Lagebild Ukraine Putins Truppe verrennt sich im Süden fatal

Von Philipp Dahm

24.1.2023

Ukrainische Minenräumer lernen in Kambodscha

Ukrainische Minenräumer lernen in Kambodscha

In der Ukraine ist infolge des russischen Angriffskrieges nach offiziellen Angaben eine Fläche etwa so gross wie Kambodscha von Russland vermint worden. In dem südostasiatischen Land, das infolge eines langen Bürgerkriegs ebenfalls stark vermint.

24.01.2023

Sie laufen ungeschützt über das offene Feld: Die Ukraine hat eine Offensive russischer Soldaten in Saporischschja erfolgreich abgewehrt. Der Blutzoll ist enorm – und knüpft an die horrenden Verluste von Bachmut an.

Von Philipp Dahm

Die sozialen Netzwerke sind dieser Tage voll von Videos von ukrainischen Aufklärungsdrohnen. Sie zeigen stets ähnliche Szenen: Russische Schützenpanzer oder Munitionsdepots fliegen in die Luft. Putins Soldaten drücken sich in Schützengräben, bevor eine Granate fällt und die Männer tot oder verletzt zurücklässt.

Stellvertretend hier ein Video aus dem Oblast Saporischschja: Russische Schützenpanzer stossen ohne Artillerie-Unterstützung vor. Die ukrainische Artillerie zerstört ihre Fahrzeuge. Die Angreifer ziehen sich nicht zurück, sondern rücken über offene Felder weiter vor, bevor der Zuschauer aus der Entfernung sieht, wie auch sie kampfunfähig gemacht werden.

Die Quintessenz: Der Kreml verliert dieser Tage besonders viele Soldaten. Der Oberkommandierende der norwegischen Streitkräfte hat im nationalen Fernsehen Zahlen genannt: Laut Eirik Kristoffersen hat Moskau 180'000 Tote und Verletzte zu beklagen, während die Verluste auf ukrainischer Seite bei 100'000 liegen sollen. Hinzu kämen 30'000 betroffene Zivilisten.

Offensive im Süden abgewehrt

Das oben stehende Video beschreibt die Lage im Oblast Saporischschja sehr treffend: Vor vier Tagen haben russische Kräfte im Süden der Ukraine eine Offensive gestartet, bei der sie offensichtlich davon ausgegangen sind, dass die Verteidiger viele Truppen und ihre Artillerie abgezogen haben, um die Truppen in Kreminna und Bachmut zu verstärken.

Karte des Frontabschnitts in Saporischschja.
Karte des Frontabschnitts in Saporischschja.
Karte: Militaryland

In einem ersten Schritt nahmen die Russen die Orte Lobkowe und Bilohirja ein, die zwischen den Fronten lagen – weil sie tief liegen und schlecht zu verteidigen sind. Zu Beginn der Offensive meldeten viele russische Militärblogger deshalb, die ukrainische Verteidigungslinie sei durchbrochen worden.

Nach heftigen russischen Verlusten hat sich die Front nun offenbar wieder stabilisiert.
Nach heftigen russischen Verlusten hat sich die Front nun offenbar wieder stabilisiert.
YouTube/Reporting from Ukrine

Das war ebenso falsch wie die Annahme eines ukrainischen Rückzugs: Unterstützt von Artillerie wurden alle weiteren Vorstösse zurückgeschlagen. Die Verteidigungslinien haben gehalten. Nach heftigen Verlusten ist die Front im Süden nun wieder statisch. Am schwersten sollen die Gefechte noch in Kamjanske im westlichen Frontabschnitt toben.

Luhansk: HIMARS-Attacke trifft Militärspital

In der Schlacht um Bachmut bemühen sich russische Truppen weiterhin, die Orte Krasna Hora und Pidhorodne nördlich der Stadt zu erobern, doch die Front hält hier ebenso wie in den östlichen Vororten von Bachmut selbst. Allerdings melden russische Medien, dass Moskaus Männer im Süden weiter in Richtung der T0504 alias H-32 vorrücken konnten und nun die wichtige Verbindungsstrasse bedrohen.

Das ukrainische Militär hat in diesem Gebiet nach eigenen Angaben zwei Erdkampfflugzeuge vom Typ Su-25 sowie einen Ka-52-Kampfhelikopter abgeschossen. Und auch im Hinterland hat die Armee zugeschlagen: Artilleriefeuer hat angeblich in Kadijiwka, das 40 Kilometer östlich von Bachmut liegt, ein Militärspital zerstört.

Der ukrainische Polizist Pawlo (Mitte) macht am 17. Januar in Bachmut ein Foto mit Switlana, 58, und ihrem 16-jährigen Enkel Danylo.
Der ukrainische Polizist Pawlo (Mitte) macht am 17. Januar in Bachmut ein Foto mit Switlana, 58, und ihrem 16-jährigen Enkel Danylo.
Keystone

Bei dem Angriff, bei dem offenbar amerikanische HIMARS zum Einsatz gekommen sind, sollen rund 100 Soldaten getötet worden sein. In dem Gebiet seien vor allem tschetschenische Kämpfer von Ramsan Kadyrow stationiert gewesen sein. Überprüfen lassen sich die Angaben nicht.

Ukrainischer Vorstoss südlich von Kreminna

Im Kreminna-Frontabschnitt wollen Kiews Truppen russische Gegenoffensiven bei Bilohoriwka abgewehrt haben. In der Stadt selbst scheint die Lage unverändert zu sein: Weil Putins Artillerie die westlichen Stadtteile unter Beschuss nimmt, dürften sich hier immer noch ukrainische Kräfte verschanzt haben.

Es knallt im Norden in Tscherwonopopiwka, in Kreminna (mittig) und Bilohoriwka im Süden.
Es knallt im Norden in Tscherwonopopiwka, in Kreminna (mittig) und Bilohoriwka im Süden.
Karte: LiveUAMaps

Kiews Streitkräfte scheinen aber im Süden der Stadt erfolgreich zu sein: Sie kontrollieren nun angeblich das Dorf Tscherwonopopiwka und haben damit die Verbindungsstrasse P66 unterbrochen, die im Norden bis nach Russland führt.

Bevor es zum Waffen-Update geht, muss eine logistische Kraft hervorgehoben werden, die ihren Dienst leise und zuverlässig im Hintergrund verrichtet: Die ukrainische Eisenbahn hat nicht nur vier Millionen aus dem Kriegsgebiet evakuiert, sondern ist auch eine lebenswichtige Ader, die den Nachschub für die Truppen garantiert. 

Eisenbahn als «zweite Armee der Ukraine»

«Mit dem [Eisenbahn-Chef] Oleksandr Kamyshin durch den Hauptbahnhof von Kiew zu laufen, ist, als würde man einen General begleiten, der durch sein Territorium tourt», schreibt «Sky News». «Es ist wichtig, die Moral hochzuhalten», sagt der 39-Jährige bei der Begehung. «Hören Sie das? Musik.»

Auf den 27'000 Kilometern Strecke und Bahnhöfen sind seit Beginn des Krieges 307 Bahn-Mitarbeiter getötet und 665 verletzt worden: Mit 231'000 Angestellten ist die Bahn der grösste Arbeitgeber des Landes. «Wir sind die zweite Armee der Ukraine», bekundet Kamyshin. Ohne ihn und seine Leute hätte die erste Armee sehr viel mehr Probleme in diesem Krieg.

Es wird auch die Eisenbahn sein, die den M2 Bradley ins Land holen wird. Der amerikanische Schützenpanzer ist bereits in Polen angekommen, wie Videos beweisen: Die Fahrzeuge haben noch die Farbe ihres Golfkrieg-Einsatzes und müssen neu lackiert werden, um in der Ukraine nicht aufzufallen.

Waffen-Update: IRIS-T äusserst erfolgreich

Was sowohl für die Zivilbevölkerung als auch für kritische Infrastruktur wie die Eisenbahn oder Energieversorgung und auch die Streitkräfte wichtig bleibt, ist die Luftabwehr. Hier gibt es gute Nachrichten für die Verteidiger: Das deutsche System IRIS-T hat seine Feuerprobe, die bereits im Oktober war, mehr als bestanden.

Präsentation des Flugabwehr-Systems IRIS-T SLM an der Internationalen Luftfahrt-Ausstellung im Juni in Berlin.
Präsentation des Flugabwehr-Systems IRIS-T SLM an der Internationalen Luftfahrt-Ausstellung im Juni in Berlin.
IMAGO/Xinhua

«Das deutsche System ist wirklich modern, leistungsstark und effektiv», lobt Vaym, Wartungstechniker der Flugabwehr-Raketenbatterie. IRIS-T habe – auch bei Marschflugkörpern – eine Erfolgsquote von 100 Prozent. Die Technik stärke die Luftabwehr erheblich, nur gebe es noch zu wenig davon.

«Als man mir anbot, zur Ausbildung nach Deutschland zu gehen und neue Geräte zu beherrschen, sagte ich ohne zu zögern zu», erklärt Vadym – «obwohl mir klar war, dass das eine grosse Verantwortung war. Schliesslich ist IRIS-T eine der neuesten Luftverteidigungssysteme der Welt.»

Darum verbietet die Schweiz den Stryker-Export nicht

Die USA liefern der Ukraine neben dem Bradley auch den Radpanzer Stryker. Der beruht jedoch auf dem Piranha 3H der Mowag im thurgauischen Kreuzlingen. Warum der Bund beim Export kein Veto eingelegt hat? 2003 hat der US-Konzern General Dynamics die Schweizer Waffenschmiede aufgekauft und den Stryker in Alabama, USA, und in Kanada produziert. Damit unterliegen diese Fahrzeuge nicht mehr Schweizer Exportbeschränkungen.

Apropos Exportbeschränkungen: Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg hat heute nach einem Telefonat mit Boris Pistorius gesagt, eine Entscheidung in Sachen Leopard 2 werde bald fallen. Jene Länder, die das Gerät liefern wollen, könnten bereits mit den Vorbereitungen dazu beginnen. Schneller ist da Marokko: 20 T-72B sind letzte Woche auf Schiffe geladen worden, die die Panzer in die Ukraine bringen.

Am Ende noch eine Meldung aus Tschechien, das in diesem Jahr 12 Kampfhelikopter vom Typ AH-1 Cobra aus den USA bekommen soll. Diese sollen Mi-24V alias Mi-35 Hind ersetzen, die zwischen 2004 und 2006 gebaut worden sind. 4 der Mi-35 hat Tschechien bereits der Ukraine gespendet. Die verbliebenen 13 Mi-35 sollen an Kiew übergeben werden, sobald die neuen Cobras eingetroffen sind.

Eine Mi-35 Hind an der Airpower 2022 Anfang September über dem Fliegerhorst Hinterstoisser in Österreich.
Eine Mi-35 Hind an der Airpower 2022 Anfang September über dem Fliegerhorst Hinterstoisser in Österreich.
IMAGO/Eibner Europa