Die Ukraine hat scharfen Protest dagegen eingelegt, dass Kanada auf Drängen der deutschen Regierung die Ausfuhr einer reparierten russischen Turbine für die aus Russland kommende Gaspipeline Nord Stream 1 genehmigt hat. «Wenn ein terroristischer Staat eine solche Ausnahme bei den Sanktionen durchsetzen kann, welche Ausnahmen will er dann morgen oder übermorgen? Diese Frage ist sehr gefährlich», sagte Selenskyj am Montag in einer Videobotschaft. «Und gefährlich nicht nur für die Ukraine, sondern auch für alle Länder der demokratischen Welt.»
Angesichts dieser inakzeptablen Ausnahme beim Sanktionsregime gegen Russland sei der kanadische Botschafter einbestellt worden, erklärte Selenskyj am Montagabend zudem im Onlinedienst Telegram.
Dieser Vorgang werde in Moskau als Zeichen der Schwäche gewertet, sagte der ukrainische Präsident. «Das ist ihre Logik. Und jetzt besteht kein Zweifel daran, dass Russland versuchen wird, die Gaslieferungen nach Europa nicht nur so weit wie möglich einzuschränken, sondern im akutesten Moment vollständig einzustellen. Darauf müssen wir uns jetzt vorbereiten, das wird jetzt provoziert.» Es bestehe kein Zweifel, dass Russland nicht nur die Gaslieferungen so weit wie möglich herunterfahren wolle. Tatsächlich wolle Russland den Gashahn für Europa vollständig zudrehen – und dies im schmerzlichsten Moment.
Jedes Zugeständnis werde von der russischen Führung als Anreiz für weiteren, stärkeren Druck wahrgenommen, sagte Selenskyj. «Russland hat sich im Energiesektor nie an die Regeln gehalten und wird es auch jetzt nicht tun, es sei denn, es sieht Stärke.»
Russland hatte die Gaslieferungen bereits Mitte Juni angeblich wegen einer defekten Turbine stark gedrosselt. Kanada gab am Wochenende die Ausfuhr der inzwischen reparierten Turbine frei. Die Turbine soll nun rasch über Deutschland nach Russland geliefert werden. Der deutsche Siemens-Konzern kündigte an, die Turbine zu installieren.
Eine Regierungssprecherin sagte in Berlin, der von russischer Seite genannte Grund für die gedrosselten Gasmengen werde mit der Lieferung der Turbine beseitigt. Protest der Ukraine gegen die Lieferung der Turbine habe die Bundesregierung zur Kenntnis genommen. Allerdings würden die Sanktionen der Europäischen Union gegen Russland den Gastransit nicht betreffen, sagte die Sprecherin.
Am Montag hatten ausserdem die Wartungsarbeiten an der Pipeline Nord Stream 1 begonnen, so dass nun erst einmal ohnehin kein Gas mehr fliesst. Die Wartungsarbeiten waren von russischer Seite angekündigt worden. Die Bundesregierung rechnet damit, dass diese rund zehn Tage dauern werden. Ob danach wieder Gas durch die Pipeline strömen wird, ist offen.
Über die zuletzt wichtigste Route für russisches Erdgas nach Deutschland wird seit Montag nichts mehr geliefert – nach Darstellung der Nord Stream AG wegen Wartungsarbeiten bis zum 21. Juli. Bis dahin werde kein Gas durch die Pipeline nach Deutschland befördert, hiess es. Jedoch besteht allgemein die Sorge, dass Moskau den Hahn danach nicht mehr aufdreht und Gas im Herbst und Winter knapp wird.
«Russland beliefert Deutschland jetzt nur noch über die Transgas-Pipeline durch die Ukraine», sagte der Präsident der Bundesnetzagentur, Klaus Müller, dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. «Die Regierung in Moskau könnte die Liefermengen durch die Ukraine jederzeit erhöhen, um ihre vertraglichen Verpflichtungen zu erfüllen. Dazu fehlt (Russlands Präsident) Wladimir Putin aber offenbar der politische Wille.» Wenn die gewartete Turbine bis zum Ende der Nord-Stream-Wartung am 21. Juli wieder eingebaut sei, «hätte Russland kein Argument mehr, die Liefermengen beim Gas weiterhin zu drosseln».