Ein Kontinent am LimitZweite Corona-Welle trifft Afrika mit voller Wucht
twei
6.2.2021
Die erste Corona-Welle meisterte Afrika trotz schlimmer Befürchtungen besser als viele europäische Länder. Umso mehr machen dem Kontinent jetzt Impfstoff-Knappheit, steigende Infektionszahlen und gefährliche Mutationen zu schaffen.
Nachdem die Corona-Pandemie Europa seit knapp einem Jahr in einen dauerhaften Ausnahmezustand versetzt, schien die Situation in Afrika lange Zeit unter Kontrolle. Infektionszahlen blieben auf dem Kontinent verglichen mit der Lage anderswo auf der Welt lange niedrig. Und das, obwohl viele Experten angesichts der zahlreichen Vorerkrankungen von Malaria bis Ebola im Zusammenspiel mit dem schwachen Gesundheitssystem vieler Länder und der grassierenden Armut fatale Folgen befürchteten.
2021 ist der vorsichtige Optimismus, Afrika würde sich womöglich schadloser aus der Coronakrise ziehen können, verflogen. Ganz im Gegenteil: Ein ganzer Kontinent ist in akuter Alarmbereitschaft, wie «Spiegel Online» (Paid Content) berichtet. Von den niedrigen Fallzahlen des vergangenen Jahres – freilich auch bedingt durch weniger Tests und das niedrige Durchschnittsalter der Bevölkerung – ist seit November nicht mehr viel übrig.
Das macht ein Hilferuf von John Nkengsong, dem Chef der Africa Centres for Disease Control and Prevention, Mitte Januar deutlich. Er berichtete von einer ungefähren Verdoppelung der bisherigen Höchststände pro Tag von Juli und August 2020. Wie prekär die Lage ist, macht ein Blick auf Nigeria deutlich. Während im Dezember täglich etwa 100 Menschen am Coronavirus erkrankten, meldete das Land am 23. Januar schon 2464 Fälle.
Spitäler am Limit
Zunehmend geraten die Spitäler an ihr Limit – nicht nur in Nigeria. Die Weltgesundheitsorganisation klassifizierte mittlerweile zehn Hotspot-Länder, zu denen etwa Südafrika und Uganda gehören. Zusätzlich zu den steigenden Fallzahlen verschlimmert die unzureichende Versorgung mit medizinischen Mitteln die Lage. Sauerstoff ist unter anderem in Ghana und der Demokratischen Republik Kongo knapp.
Eine Besserung ist derweil nicht in Sicht, wie Ambrose Otau Talisuna von der WHO beschrieb: «Wir gehen davon aus, dass wir in den nächsten vier Wochen weitere Anstiege auf dem Kontinent sehen werden.» Es wäre die Fortsetzung eines Negativtrends, der sich in Nigeria, Ägypten und Südafrika in den vergangenen Wochen in Form eines Anstiegs der Todeszahlen von 30 Prozent manifestierte – von der vermutlich hohen Dunkelziffer ganz zu schweigen.
Zur alarmierenden Situation beigetragen haben auch die Weihnachtsfeiertage, die Talisuna als «Superspreader-Event» bezeichnete: «Menschen fuhren aus den Städten aufs Land. Oder in ihr Heimatland. Die Folgen beginnen wir nun zu spüren.» Auch die Wahlkämpfe in Ländern wie Uganda und Tansania hätten Ansteckungszahlen in die Höhe getrieben.
Kaum Hoffnung auf den Start grosser Impfkampagnen
Nicht zu vergessen ist zudem eine Angst, die in Europa das Geschehen seit mehreren Wochen bestimmt: die Auswirkungen von Corona-Mutationen. Eine davon stammt auch vom afrikanischen Kontinent, die in Südafrika entdeckte Variation B.1.351.
Doch während man in vielen europäischen Ländern die Verbreitung von Mutationen mit harten Lockdown-Regelungen zu unterbinden versucht, fürchtet man in Afrika derart strenge Massnahmen. Noch gravierender als anderswo würde ein Lockdown die angeschlagene Wirtschaft vieler Länder treffen. Die dann aussichtslose Situation vieler Menschen könnte in soziale Unruhen umschlagen.
Auch die Hoffnung auf grosse Impfkampagnen, die in Europa den Wunsch nach einer Rückkehr zur Normalität bestärken, ist in Afrika gering. Viel zu wenig von den Vakzinen landet in Afrika. Wie schon bei der Versorgung mit Masken und Schutzkleidung zu Beginn der Pandemie scheint der afrikanische Kontinent auch bei den Impfstoffen am Ende der Lieferkette zu stehen.
«Katastrophales moralisches Versagen»
Wenn Vakzine in Afrika ankommen, profitieren vor allem reiche Staaten. Laut «NZZ» landen 85 Prozent der Impfstoffdosen in gerade einmal zehn Ländern. Einzig die verhältnismässig reichen Seychellen brachten bislang eine Impfkampagne ins Rollen. Für WHO-Generaldirektor Tedros Adhanom Ghebreyesus war dies Grund genug, der Welt ein «katastrophales moralisches Versagen» zu attestieren.
In der Tat könnten für Europa und den Rest der Welt die ausbleibenden Impfungen gravierende Folgen haben. Experten befürchten weitere gefährliche Mutationen, sollte das Virus in Afrika in weiteren Wellen wüten. Gelangen diese nach Europa, könnte das auch eine geringere Wirksamkeit der Impfstoffe nach sich ziehen – ein verhängnisvoller Teufelskreis.