Abzug aus Bachmut So könnte es mit Prigoschin und der Gruppe Wagner weitergehen

Von Philipp Dahm

4.6.2023

Kadyrow: Meine Kämpfer können russische Stellungen in Bachmut übernehmen

Kadyrow: Meine Kämpfer können russische Stellungen in Bachmut übernehmen

Der tschetschenische Präsident Ramsan Kadyrow hat erklärt, dass seine Kämpfer bereit seien, die russischen Stellungen im ukrainischen Bachmut zu übernehmen, falls die Söldnergruppe Wagner ihre Einheiten zurückziehen sollte. Dies hatte Wagner-Chef

07.05.2023

Jewgeni Prigoschin lebt gefährlich: Sein Kleinkrieg gegen die Armee-Führung eskaliert. Der Ukraine-Einsatz der Gruppe Wagner könnte deshalb am 5. Juni enden: Liegt Prigoschins Zukunft nun in Afrika und dem Pazifik?

Von Philipp Dahm

4.6.2023

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Jewgeni Prigoschins Gruppe Wagner will nach eigenen Angaben bis zum 5. Juni aus Bachmut abziehen.
  • «Schurken, die faul auf ihren breiten Ä****** sitzen»: Prigoschins Kleinkrieg mit dem Verteidigungsministerium eskaliert.
  • Wagner wird laut Prigoschin nur dann weiter in der Ukraine kämpfen, wenn die Miliz unabhängig von der Armee ist.
  • Prigoschins Weltkarte mit abgesteckten Ländern irritiert, weil sie eine neuseeländische Insel im Pazifik umfasst.

Sie ziehen offenbar tatsächlich ab: Die Soldaten der Gruppe Wagner verlassen Bachmut. Der Abzug ist zwar nicht am 1. Juni abgeschlossen, wie es Jewgeni Prigoschin zuvor angekündigt hat – doch der britische Geheimdienst wie auch Kiew bestätigen den Vorgang. 

Der ukrainische Armee-Sprecher Serhii Cherevatyi erklärt, das habe mit den hohen Verlusten zu tun, die Wagner erlitten habe. «Sie mussten es tun.»

Laut dem britischen MI6 werden die Söldner durch Soldaten der selbst ernannten Volksrepublik Donezk und Kräfte der 31. Brigade der Luftlandetruppen ersetzt. Dass seine Söldner die Stadt nach rund zehn Monaten Kampf endlich eingenommen haben, verbucht Prigoschin als einen Erfolg, über den Kreml-treue Medien jedoch nicht berichten. Er werde totgeschwiegen und zensiert, beklagt Prigoschin in einem Interview.

Dabei muss wohl eher von einem Pyrrhussieg gesprochen werden: Allein die Gruppe Wagner hat in Bachmut 20'000 Tote zu beklagen, räumt ihr Chef in Interview mit dem linientreuen Blogger Konstantin Dogow ein. Das deckt sich mit einer Schätzung eines westlichen Offiziellen, nach der Russland in Bachmut 60'000 Verluste hatte, von denen ein Drittel getötet worden sei. 

Kleinkrieg mit dem Verteidigungsministerium

Wie geht es für Prigoschin jetzt weiter? Eines ist klar: Im Kreml hat der 62-Jährige ausser seinem Fürsprecher Wladimir Putin keine Freunde. Immer wieder greift er das Verteidigungsministerium frontal an wie zuletzt an einem Geburtstag am 1. Juni. Russlands Streitkräfte würden von «Clowns» geführt, pöbelt er bei einer Feier in einem Militär-Camp.

Nach dem Abzug, der bis zum 5. Juni vollzogen sein will, werde seine Gruppe Wagner nur dann wieder in der Ukraine kämpfen, wenn sie einen eigenen Frontabschnitt bekommt: «Wenn die gesamte Befehlskette von Inkompetenz durchsetzt ist und nur aus Individuen besteht, die aus Soldaten reines Kanonenfutter machen, werden wir an solchen Unternehmen nicht mehr teilnehmen», sagt Prigoschin.

Der Streit mit Verteidigungsminister Sergei Schoigu und Oberbefehlshaber Walerie Gerassimow ist längst zu einem veritablen Kleinkrieg eskaliert. «Ihr abscheulichen Kreaturen», pöbelt Prigoschin am 30. Mai auf Telegram. «Ihr seid Abschaum, reisst euch in den Büros zusammen, in denen ihr sitzt, um das Land zu verteidigen. Ihr seid das Verteidigungsministerium. Wie zur Hölle könnt ihr erlauben, dass Drohnen nach Moskau fliegen?»

Schurken, die «faul auf ihren breiten Ä****** sitzen»

Er sei nach dem ukrainischen Überraschungsangriff «als Bürger» wütend, dass «diese Schurken faul auf ihren breiten Ä****** sitzen und sich mit teuren Cremes einschmieren». Und nur einen Tag darauf legt der St. Petersburger nach, er strenge Ermittlungen gegen Schoigu und Konsorten an.

Er habe deshalb den Ermittlungsausschuss der Russischen Föderation und den Generalstaatsanwalt eingeschaltet, um Funktionäre überprüfen zu lassen. Prigoschin wirft Schoigu weiter vor, er habe eine «spezielle Cyber-Einheit» auf seine Familie angesetzt, nachdem auf russischen Telegram-Kanälen Bilder und Videos seines Sohnes Pavel und seiner Tochter Veronika beim Feiern aufgetaucht sind.

Das dürfte eine Retourkutsche sein, weil Prigoschin immer wieder die Eliten verbal angreift und sie auffordert, ihre verzogenen Kinder an die Front zu schicken – siehe obiges Video. Es ist ebenfalls Teil des Interviews mit Konstantin Dolgow, der für die Veröffentlichung übrigens gefeuert worden ist.

Ukraine, Afrika – oder doch der Südpazifik?

Prigoschin lebt gefährlich. Igor Gerkin, Militär-Chef der selbsternannten Volksrepublik Donezk, unterstellt ihm angeblich sogar, er plane einen gewaltsamen Umsturz. Der Wagner-Chef kontert, er habe gar nicht genug Leute dafür.

Sein Verhältnis zu Putin ist gut: Prigoschin ist «nützlich» für den Präsidenten, weil er «dem Staat Dienstleistungen bringt, die das Militär nicht leisten kann», erklärt Politologe Mark Beissinger von der Universität Princeton «Euronews».

Ob die Gruppe Wagner weiter in der Ukraine kämpfen wird, ist ungewiss. Am Samstag brachte Prigoschin die Möglichkeit ins Spiel, in die russische Grenzregion Belgorod weiterzuziehen. Dass diese seit Tagen unter Beschuss geraten ist, kreidet er dem Verteidigungsministerium als grobes Versagen an. Wagner könnte daher in der Region eher zum Rechten sehen, meinte er.

Sicher wird die Miliz ihre Aktivitäten in Mali, im Sudan und in der Zentralafrikanischen Republik weiterführen, wo sie Rebellen unterstützt. Im Interview mit Dolgow ist eine Weltkarte zu sehen, die weitere Länder in Afrika absteckt – aber auch die Chathaminseln im Südpazifik, auf der rund 600 Menschen leben.

Die liegen 800 Kilometer östlich von Neuseeland. Als das Portal «Stuff» nachfragt, antwortet Prigoschin mit einer «kryptischen E-Mail»: «Wir werden diese Information nicht teilen, alles hat seine Zeit.» Der Wagner-Boss bleibt schwer zu fassen.