Warnung vor LockerungenWHO-Experte sieht Europa «im Epizentrum der Pandemie»
gbi
4.11.2021
Der zuständige Regionaldirektor der Weltgesundheitsorganisation zeichnet ein düsteres Bild der Covid-Lage in Europa. Verbessere sich die Situation nicht, drohten Hunderttausende Todesfälle im Winter.
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04.11.2021, 12:46
04.11.2021, 13:46
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«Europa befindet sich einmal mehr im Epizentrum der Pandemie», sagte Hans Kluge, WHO-Regionaldirektor für Europa, an einer virtuellen Medienkonferenz am Donnerstag. Alle 53 Länder der Region – zu der die WHO auch die Türkei und Russland zählt – seien von einem neuen Anstieg der Covid-Fallzahlen bedroht, respektive befänden sich schon mitten in der Bekämpfung dieser Welle.
Im vergangenen Monat seien die Fallzahlen um über 55 Prozent in die Höhe geschossen, so Kluge, und fast die Hälfte aller Covid-Todesfälle weltweit würden in Europa verzeichnet. «Wir sehen, dass die Pandemie nicht mehr unter Kontrolle ist.»
Setze sich dieser Trend weiter fort, würden auf dem Kontinent bis Februar 2022 bis zu eine halbe Million weiterer Menschen an den Folgen einer Covid-Infektion sterben. Wobei der Belgier auf eine Journalistenfrage hin einräumte, dass solche Berechnungen schwierig anzustellen seien, da so viele Faktoren mitspielten.
Zu tiefe Impfrage als Grund
Die Entwicklung sei besorgniserregend, wofür Kluge zwei Hauptgründe anführte. Zum einen seien die Impfraten und das Impftempo zu tief. So seien in der gesamten Region nur 47 Prozent der Menschen vollständig geimpft.
Das mag angesichts der Diskussion in der Schweiz – wo die Durchimpfungsrate immerhin rund 64 Prozent beträgt – nach wenig klingen. Doch sind es in anderen Ländern deutlich weniger: In Rumänien etwa sind laut WHO-Angaben erst rund 30 Prozent der Bevölkerung vollständig geimpft, in Bulgarien sogar lediglich rund 20 Prozent.
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Der WHO-Regionaldirektor beklagt einen «Mangel an Vertrauen in gewissen Teilen der Bevölkerung». Die Behörden dürften sich davon nicht entmutigen lassen und müssten alles versuchen, die Ungeimpften umzustimmen.
«Jede Lockerung muss sehr gut überlegt sein»
Zum anderen seien in sieben Ländern die Schutzmassnahmen in jüngster Zeit gelockert worden. «In diesem Umfeld muss jede Lockerung sehr gut überlegt sein.» Es brauche beides: Impfungen und Massnahmen. Die Idee von Impfungen sei es nicht, eine Übertragung zu verhindern, dafür brauche es weiterhin Massnahmen wie Abstand, Hygiene und Schutzmasken.
Das gelte umso mehr, als in ganz Europa die hoch ansteckendere Delta-Variante dominiere und die Menschen sich mit Beginn der kalten Jahreszeit wieder vermehrt in geschlossenen Räumen aufhielten. Auch dass in vielen Ländern am Arbeitsplatz kaum Masken getragen würden, sieht der Regionaldirektor mit Sorge.
Kluge unterstreicht: «Wenn die Fallzahlen steigen, ist es nicht der richtige Zeitpunkt zum Lockern.» Wie vor einem Jahr befinde sich Europa erneut an einem kritischen Punkt in der Pandemie. «Mit dem Unterschied, dass wir heute mehr wissen und die nötigen Instrumente haben.»