Experte über Autobahn-Ausbau«Wir doktern herum, statt die Ursachen anzugehen»
Von Alex Rudolf
27.1.2022
Bundesrat will Autobahnausbau in vier Regionen anpacken
Der Bundesrat schlägt dem Parlament vor, fünf Autobahn-Ausbauprojekte definitiv zu beschliessen. Er beantragt dafür einen Kredit von 4,3 Milliarden Franken, wie Verkehrsministerin Simonetta Sommaruga am Mittwoch in Bern bekanntgab.
Herr Sauter-Servaes, sind die vom Bundesrat beschlossenen Massnahmen sinnvoll?
Dass die Autobahn unterhalten werden muss, damit sie sicher bleibt, ist sicher notwendig. Wir sehen derzeit in den USA, was geschieht, wenn Infrastrukturen vernachlässigt werden und diese am Zerfallen sind.
Was hat der Bundesrat beschlossen?
Am Mittwoch kündigte der Bundesrat an, dass er zwischen 2024 und 2027 rund 8,4 Milliarden in den Betrieb, den Unterhalt und die Anpassungen der Nationalstrassen stecken will. Weiter will er 4,3 Milliarden für fünf baureife Erweiterungsprojekte ausgeben. Diese müssen aber noch vom Parlament abgesegnet werden. Ziel sei es, den Verkehrsfluss zu verbessern und die Auswirkungen auf die Umwelt, wie etwa Lärm, zu reduzieren.
Und die Ausbauprojekte?
Diese kann ich nicht im Detail beurteilen, doch denke ich, dass der Ausbau der Autobahn einen Zielkonflikt zwischen dem Heute und dem Morgen darstellt. Heute wollen die Menschen keinen Stau, sie wollen rasch mit dem Auto zu ihrer Arbeit und wieder nach Hause gelangen. Dies lässt sich aber nicht mit dem Morgen vereinbaren. Wollen wir bis 2050 die Klimaneutralität erreichen, müssen wir besonders im Verkehr den CO2-Ausstoss drastisch reduzieren.
Dass der Ausstoss gesenkt werden muss, weiss auch der Bundesrat: Warum will er dennoch einen Ausbau?
Wo soll ausgebaut werden?
Die Planung der fünf Projekte N1 Wankdorf – Schönbühl, N1 Schönbühl – Kirchberg, N1 Rosenbergtunnel in St. Gallen, N2 Rheintunnel in Basel und N4 Fäsenstaubtunnel in Schaffhausen sind weit fortgeschritten. Mit dem Bau könnte innerhalb der nächsten vier Jahre gestartet werden. Daher beantragt der Bundesrat dem Parlament einen Kredit von rund 4 Milliarden Franken für diese Projekte.
Der Bundesrat macht mit dem Ausbau-Entscheid Realpolitik. Denn niemand spricht sich dagegen aus, dass er oder sie seltener im Stau steckt. Uns muss aber klar sein: Säen wir Infrastruktur, ernten wir zusätzlichen Verkehr. Sind die Autobahn-Verbindungen attraktiv, werden sie auch mehr Menschen benutzen. Dass der Bundesrat dieses Problem nicht anpackt, ist das Problem. Zwar sehen wir uns hier in der Schweiz zu Recht als absolutes ÖV-Paradies. Doch wird auch hier rund 80 Prozent der Verkehrsleistung auf der Strasse abgewickelt.
Was sind die langfristigen Konsequenten?
Der Bundesrat zementiert den Status quo und verpasst es, einen Paradigmenwechsel herbeizuführen. Wir doktern weiter an den Symptomen herum, statt die Ursachen der Probleme anzugehen.
Was wäre Ihr Vorschlag?
Wir beginnen nicht auf der grünen Wiese. Verkehrsinfrastrukturen wurden gebaut und müssen auch zukünftig sicher nutzbar sein. Doch die 4,3 Milliarden für die Ausbauprojekte sollten hinterfragt werden. Was könnte man allein mit einer Milliarde an Innovationen anschieben, um die Mobilität auf einen zukunftsfesten Pfad zu lenken? Ein Weiter-wie-bisher reicht nicht. Die Schweiz war ein globaler Leuchtturm für ein modernes ÖV-System, jetzt müssen wir Pionier bei der Anwendung von Sharing-Systemen, digital vernetzten Co-Working-Spaces und verkehrsarmen Stadtstrukturen werden. Die Schweiz kann das.
Thomas Sauter-Servaes
zVg
Thomas Sauter-Servaes leitet den Studiengang Verkehrssysteme an der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften.
Wie wird der Verkehr der Zukunft in der Schweiz und in Europa aussehen?
Ich glaube nicht, dass uns Prognosen weiterhelfen. Wir müssen eine Zielvision formulieren und die Planung konsequenter danach ausrichten. Ohne hartes Gegensteuern wird es nicht gehen. Seit den 1990er-Jahren senkte in der EU jeder Sektor seinen Ausstoss teils massgeblich. Nur die Emissionen im Bereich Verkehr stiegen um rund 30 Prozent.