Militärführung greift durch Russische Kommandeure fallen Säuberungswelle zum Opfer

uri

18.7.2023

Wladimir Putin mit dem russischen Verteidigungsminister Sergei Schoigu (rechts) und dem Chef des Generalstabs der Streitkräfte Russlands Waleri Gerassimow (links) im Dezember 2022: Der Kreml-Chef vermeidet es bislang, sich eindeutig hinter die politische Führung zu stellen. 
Wladimir Putin mit dem russischen Verteidigungsminister Sergei Schoigu (rechts) und dem Chef des Generalstabs der Streitkräfte Russlands Waleri Gerassimow (links) im Dezember 2022: Der Kreml-Chef vermeidet es bislang, sich eindeutig hinter die politische Führung zu stellen. 
Archivbild: Keystone

Die russische Militärspitze entlässt einige ihrer erfolgreichsten Kommandeure in der Ukraine wegen Ungehorsams. Eine funktionierende Kommandostruktur kann sie so aber wohl trotzdem nicht herstellen.

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Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Die russische Militärführung entlässt und verhaftet offenbar zahlreiche russische Kommandeure in der Ukraine.
  • Die erfolgreichen Offiziere hätten sich des Ungehorsams schuldig gemacht, berichten US-Experten.
  • Der Vorgang zeigt eine Krise der russischen Befehlskette.
  • Einen grossen Anteil hat daran nicht zuletzt der Kreml, der sich nicht hinter seine militärische Führung stellt.

Der Aufstand der Wagner-Gruppe unter Jewgeni Prigoschin gegen die russische Führung vor rund drei Wochen fiel so schnell in sich zusammen, wie er begann. Die Unzufriedenheit der kämpfenden russischen Einheiten stellt offenbar aber weiterhin eine Gefahr für die Militärführung dar – und damit auch für den Kreml, der die Situation bislang laufen lässt.

Das russische Verteidigungsministerium lässt die kämpfende Truppe derzeit von Kritikern säubern. Das schreiben die Experten der US-amerikanische Denkfabrik Institute for the Study of War ISW in ihrer Lageeinschätzung vom Sonntag.

Gestützt auf russische Quellen berichtet das ISW, das russische Verteidigungsministerium habe damit begonnen, «Kommandeure aus einigen der kampfstärksten Einheiten und Formationen des russischen Militärs zu entfernen» und scheine seine diesbezüglichen «Bemühungen zu beschleunigen».

Zu den kürzlich entlassenen Kommandeuren gehören demnach Generaloberst Iwan Popow (58. Armee), Generalmajor Wladimir Seliverstow (106. Luftlandedivision), Generalmajor Alexander Kornew (7. Luftlandedivision), Generalmajor Ramil Ibatullin (90. Panzerdivision). Zudem sollen zwei von Ibatullins Stellvertretern festgenommen worden sein.

Der russische Generalmajor Iwan Popow wurde nach einem kritischen Bericht im Juli entlassen.
Der russische Generalmajor Iwan Popow wurde nach einem kritischen Bericht im Juli entlassen.
Archivbild: Public Domain

Weiter berichteten die Quellen von der bevorstehenden Entlassung von Oberst Sergej Karasew (31. Luftlandedivision) und der möglichen Verhaftung des stellvertretenden Oberkommandierenden in der Ukraine, Generaloberst Michail Teplinski.

«Offensichtliche Krise der russischen Befehlskette»

Wie das ISW ausführt, seien die entlassenen und verhafteten Offiziere Kommandeure der bislang erfolgreichsten Einheiten bei der russischen Invasion in der Ukraine. Ihre Entlassungen seien offenbar «mit Fällen von Ungehorsam verbunden». So habe Popow etwa versucht, den russischen Generalstabschef und Oberbefehlshaber General Waleri Gerassimow zu umgehen und seine Beschwerden direkt Wladimir Putin vorzulegen.

Sowohl der Prigoschin nahestehende Teplinski als auch Popow hätten zudem radikale Veränderungen in der russischen Kriegsführung gefordert, die allerdings angesichts der unrealistischen Vorstellungen Putins und der Inkompetenz Gerassimows und Verteidigungsministers Schoigu nicht hätten umgesetzt werden können, so die Einschätzung der Experten.

Der russische Generaloberst Michail Teplinski ist Kommandeur der russischen Luftlandetruppen und Stellvertreter Gerassimows in dessen Rolle als Oberkommandierender in der Ukraine.
Der russische Generaloberst Michail Teplinski ist Kommandeur der russischen Luftlandetruppen und Stellvertreter Gerassimows in dessen Rolle als Oberkommandierender in der Ukraine.
Archivbild: CC BY 4.0

Die Kommandeure forderten zudem bessere Bedingungen für ihre Soldaten und hätten sich bereits Befehlen widersetzt, die ihrer Meinung nach sinnloses Blutvergiessen bei ihren Einheiten bedeutet hätten.

Die sich «verstärkende Dynamik der Insubordination unter russischen Kommandeuren» könnte auch andere Befehlshaber dazu veranlassen, sich offen gegen die russische Militärführung zu stellen, schätzt das ISW die aktuelle Lage ein. Damit drohe eine «offensichtliche Krise der russischen Befehlskette», was dazu führen könne, «die umfassenderen russischen Kriegsanstrengungen in der Ukraine zu demoralisieren».

Soldaten machen sich für Kommandeur stark 

Der Ungehorsam der Kommandeure hat dabei womöglich bereits auf die unteren Ränge übergegriffen. So hätten russische Militärblogger eine Aufnahme veröffentlicht, in der russische Soldaten offenbar damit drohen, ihre Stellungen in der Region Cherson aufzugeben, falls Kommandeur Teplinski verhaftet wird. Auch erklärten sie, sie würden Teplinski gegen das Verteidigungsministerium verteidigen, das nun die erfolgreichsten Kommandeure ins Visier nehme.

Andere Kriegspropagandisten wie der russische Militärblogger Jurij Podoljak schiessen auf Telegram unterdessen einmal mehr direkt gegen die Militärführung: «Nach der Liste der bereits suspendierten Kommandeure zu urteilen (die intelligentesten sind suspendiert), sieht unser Generalstab nicht den Feind als grössere Bedrohung an, sondern die Untergrabung seiner eigenen Autorität, die er – seien wir ehrlich – unter den Armeeangehörigen schon seit Langem nicht mehr hat», zitiert ihn die «Bild».

Zwar sei es unwahrscheinlich, dass der Kreml weiter zulasse, dass der Konflikt zwischen den Kommandeuren und dem obersten russischen Militärkommando aufs Äusserste eskaliere, vermuten die ISW-Experten. Allerdings versäume die politische Führung weiterhin, sich einerseits direkt an die Kommandeure und ihr Personal zu wenden und gleichzeitig Schoigu und Gerassimow uneingeschränkt zu unterstützen.

Gerade Letzteres ist unwahrscheinlich, denn Putin habe das «russische Verteidigungsministerium zum Sündenbock für alle militärischen Misserfolge Russlands» gemacht. Das habe Shoigu und Gerasimov schwer beschädigt, die nun den Ruf der Inkompetenz und des Versagens nicht mehr loswerden.

Dieser Umstand könnte dem Kreml nun selbst auf die Füsse fallen, denn gelinge der Spagat zwischen Kommandeuren und Militärspitze nicht, «werde das angestrebte Ziel des Kremls, als wirksamer Manager des Krieges in der Ukraine zu gelten, zunehmend untergraben». 

Nach Aufstand: Treffen zwischen Putin und Prigoschin bestätigt

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