeschränkungen wie Kontaktdatenerhebung, Maskenpflicht, Abstands- oder Teilnehmerbeschränkungen geben dürfe.
Alain Berset hatte ausserdem erklärt, dass das Zertifikat künftig auch in die «Schutzkonzepte von Unternehmen» miteinbezogen werden könne, um etwa Geimpften, Getesten oder Genesene den Arbeitsalltag zu erleichtern.
Widerstand bei Gastrosuisse und Fitnessverband
Über diese Idee gespalten zeigen sich die Gewerkschaften, wie der «Tages-Anzeiger» schreibt. Der Gewerkschaftsdachverband Travail Suisse erachte das Ansinnen als problematisch, auch der Gewerkschaftsbund lehne es ab. Begrüsst werde eine entsprechende Zertifikatspflicht indes von der Unia. Ebenfalls nicht einig seien sich die Arbeitgeber. Der Arbeitgeberverband sehe das Ansinnen positiv, der Gewerbeverband stellt sich indes dagegen.
Erbitterten Widerstand zeigte bereits vor Ablauf der Konsultationsfrist auch der Gastgewerbeverband Gastrosuisse. Gastrosuisse-Präsident Casimir Platzer erklärte an einer Medienkonferenz am vergangenen Mittwoch, sie sei «verfassungswidrig», es drohten «massive Einbussen» und «Spaltung der Gesellschaft».
Auch der Schweizer Fitnessverband warnt vor einer Ausweitung der Zertifikatspflicht auf seine Betriebe. In einer Mitteilung erklärte er, wenn man für Besuche der Fitnesscenter künftig ein Zertifikat benötige, würden ungeimpfte Kundinnen und Kunden ihr Abonnement kündigen. Bereits jetzt rechne man aufgrund der Pandemie mit einem Umsatzverlust von 40 Prozent. Man werde Härtefall-Zahlungen brauchen, um die Konsequenzen bewältigen zu können.
«Lieber Zertifikat statt Lockdown»
In einer nicht repräsentativen Umfrage von Lesern der Internetangebote des SRF mit mehr als 70'000 Teilnehmenden, gaben immerhin 58 Prozent an, für eine Ausweitung der Zertifikatspflicht zu sein. 37 Prozent waren dagegen, 4 Prozent seien unschlüssig.
Der Politgeograf Michael Hermann sagte im Gespräch mit «blue News», aufgrund der stark gestiegenen Fallzahlen und der Belastung der Spitäler, würden nun «die Menschen in der Schweiz anders abwägen». Sie würden den Ernst der Lage erkennen. Letztendlich sei es ihnen lieber, «so ein Zertifikat zu haben, anstatt eines Lockdowns».
Michael Hermann über das Covid-Zertifikat: «Die Menschen machen eine Abwägung»
Der Polit-Geograf über die Entscheidung der Landesregierung, möglicherweise eine Verschärfung des Covid-Zertifikats einzuführen.