Israel Palästinenser-Wahl verschoben – Abbas verweist auf Jerusalem-Frage

SDA

30.4.2021 - 09:38

Die palästinensische Künstlerin Asma al-Aqra'a zeichnet Wahlurnen auf Papier in ihrem Haus vor den palästinensischen Parlamentswahlen. Foto: Ashraf Amra/APA Images via ZUMA Wire/dpa
Die palästinensische Künstlerin Asma al-Aqra'a zeichnet Wahlurnen auf Papier in ihrem Haus vor den palästinensischen Parlamentswahlen. Foto: Ashraf Amra/APA Images via ZUMA Wire/dpa
Keystone

Die erste Wahl seit mehr als 15 Jahren in den Palästinensergebieten ist kurzfristig verschoben worden. Als Grund führte Palästinenserpräsident Mahmud Abbas in der Nacht auf Freitag den Konflikt um Jerusalem an.

Man habe sich darauf verständigt, die Wahl zu verschieben, bis die Teilnahme der Menschen im Ostteil der Stadt gesichert sei, sagte der 85-Jährige nach einem Treffen mit Vertretern mehrerer Palästinensergruppen in Ramallah. Die islamistische Hamas, zweitgrösste Palästinensergruppe nach der gemässigteren Fatah von Abbas, kritisierte die Entscheidung scharf.

Die Palästinenser hatten zuletzt wiederholt auf die klare Zustimmung Israels zur Wahlmöglichkeit am 22. Mai in Ost-Jerusalem gepocht. Die israelische Seite äusserte sich nicht zu dieser Forderung. Das Aussenministerium in Jerusalem betonte nur allgemein, Israel wolle sich nicht in die Wahl einmischen oder sie verhindern.

Spekulationen über eine Absage oder Verschiebung der Abstimmung wegen der Jerusalem-Frage hatte es seit Längerem gegeben. Der Status der Stadt ist einer der zentralen Streitpunkte im Nahost-Konflikt. Israel beansprucht Jerusalem als «ewige und unteilbare Hauptstadt» für sich. Die Palästinenser halten ihrerseits an ihrem Anspruch auf Ost-Jerusalem als Hauptstadt fest.

Rechtlich betrachtet ist eine Erlaubnis Israels zur Stimmabgabe im arabisch geprägten Ostteil Jerusalems nicht nötig, faktisch ist ein Einverständnis aber durchaus erforderlich, da Israel den Osten der Stadt kontrolliert. Die israelische Polizei ging dort zuletzt wiederholt gegen jegliche Wahlaktivitäten vor.

Experten hatten für den Fall einer Absage oder Verschiebung der Wahl vor grosser Enttäuschung unter den Palästinensern gewarnt. Auch Proteste galten als möglich. Aufgrund der vielen jungen Menschen in den Palästinensergebieten und der schon lange zurückliegenden vorigen Parlamentswahl hätte etwa die Hälfte der rund 2,5 Millionen Wahlberechtigten erstmals abstimmen dürfen. In Umfragen zeigten sich zuletzt zwei Drittel der Befragten unzufrieden mit Abbas.

Dieser hatte in einem Mitte Januar veröffentlichten Dekret eine Parlamentswahl für den 22. Mai und eine Präsidentenwahl für den 31. Juli festgelegt. Noch zu Beginn der vergangenen Woche betonte er, an dem Termin der Parlamentswahl festzuhalten. Die bislang letzte Präsidentenwahl fand 2005 statt, die letzte Parlamentswahl 2006. Wahlen waren in den vergangenen Jahren mehrfach vorgesehen. So konkret wie in diesem Jahr waren die Planungen allerdings noch nicht.

Die Friedensverträge zwischen Israel und den Palästinensern sehen vor, dass palästinensische Bewohner Jerusalems in bestimmten Postfilialen abstimmen können. Nach palästinensischen Angaben haben diese eine Kapazität für bis zu 6300 Wähler. Es ist nicht zwingend, dass diese Filialen genutzt werden. Die rund 150'000 dort Wahlberechtigten könnten auch in Vororten abstimmen. Die Palästinensische Autonomiebehörde (PA) besteht aber darauf, dass auch in den Postfilialen abgestimmt wird. Im Jahr 2006 hatte Israel die Abstimmung in Ost-Jerusalem ermöglicht.

Manche Beobachter werten den Streit um Ost-Jerusalem als vorgeschobenen Grund für die Wahlverschiebung. Sie vermuten als Motiv unter anderem die Sorge von Abbas und dessen Umfeld vor einer möglichen Niederlage seiner Fatah und deren momentane tiefe Spaltung. Überraschend hatten zwei prominente Kritiker des Präsidenten – der nach einem Mordurteil in israelischer Haft sitzende Marwan Barguti und der im März aus der Organisation ausgeschlossene Nasser al-Kidwa – angekündigt, mit einer gemeinsamen Liste bei der Wahl anzutreten. Insbesondere Barguti, den die Palästinenser als politischen Gefangenen Israels sehen, galt als aussichtsreicher Rivale von Abbas. Ihm werden auch Ambitionen auf das Präsidentenamt nachgesagt.

Am 30. April sollte die offizielle Wahlkampfphase beginnen. Die EU wollte die Abstimmung mit eigenen Beobachtern begleiten. Nach Angaben der Staatengemeinschaft reagierte Israel auf eine Anfrage zur Entsendung der Experten bis zuletzt jedoch nicht. Die USA hielten sich zu der geplanten Wahl in den vergangenen Wochen bedeckt.

Israel steckt nach der vierten Wahl binnen zwei Jahren in einer politischen Krise, ob eine Regierungsbildung gelingt ist ungewiss. Der Friedensprozess mit den Palästinensern spielte im Wahlkampf praktisch keine Rolle. Ein Wahlsieg Bargutis würde Israel vor grosse Probleme stellen. Mit Sorge erfüllte viele in Israel auch ein mögliches Erstarken der Hamas. Die im Gazastreifen herrschende Gruppe wird von Israel und der EU als Terrororganisation eingestuft. Umfragen sahen sie zuletzt aber hinter der Fatah.

Fatah und Hamas waren in den vergangenen Jahren erbitterte Rivalen, vergangenes Jahr nahmen sie Versöhnungsgespräche auf. Bei der Parlamentswahl 2006 hatte die Hamas gesiegt, im Jahr darauf übernahm sie gewaltsam die alleinige Kontrolle im Gazastreifen. Die Fatah herrscht seitdem nur noch in den nicht von Israel verwalteten Teilen des Westjordanlands. Trotz ihrer Ablehnung der Besatzung kooperiert sie – anders als die Hamas – mit Israel.

Die Wahl war als Teil der Versöhnungsbemühungen gedacht. Eine Einigung sollte den Weg für neue Gespräche mit Israel über eine Zwei-Staaten-Lösung ebnen.