Mario Draghi in NotWas ist eigentlich schon wieder in Italien los?
Von Andreas Fischer
20.7.2022
Italiens Ministerpräsident Draghi strebt Fortsetzung seiner Regierung an
Der italienische Ministerpräsident Mario Draghi strebt eine Fortsetzung seiner bisherigen Regierung an. Als Voraussetzung dafür forderte er in einer Rede vor dem Senat in Rom einen neuen «Vertrauenspakt» zwischen den Parteien. Für den Nachmittag i
20.07.2022
Eigentlich wollte Mario Draghi als Regierungschef aufhören. Fünf Tage lang hofften die Italiener, dass er es sich anders überlegt. Nun will Draghi zwar weitermachen, aber aus dem Schneider ist Italien noch nicht.
Von Andreas Fischer
20.07.2022, 14:10
20.07.2022, 14:24
Von Andreas Fischer
«Seid ihr bereit, den Vertrauenspakt wiederherzustellen?», fragte Mario Draghi am Schluss den italienischen Senat. Der Ministerpräsident hatte sich in einer Rede wegen der Regierungskrise zur aktuellen Lage in Italien äussern müssen, die, gelinde ausgedrückt, chaotisch ist.
Kurz zusammengefasst: Ein Koalitionspartner wirft das Handtuch. Draghi will zurücktreten. Draghi darf nicht zurücktreten. Die Koalition kann eigentlich auch ohne die abtrünnige Fünf-Sterne-Bewegung weitermachen. Das will Draghi nicht, aber weitermachen vielleicht doch ...
Für Italien steht sehr viel auf dem Spiel
Nun sind Regierungskrisen nichts Ungewöhnliches in Italien. Allein in der aktuellen Legislaturperiode gab es seit 2018 derer drei, die letzte im Februar 2021. Regierungskrisen kommen nie gelegen, die aktuelle lähmt das Land nun aber wirklich zur Unzeit. Der Krieg in der Ukraine, die damit verbundenen Unsicherheiten in der Energieversorgung, Inflation, schwacher Euro, dazu Hitzewellen, Dürre, und die Corona-Pandemie ist ja auch nicht vorbei.
Die Regierung muss zudem im zweiten Halbjahr wichtige Reformen mit politischem Konfliktpotenzial umsetzen, um sich EU-Milliarden aus dem Corona-Wiederaufbaufonds zu sichern. Ausserdem muss der Haushalt beschlossen werden, was traditionell zu Streit führt.
Machtspiele der Populisten
Um diese Probleme zu lösen, braucht es eine stabile Regierung. Die aber gibt es in Rom nicht, obwohl sich Ministerpräsident Mario Draghi eigentlich auf ein breites Parteienbündnis stützen kann: Ausser der rechtsnationalen Fratelli d’Italia sind in der «Regierung der nationalen Einheit» alle Parteien vertreten. Weil aber die Fünf-Sterne-Bewegung von Draghis Amtsvorgänger Giuseppe Conte nicht mehr mitmachen will, steht Italien wieder einmal am politischen Abgrund.
Wie konnte es so weit kommen? Die populistische Fünf-Sterne-Bewegung hatte in der Vorwoche im Senat die Abstimmung über ein Hilfspaket boykottiert, die Draghi mit der Vertrauensfrage verknüpft hatte. Offiziell ging es den Fünf Sternen dabei um eine umstrittene Müllverbrennungsanlage in Rom, die sie ablehnen.
Beobachter und politische Kommentatoren sehen freilich einen anderen Grund: Die populistische Partei kämpft mit Auflösungserscheinungen und um das politische Überleben. Aussenminister Luigi Di Maio hatte die Bewegung unlängst mit Dutzenden Unterstützern verlassen und die neue Partei «Insieme per il futuro» (Gemeinsam für die Zukunft) gegründet. «Mitten im Krieg eine Regierungskrise auszulösen, das ist ein unverantwortlicher Akt», kritisierte di Maio seine ehemaligen Parteifreunde deutlich.
Draghi will alles oder nichts
«Die Mehrheit der nationalen Einheit gibt es nicht mehr», sagte ein enttäuschter Mario Draghi nach der Vertrauensabstimmung und reichte seinen Rücktritt ein, der von Präsident Sergio Mattarella (dessen Wahl im Januar ziemlich chaotisch war) umgehend abgelehnt wurde. Draghi solle vielmehr dafür sorgen, dass es im Parlament eine stabile Mehrheit gebe.
Draghi hätte zwar auch ohne die Fünf Sterne eine Mehrheit im Parlament, hat ihre Beteiligung aber bis zuletzt zur Bedingung für eine Regierung unter seiner Führung gemacht. Einerseits, weil die Bewegung bei den letzten Parlamentswahlen 2018 stärkste Kraft geworden waren, andererseits sind sie ein Gegengewicht zur rechten Lega von Matteo Salvini, die ebenfalls an der Regierung beteiligt ist.
Am heutigen Mittwoch kommt es in der aktuellen italienischen Regierungskrise zum ersten Showdown. Zwar hat Draghi die Bitten seiner Landsleute erhört und sich vor dem Senat generell bereit erklärt, weiterhin Regierungschef zu bleiben. Dies aber nur, wenn sich die zuletzt zerstrittenen Regierungsparteien geschlossen hinter ihn und die Exekutive stellen.
«Ich war noch nie so stolz, Italiener zu sein», sagte der 74-Jährige, der seit 2021 als Ministerpräsident einer Regierung im Amt ist, die geschaffen worden war, um das Land aus der Corona-Pandemie und der wirtschaftlichen Krise herauszuholen. Das ist Draghi gut gelungen.
Neuwahlen sind der letzte Ausweg
Nun aber brauche es «einen neuen Pakt des Vertrauens, der aufrichtig und korrekt ist, wie jener, der es uns bislang erlaubt hat, das Land zum Besseren zu verändern», forderte Draghi. Die Abstimmungen sind für den heutigen Abend im Senat und für Donnerstag in der grösseren Abgeordnetenkammer geplant. Der Ausgang ist völlig offen.
Wie geht es also mit Italien weiter? Die Möglichkeiten reichen von einer Fortsetzung einer Regierung unter Draghis Führung bis zu vorgezogenen Wahlen. Eigentlich würden erst im Frühjahr 2023 wieder Wahlen anstehen, sollte die Regierung platzen, könnte bereits im Herbst gewählt werden. Das wollen aber die meisten Parteien nicht. Ausser den rechtsnationalen Fratelli d’Italia, die nach aktuellen Umfragen als einzige profitieren würden.