Die Entscheidung ist gefallen Ursula von der Leyen wird neue EU-Kommissionspräsidentin

tafi/DPA/SDA

16.7.2019

Eine Grundsatzrede, eine stundenlange Debatte – und dann die Stunde der Wahrheit: Die deutsche Politikerin Ursula von der Leyen hat die Wahl zur EU-Kommissionschefin gewonnen.

Ursula von der Leyen ist nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur als Präsidentin der Europäischen Kommission bestätigt worden. Die CDU-Politikerin errang am Dienstag im Europaparlament 383 Stimmen und damit die nötige absolute Mehrheit der 747 Abgeordneten, wie Parlamentspräsident David Sassoli mitteilte. Sie kann damit am 1. November die Nachfolge des Luxemburgers Jean-Claude Juncker antreten.

Ursula von der Leyen stellte sich am heutigen Dienstag zur Wahl als EU-Kommissionspräsidentin – und sie musste bis zur letzten Minute um eine Mehrheit im Europaparlament kämpfen. Die geheime Abstimmung war für 18 Uhr angesetzt. Nun wurden die Stimmen ausgezählt. Die 60-Jährige ist damit die erste Frau an der Spitze der mächtigen EU-Behörde.

In ihrer emotionalen Bewerbungsrede hatte die deutsche CDU-Politikerin noch einmal die europäische Einheit beschworen. Nur dann könne sich Europa in der Welt behaupten, sagte sie am Morgen im Europaparlament in Strassburg.

Für die Wahl brauchte von der Leyen die absolute Mehrheit der derzeit 747 Abgeordneten. Es mussten also mindestens 374 Parlamentarier für sie stimmen. Die Mehrheitsverhältnisse waren weiter unklar, von der Leyen brauchte jede Stimme.

Im Europawahlkampf war von der Leyen nicht als Spitzenkandidatin angetreten. Eigentlich war vorgesehen, dass der Kommissionspräsident aus dem Kreis der Spitzenkandidaten gewählt wird. Von ihnen konnte sich aber keiner durchsetzen.

Das EU-Parlament hat am Dienstag in Strassburg Ursula von der Leyen zur neuen EU-Kommissionspräsidentin gewählt.
Das EU-Parlament hat am Dienstag in Strassburg Ursula von der Leyen zur neuen EU-Kommissionspräsidentin gewählt.
Bild: KEYSTONE/EPA MTI/SZILARD KOSZTICSAK

Die Staats- und Regierungschefs nominierten daher die deutsche Verteidigungsministerin von der Leyen für das Amt. Diese Abkehr vom Spitzenkandidatenprinzip stiess im Parlament auf Kritik. 

Ihre politischen Leitlinien legte von der Leyen in einem mehr als 20-seitigen Dokument dar, das am Dienstag zur Parlamentsabstimmung veröffentlicht wurde. Es trägt die Überschrift «Eine Union, die mehr erreichen will – Meine Agenda für Europa». Arbeitsschwerpunkte darin sind unter anderem der Klimaschutz, die Wirtschafts- und Migrationspolitik sowie die Rolle der EU in der Welt. «Ich sehe die kommenden fünf Jahre als Chance für Europa – um zu Hause über sich hinauszuwachsen und damit eine Führungsrolle in der Welt zu übernehmen», schreibt von der Leyen darin.

Von der Leyen bekräftigte in der Debatte am Morgen ihr Versprechen für ein klimaneutrales Europa bis 2050 und eine Senkung der Treibhausgase um bis zu 55 Prozent bis 2030. «Unsere drängendste Aufgabe ist es, unsere Planeten gesund zu halten», sagte von der Leyen. Sie kündigte eine Klimaförderbank an, die Investitionen von bis zu einer Billion Euro auslösen soll.

Web-Giganten zur Kasse bitten

Nach dem Willen von Ursula von der Leyen sollen grosse Internetkonzerne in Europa stärker besteuert werden. «Es ist nicht akzeptabel, dass sie Profite machen und keine Steuern zahlen», sagte sie. «Wenn sie profitieren wollen, müssen sie auch die Kosten tragen.»

Eine Verlängerung der Austrittsfrist für Grossbritannien wäre möglich, wenn es gute Gründe gäbe, sagte sie und löste damit Protestrufe der Brexit-Partei im Parlament aus. Zur Entscheidung der Briten für den EU-Austritt 2016 meinte von der Leyen: «Das ist eine ernste Entscheidung. Wir bedauern sie, aber wir respektieren sie.»

Im Falle ihrer Wahl kündigte Ursula von der Leyen an, sich dafür einzusetzen, dass die Posten der Kommissare jeweils zur Hälfte mit Frauen und Männer besetzt werden. Wenn die EU-Mitgliedsstaaten nicht genügend Kommissarinnen vorschlagen, werde sie nicht zögern, neue Namen zu fordern. In der Vergangenheit habe der Anteil der weiblichen Kommissare bei nur rund 20 Prozent gelegen, kritisierte die 60-Jährige.

Das EU-Parlament hat am Dienstag in Strassburg Ursula von der Leyen zur neuen EU-Kommissionspräsidentin und Nachfolgerin von Jean-Claude Juncker gewählt. (Archiv)
Das EU-Parlament hat am Dienstag in Strassburg Ursula von der Leyen zur neuen EU-Kommissionspräsidentin und Nachfolgerin von Jean-Claude Juncker gewählt. (Archiv)
Bild: KEYSTONE/AP/VIRGINIA MAYO

Während Ursula von der Leyen in der anschliessenden Debatte Lob und Unterstützung von der EVP und den Liberalen bekam, zeigten sich die Grünen skeptisch. Fraktionschef Philippe Lamberts bemängelte, dass die Kandidatin das Thema Umwelt auf das Klima reduziere. Es habe «nicht ein einziges Wort von Ihnen zur Artenvielfalt oder zur Tatsache, dass Ressourcen wie etwa Wasser knapp werden», gegeben. 

Reaktionen auf von der Leyens Rede: loben und toben

Für die Rechtspopulisten trat AfD-Politiker Jörg Meuthen ans Mikrofon und stellte von der Leyens Eignung generell in Frage. Die Politikerin habe in ihren Ministerämtern in Deutschland versagt, und etwa die Bundeswehr «zu Tode gespart». So jemand könne das höchste EU-Amt nicht ausfüllen.

Die liberale EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager hat hingegen zur Wahl Ursula von der Leyens als Kommissionschefin aufgerufen. «Starke, warme, ausbalancierte Rede», schrieb Vestager am Dienstag im Kurznachrichtendienst Twitter. «Wählt #vonderLeyen"».

Auch der sozialdemokratische Kommissionsvizepräsident Frans Timmermans signalisierte Unterstützung. Es sei gut zu sehen, dass von der Leyens Programm die zentralen Versprechen seiner Wahlkampagne aufgegriffen habe – Klimaschutz, Mindestlöhne und den Einsatz für Rechtsstaat und europäische Werte, schrieb er auf Twitter.

Timmermans und Vestager wollten ursprünglich selbst an die Spitze der EU-Kommission. Sie konnten aber unter den EU-Staats- und Regierungschefs und im Europaparlament keine Mehrheit sammeln.

Die eine Chance

Ursula von der Leyen hatte am Montag noch einmal mit neuen Zusagen an die Abgeordneten um Unterstützung geworben. Um ihrer Bewerbung Nachdruck zu verleihen, hatte sie sogar ihren Rücktritt als deutsche Verteidigungsministerin angekündigt.

Nun, da sie offiziell gewählt worden ist, tritt von der Leyen voraussichtlich am 1. November die Nachfolge des Luxemburgers Jean-Claude Juncker an und bestimmt für fünf Jahre Politik und Prioritäten der EU mit.  Wäre sie durchgefallen, hätte der Rat der EU-Staats- und Regierungschefs binnen eines Monats einen neuen Vorschlag machen müssen.

Sozialdemokraten waren sich uneins

Der deutsche SPD-Politiker und Bundestagsvizepräsident Thomas Oppermann (SPD) warb offen für die Wahl von der Leyens. Er stellte sich am Montag klar gegen die Kritik aus seiner Partei und sagte der «Hannoverschen Allgemeinen Zeitung»: «Ich empfehle Ursula von der Leyen als Kommissionspräsidentin. Alles andere würde eine Schwächung der Europäischen Union bedeuten. Und das kann niemand wollen.»

Bei einer Sitzung der sozialdemokratischen Fraktion im EU-Parlament gab es am Montagabend nach Angaben von Teilnehmern ebenfalls positive Stimmen. Dies habe sich vor allem auf einen achtseitigen Brief von der Leyens an die Fraktionsspitze bezogen, in dem die Kandidatin nochmals Zusagen in der Sozial-, Wirtschafts- und Klimapolitik machte. Dieser sei konkreter und sozialdemokratischen Zielen näher als von der Leyens Auftritt letzte Woche, hiess es.

Jede Stimme zählte

Doch gab es auch Misstrauen, ob sie die Zusagen einhalte. Einige Abgeordnete lehnten die Kandidatin aus prinzipiellen Erwägungen ab. Dies galt auch für die rechtsnationale Fraktion EKR, die von der Leyen zunächst Wohlwollen signalisiert hatte, dann aber wieder etwas auf Distanz gegangen war.

Für die Wahl benötigte von der Leyen die absolute Mehrheit der derzeit 747 Abgeordneten. Es mussten also mindestens 374 Abgeordnete für sie stimmen. Deutlich hinter die CDU-Politikerin gestellt, hatte sich nur die eigene Parteienfamilie EVP mit 182 Sitzen. Sie brauchte jedoch auch Stimmen aus der sozialdemokratischen Gruppe mit 153 Sitzen und von den Liberalen, die insgesamt 108 Mandate haben.

Von der Leyen machte ihren Verzicht auf das Amt der Verteidigungsministerin am Montagnachmittag mit einem Tweet unter dem Titel «Meine Entscheidung für Europa» bekannt: «Ich möchte morgen das Vertrauen des Europäischen Parlaments gewinnen. Unabhängig vom Ausgang werde ich am Mittwoch als Verteidigungsministerin zurücktreten, um meine volle Kraft in den Dienst von Europa zu stellen.»

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