Unruhen im Kosovo Strassensperren, Schüsse – und angeblich rückt nun die Armee an

Von Philipp Dahm

12.12.2022

Serbien fordert Stationierung von eigenen Streitkräften im Kosovo

Serbien fordert Stationierung von eigenen Streitkräften im Kosovo

STORY: Die Spannungen zwischen Serbien und Kosovo dauern an. Am Samstag war es im mehrheitlich von ethnischen Serben bewohnten Nord-Kosovo zu Strassenblockaden und zu Schusswechseln mit der Polizei gekommen. Serbien will nun die Nato-Sicherungstruppe KFOR darum bitten, die Stationierung von serbischen Polizisten und Streitkräften im Kosovo zu erlauben. Das sagte Präsident Aleksandar Vucic am Samstag bei einer Pressekonferenz in Belgrad. Er sehe allerdings keine Chance, dass die KFOR dies genehmigen werde. Ausserdem werden die für Dezember im Norden des Kosovo geplanten Kommunalwahlen auf April verschoben. Um eine hohe Wahlbeteiligung sicherzustellen und Beobachter zu den Abstimmungen einzuladen, sei dieser Schritt notwendig geworden, teilte Staatspräsidentin des Kosovo, Vjosa Osmani am Samstag nach Beratungen mit den politischen Parteien mit. Die Wahlen sollen nun am 23. April stattfinden. Ursprünglich waren sie für den 18. Dezember vorgesehen. Nach einem Krieg mit Serbien in den 1990er-Jahren erklärte der Kosovo 2008 seine Unabhängigkeit. Deutschland und weitere EU-Staaten erkennen Kosovo als unabhängigen Staat an, Serbien und Russland dagegen nicht.

12.12.2022

Im Nordkosovo steigt der Druck: Belgrad verlegt angeblich Truppen an die Grenze, kosovarische Polizisten liefern sich mit der serbischen Minderheit Feuergefechte – und die NATO soll Serbien erlauben, Truppen zu schicken.

Von Philipp Dahm

Ethnische Spannungen, Strassensperren und eine verschobene Wahl: Hier die wichtigsten Fragen und Antworten zur neuerlichen Krise im Kosovo.

Was ist im Kosovo los?

Im Norden des Kosovo steigen die Spannungen: Die serbische Minderheit blockiert seit Tagen mehrere Strassen. Sie protestieren damit gegen die Regierung in Pristina. Kosovarische Polizisten sind am 10. Dezember in mehrheitlich von Serben bewohnten Gebieten angeblich mit Schusswaffen angegriffen worden.

Serben blockieren am 11. Dezember das Dorf Rudare.
Serben blockieren am 11. Dezember das Dorf Rudare.
AP

Der Streit zieht immer grössere Kreise. Ein Video aus Social Media zeigt serbische Militäreinheiten, die angeblich auf dem Weg zur Grenze sind. «Wir sind absolut bereit, Streitkräfte zu schicken», betont der serbische Verteidigungsminister Milos Vucevic. Er will bei der NATO beantragen, dass serbische Soldaten die Minderheit im Nord-Kosovo schützen dürfen.

«Die Situation ist gespannt, sehr gespannt. Es herrscht eine Stimmung des Aufstands», so Vucevic. Die USA, Grossbritannien und die EU fordern hingegen die lokalen Serben im Kosovo auf, ihre Barrikaden abzubrechen. Ein Video vom heutigen Morgen zeigt angeblich einen NATO-Konvoi, der auf dem Weg ins Krisengebiet ist, um das Gebiet zu befrieden.

Wieso die Schiesserei mit der Polizei?

Schwer bewaffnete kosovarische Polizisten patrouillieren seit dem Wochenende in gemischten Gemeinden, um für Ordnung zu sorgen. Bei einem Damm am Gazivodasee fielen am 10. Dezember Schüsse.

Kosovarische Polizei am 12. Dezember auf Streife in Mitrovica.
Kosovarische Polizei am 12. Dezember auf Streife in Mitrovica.
AP

Die Polizisten hätten das Feuer erwidert, heisst es aus dem Kosovo. Auch bei zwei anderen Gelegenheiten sei auf die Sicherheitskräfte geschossen worden, hiess es weiter. Dabei sei ein Polizist verletzt worden.

Die serbische Seite sagte, die Polizisten hätten in den Staudamm eindringen wollen: Die EU solle die «Schläger» zurückhalten, die einen neuen Krieg gegen Serbien auslösen wollten. Die kosovarische Polizei musste ausrücken, weil die lokale Polizei, aber auch Staatsanwälte und Politiker im November zurückgetreten sind.

Warum der massenhafte Rücktritt?

Die Sicherheitskräfte und Politiker sind aus Protest gegen den andauernden Streits um Autokennzeichen zurückgetreten. Dabei geht es darum, dass Pristina will, dass auch die serbische Minderheit im Norden des Landes kosovarische Autoschilder benutzt.

Nach dem Rücktritt waren lokale Wahlen angesetzt worden, um einen Ersatz zu finden. Diese hätten eigentlich am 18. Dezember stattfinden sollen, sind nun aber auf den 23. April verschoben worden. Der neue Termin konnte die Lage bisher aber nicht beruhigen.

Wie reagieren NATO und EU?

Die EU ist von den neuen Spannungen gar nicht begeistert. Das liegt auch daran, dass eine Patrouille der Rechtsstaatlichkeitsmission Eulex mit einer Blendgranate angegriffen worden sein soll. Verletzte oder Schäden habe es dabei nicht gegeben, doch sollten die Verantwortlichen weitere Provokationen unterlassen, warnt Josep Borrell.

Der EU-Beauftragte für Aussenpolitik und Sicherheit fordert die serbische Minderheit auf, die Strassenblockaden zu räumen. NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg betont, die von der NATO geführte KFOR-Truppe vor Ort bleibe wachsam.

Auf die serbische Bitte, eigene Sicherheitskräfte in den Kosovo schicken zu dürfen, hat Brüssel noch nicht reagiert. Laut bestehender UN-Resolution dürften bei einer NATO-Zustimmung bis zu 1'000 Serben entsandt werden. Der serbische Präsident Aleksandar Vucic meinte allerdings, er mache sich keine Illusionen, dass das westliche Bündnis die Sache abnickt.

Was sagen Kosovaren und Serben?

Die beiden Streitparteien schieben sich gegenseitig die Schuld für die Eskalation zu. Der serbische Präsident Aleksandar Vucic sagt, die Serben seien gezwungen, Strassen zu sperren, um sich vor kosovarischen Sicherheitskräften zu schützen.

Seine Botschaft an die Serben im Kosovo: «Es gibt keine Kapitulation und es wird keine Kapitulation geben.» Vucic traf sich heute mit dem serbischen Sicherheitsrat. Details dazu wurden nicht bekannt.

Der kosovarische Ministerpräsident Albin Kurti beschuldigt Serbien, den Kosovo destabilisieren zu wollen und zu versuchen, den Dialog zur Normalisierung der Beziehung unter EU-Vermittlung zu beenden. Serbien wolle den Konflikt vor den UNO-Sicherheitsrat bringen, wo es auf die Unterstützung von Russland und China hoffe.

Die Serben im Kosovo ruft Kurti auf, sich von «den kriminellen Gruppen und Vucics Regime» zu distanzieren. «Wir wollen keinen Konflikt», versichert er. «Aber wir werden auf Aggression mit aller Macht reagieren», postete Kurti in sozialen Medien.