Party-Video: Finnlands Regierungschefin Marin macht Drogentest
Ein Party-Video, das Sanna Marin beim ausgelassenen Feiern mit einer Gruppe von Menschen zeigt, bringt Finnlands Ministerpräsidentin in Bedrängnis. Die 36-Jährige wehrt sich gegen den Vorwurf des Rauschgiftkonsums und hat nach eigenen Angaben eine
20.08.2022
Party, Drogen, Untreue: Finnlands Premierministerin steht unter Beschuss. Doch bei genauerem Hinsehen entpuppt sich der «Skandal» um Sanna Marin als Hexenjagd – und in Europa solidarisieren sich die Frauen.
Sie kommen aus Österreich, den Niederlanden, Grossbritannien oder Kanada. Aber vor allem Frauen aus Dänemark und Finnland zeigen sich in den sozialen Netzwerken solidarisch mit einer Geschlechtsgenossin, die gerade weltweit Schlagzeilen macht – weil sie getanzt hat.
Die Rede ist von Sanna Marin: Die finnische Premierministerin steht im Rampenlicht, nachdem vergangene Woche ein Partyvideo von ihr aufgetaucht ist.
Gerade eben noch war die 36-Jährige für die deutsche «Bild» die «coolste Politikerin der Welt», doch nun wird Sarin nicht nur vorgeworfen, sie habe in der Arbeitszeit gefeiert, sondern es gibt auch Spekulationen um Drogenkonsum und eine Affäre. Da kann die Finnin die Solidaritätsbekundungen europäischer Frauen gut gebrauchen.
Woher kommt die Unterstellung, dass Marin Drogen konsumiert hat? In dem Partyvideo, das in der Nacht vom 17. auf den 18. August im Internet gelandet ist, soll einer der Gäste das Wort «jauhojengi» in den Mund nehmen. Das bedeutet offenbar so viel wie «Mehl-Gang».
«Der dümmste Skandal, den ich je gesehen habe»
Wie Janne Korhonen von der Aalto University festhält, greift ein finnischer Neonazi diese Szene auf. Er interpretiert «jauhojengi» als Slang für Kokain, spekuliert, die Partygäste seien auf Drogen und startet im Internet eine Diskussion um die «Kontroverse», während langjährige Drogenfahnder noch nie das Wort Mehl für Kokain gehört hätten.
Weiter hätten finnische Medien das Thema aufgegriffen und «Experten» bemüht, ohne die Fakten zu bedenken. Es sei besonders ironisch, dass einige Politiker Sarin angegriffen hätten, die noch vor Wochen einen Parlamentarier vehement verteidigt hätten, dem neun verschiedene Personen vorwerfen, minderjährige Mädchen mit Alkohol gefügig gemacht zu haben.
«Zusammengefasst», schreibt Korhonen: «Das ist wahrscheinlich der dümmste Skandal, den ich je gesehen habe – und ich habe einige ziemlich abgefuckt dumme gesehen.» Sarin geht am 19. August in die Gegenoffensive: «Ich nehme diese Anschuldigungen sehr ernst, und obwohl ich die Forderung nach einem Drogentest ungerecht finde, habe ich heute einen Drogentest abgelegt.»
Update 17.22 Uhr: Der Drogentest von Sanna Marin ist negativ. Das teilte die finnische Regierung am Montag in Helsinki mit.
«Daran gibt es nichts Unanständiges»
Sie tue das «zu ihrem eigenen juristischen Schutz und um alle Zweifel auszuräumen», so Sarin. «Ich habe noch nie in meinem Leben irgendwelche Drogen genommen. Nicht mal in meiner Jugend.» Auch den Vorwurf, dienstunfähig gewesen zu sein, streitet sie ab. «Ich kann mich nicht erinnern, dass es je eine Situation gab, in der ich plötzlich mitten in der Nacht zum Regierungspalast gehen musste.»
Und weiter: «Ich denke, meine Fähigkeit zu funktionieren war wirklich gut. Es gab keine bekannten Meetings am Tag, als ich gefeiert habe.» In der Pressekonferenz am Freitag geht die Premierministerin auch auf andere Gerüchte ein: Ein Reporter fragt sie, ob sie auf einem zweiten Video von einem finnischen Künstler auf den Hals geküsst wird.
Sarin stellt klar, die beiden hätten bloss geredet. Und kontert: «Wenn mich jemand auf den Hals küsst, gibt es daran nichts Unanständiges oder etwas, mit dem ich nicht umgehen kann oder das ich meinem Mann nicht erzählen kann.» Verbreitet hat das zweite Video ein Klatschmagazin namens Seiska.
Denunziant will Sarin schaden
Auch Künstler Olavi Uusivirta wehrt sich gegen die Darstellung. Die Krux: Das Video wurde von einem Mann aufgenommen, der Sarin politisch schaden will. «Normalerweise wagt es niemand, etwas Schlechtes über sie zu schreiben», sagt der Filmer bei Euronews über die «Narzisstin». «Ich dachte, Seika wagt es.»
Euronews verweist in seiner sehr lesenswerten Analyse weiter darauf, dass die Hürde für politische Skandale wie das aktuelle Partygate ausgesprochen niedrig sei. Kostprobe gefällig? Schlagzeilen gab es in Finnland auch, als der frühere Chef der Grünen während der Pride Week eine Schwulenbar in Stockholm besucht hat oder als ein früherer Premier in kurzen Hosen fotografiert worden war.
Auch Sarin war schon allein deshalb in den Medien, weil sie mit Freunden eine Bar besucht hat und vielleicht auf ihrem offiziellen Handy nicht erreichbar war, als ein Minister Covid bekommen hat. Im Nachhinein liess sich kein Vorwurf gegen sie aufrechterhalten.
Finnland lässt das Partygate kalt
Gepusht werden solche wie auch die aktuelle «Partygate»-Geschichte von Zeitungen wie dem Boulevardblatt «Iltalehti». Der Chefredaktor ist mit der Kommunikationsverantwortlichen der Nationalen Sammlungspartei verheiratet, die politisch in der entgegengesetzten Ecke von Sarin steht. Zudem sei einer der Star-Kolumnisten mit einem führenden Kopf der rechtspopulistischen Perussuomalaiset liiert.
Es ist dann auch das Blatt «Iltalehti», das schreibt, dass «kein Drogentest 100-prozentig genau» sei, und dass Kokain im Blut weniger als einen Tag und im Urin nur ein bis vier Tage nachweisbar sei. Fällt Sarins Test negativ aus, bleibt also Raum für weitere Spekulationen: Hat sie eine Haarprobe gemacht, die Drogenkonsum deutlich länger belegt, und wenn nein, warum nicht?
Und dennoch gibt es eine Chance, dass dieser herbeigerufene Pseudoskandal bald ein Ende hat. Wer sich führende finnische Publikationen wie «Yle», «Helsing Sanomat», «Ilta Sanomat» oder «Kauppallehti» aufruft, findet dort heute keine Geschichten über die 36-Jährige mehr.
Das dürfte auch daran liegen, dass die Lesenden dem Thema die kalte Schulter zeigen. Dazu passt: Die Finninen und Finnen sind in Europa in Sachen Medienkompetenz ganz weit vorne und belegen im Media Literacy Index den ersten Platz.