Iran Von Assad bis Ankara: Positionen im Syrien-Krieg

SDA

5.12.2024 - 15:07

Flüchtlinge gehen zwischen den Zelten in einem Lager in der Stadt Tabqa im Gouvernement Raqqa im Norden Syriens. Foto: Hogir El Abdo/AP/dpa
Flüchtlinge gehen zwischen den Zelten in einem Lager in der Stadt Tabqa im Gouvernement Raqqa im Norden Syriens. Foto: Hogir El Abdo/AP/dpa
Keystone

Nach Jahren ohne grössere Kämpfe im syrischen Bürgerkrieg ist der Konflikt im Laufe einer Woche wieder voll entflammt. Eine Allianz aus eigentlich rivalisierenden Rebellen hat überraschend schnell grosse Gebiete im Nordwesten eingenommen, darunter auch Syriens zweitgrösste und symbolträchtige Stadt Aleppo.

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Jetzt stiessen die Rebellen in die südlich gelegene Stadt Hama vor. Die Regierungstruppen seien ausserhalb der Stadt verlegt worden, um «das Leben von Zivilisten» in Hama zu schützen, teilte das syrische Verteidigungsministerium mit.

Der Konflikt in Syrien begann 2011 mit Protesten gegen die Regierung von Staatschef Baschar al-Assad. Sicherheitskräfte gingen dagegen mit Gewalt vor. Alles mündete in einen Bürgerkrieg mit internationaler Beteiligung, in dem Russland, der Iran, die Türkei und die USA eigene Interessen verfolgen. Rund 14 Millionen Menschen wurden vertrieben. Nach UN-Schätzungen kamen bisher mehr als 300.000 Zivilisten ums Leben. Eine politische Lösung ist seit Jahren nicht in Sicht.

Machthaber Assad deutlich geschwächt

Die überraschend schnelle Offensive der Rebellen habe «peinliche Schwächen in der Verteidigung des Assad-Regimes» aufgedeckt, schreibt Hamidreza Azizi von der Stiftung für Wissenschaft und Politik im Magazin «Foreign Policy». Die Rebellenallianz habe deutlich an Bedeutung gewonnen, Assad und sein Regime seien zutiefst geschwächt, schreibt der Syrien-Experte Charles Lister.

Der militärische Einfluss Assads stützte sich bisher vor allem auf die Unterstützung der Verbündeten. Mit Hilfe der russischen Luftwaffe, Kämpfern der proiranischen Hisbollah und iranischen Revolutionswächtern sicherte sich Assad zuletzt wieder die Kontrolle über zwei Drittel des gespaltenen Landes. Ob er sich langfristig an der Macht halten kann, wird auch vom Verhalten Moskaus und Teherans abhängen.

Assads wichtigste Unterstützer sind mit eigenen Problemen beschäftigt: Russland mit dem Krieg in der Ukraine, die Hisbollah und ihr Unterstützer Iran mit harten Rückschlägen im Krieg gegen Israel. Fast die gesamte Hisbollah-Führungsriege sowie eine grosse Zahl ihrer Kämpfer wurden getötet.

HTS plant den Sturz Assads

Die Islamistengruppe Haiat Tahrir al-Scham (HTS), die den Nordwesten beherrscht und die Offensive anführt, plant den Sturz Assads. Durch die Einnahme der Millionenstadt Aleppo haben die Rebellen die Kontrolle über das Wirtschaftszentrum des Landes bekommen.

HTS folgte auf einen früheren Ableger der Terrororganisation Al-Kaida in Syrien, hat sich aber von dieser wie auch von der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) distanziert. Die Gruppe gilt heute als etwas moderater als der IS oder die afghanischen Taliban. Sie hat auch erklärt, Minderheiten und andere Religionen respektieren zu wollen.

Im Kern handelt es sich dennoch um eine autoritäre bewaffnete Gruppe, der in vergangenen Jahren unter anderem Folter, andere Formen der Gewalt und Vertreibung von Minderheiten vorgeworfen wurden. Unter anderem die USA, die EU und die Vereinten Nationen stufen HTS als Terrororganisation ein.

Die Türkei könnte am Ende profitieren

Die Türkei dementiert, etwas mit der Offensive zu tun zu haben. Beobachter im Land gehen aber davon aus, dass Ankara den Vorstoss zumindest gebilligt hat – und am Ende davon profitiert. Die Türkei unterstützt im Bürgerkrieg die Syrische Nationale Armee (SNA) und hält mit deren Unterstützung Grenzgebiete im Norden besetzt. Nach Ansicht des Militärexperten Erdogan Karakus koordiniert sich die islamistische HTS mit den SNA-Rebellen. Zudem liefere die Türkei regelmässig Hilfe nach Idlib und habe durchaus Einfluss auf das Geschehen.

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan verfolgt zwei Hauptziele in Syrien: Zum einen strebt er an, dass zumindest ein Teil der Flüchtlinge in seinem Land nach Syrien zurückkehrt. Zum anderen möchte er den Einfluss kurdischer Milizen an der Grenze schwächen. Dort plant er einen sogenannten «Sicherheitskorridor», um Flüchtlinge anzusiedeln und die kurdischen Milizen zurückzudrängen.

Die Türkei sei wohl nicht an einer «dramatischen Eskalation» interessiert, sagt Heiko Wimmen von der Denkfabrik International Crisis Group der dpa. «Ankara sieht es vielleicht nicht ungern, wenn die Rebellen ihre Position verbessern. Das bringt Vorteile, wenn man mit Assad über «Normalisierung» verhandeln will. Eine Ausweitung des Konflikts, die am Ende auch Russland wieder auf den Plan ruft, scheint dagegen eher kontraproduktiv.»

Nachbar Israel sieht Entwicklung mit gemischten Gefühlen

Analysten der Denkfabrik Institut für Nationale Sicherheit (INSS) in Tel Aviv schreiben, aus israelischer Sicht hätten die Entwicklungen in Syrien sowohl positive als auch negative Aspekte. Einerseits sei Assads Seite schwer getroffen worden und sein Sturz wäre ein erheblicher Schlag für den Iran und seine Helfershelfer und für Russland. «Der Iran müsste seine Truppen aus Syrien abziehen, während die direkte Route für einen militärischen Wiederaufbau der Hisbollah durch Waffenschmuggel vom Iran und Syrien in den Libanon blockiert wäre», so die Analysten.

Andererseits drohe nach einem Sturz Assads eine Zeit von Chaos und Instabilität in der Region. Besonders besorgniserregend sei die Möglichkeit, «dass dschihadistische Gruppen – auch wenn sie etwas moderater sein sollten – die Kontrolle über grosse Teile Syriens sowie ein potenziell grosses Arsenal von Waffen übernehmen könnten, darunter auch chemische Waffen, und damit für Israel eine ernsthafte Bedrohung darstellen könnten». Daher stelle sich die Frage, ob «der Teufel, den wir kennen» (Assad), vorzuziehen sei oder nicht.

Iran will Entsendung von Truppen prüfen

Ein Machtwechsel in Syrien oder gar der Fall Assads hätte für die iranische Führung gravierende Folgen. Das Bündnis mit Syrien als «Korridor» zum Mittelmeer war für die Islamische Republik bislang zentral, um Waffen an die Hisbollah im Libanon zu liefern und den regionalen Einfluss zu stärken. Syrien gilt – wie andere militante Gruppen – als Teil der sogenannten Widerstandsachse im Kampf gegen Israel.

Aussenminister Abbas Araghtschi erklärte, mögliche Truppenentsendungen zu prüfen, falls die syrische Regierung dies fordert. Bereits jetzt hat der Iran einen berüchtigten Kommandeur in das Bürgerkriegsland geschickt. Die Delegation unter Führung von General Dschawad Ghafari, eines Syrien-Kenners, soll die Gegenoffensive der Regierungstruppen unterstützen. Ghafari wurde durch seine Rolle bei der Rückeroberung Aleppos im Jahr 2016 als «Schlächter von Aleppo» bekannt, wie das US-amerikanische Institut für Kriegsstudien (ISW) berichtete.

Mögliche Verschiebung nach Amtsantritt Donald Trumps

Der weitere Verlauf dürfte auch von der neuen US-Regierung unter Donald Trump abhängen, der am 20. Januar 2025 vereidigt wird. Trump hatte während seiner ersten Amtszeit Luftangriffe in Syrien angeordnet. Er könnte auch im neuen Jahr eine harte Linie gegen den Iran und den verbündeten Machthaber Assad durchsetzen.