Neues Buch Als Kim Jong-un in der Schweiz lebte – «sie dachten, er wäre Thai»

tsha

29.12.2019

Kim Jong-un lebte als Kind einige Jahre in der Schweiz.
Kim Jong-un lebte als Kind einige Jahre in der Schweiz.
Bild: Keystone

Als Zwölfjähriger lebte Kim Jong-un in der Schweiz. Ein neues Buch enthüllt nun, warum er ausgerechnet hier die nordkoreanische Diktatur zu schätzen lernte.

Seit dem Tod seines Vaters im Jahr 2011 regiert Kim Jong-un über Nordkorea. Oberflächlich betrachtet, hat sich das asiatische Land seitdem modernisiert: In der Hauptstadt Pjöngjang wachsen neue Hochhäuser aus dem Boden, Spassbäder eröffnen – und Kim selbst reist häufiger ins Ausland als seine Vorgänger. Doch noch immer ist das Land eine steinzeitliche Diktatur, in der Menschenrechte mit Füssen getreten und Hunderttausende Menschen in Arbeitslager gesperrt werden.

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Geprägt wurde Kim, heute wohl 35 Jahre alt, auch in der Schweiz – das ist schon länger kein Geheimnis mehr. Hier lebte der Machthaber vermutlich ab seinem zwölften Lebensjahr. Wie genau es ihm hier erging, hat die Journalistin Anna Fifield für ihr neues Buch «The Great Successor: The Divinely Perfect Destiny Of Brilliant Comrade Kim Jong Un» (zu deutsch etwa: «Der grosse Nachfolger: Das himmlisch perfekte Schicksal des brillanten Genossen Kim Jong-un» recherchiert.

Lieblingsgericht Raclette

Im Interview mit dem Radiosender NPR erzählt Fifield, dass Kims älterer Bruder bereits in Bern gelebt habe, als er zu ihm gestossen sei. Kim habe zunächst an einer Privatschule Englisch gelernt und sei später an eine örtliche Schule gewechselt – vermutlich ging er ans Steinhölzli-Schulhaus in Köniz BE.

Laut Fifield wohnte der junge Kim in einem «ganz gewöhnlichen Apartment-Komplex» in einem Berner Vorort. Die Menschen, mit denen Fifield vor Ort sprach, hätten Kim als «ziemlich reserviert» erlebt. Er sei «still und irgendwie schüchtern gewesen und hatte Probleme, mit anderen zu kommunizieren», obwohl er nach einiger Zeit in der Schweiz gut Deutsch gesprochen habe. Neben Sushi (Kims Mutter wurde in Japan geboren) zählt bis heute angeblich Raclette zu seinen Lieblingsgerichten.

Schon als Kind in der Schweiz sei Kim Jong-un ein grosser Basketball-Fan gewesen. «Jeden Tag nach der Schule ging er zum Basketballplatz und spielte mit den anderen Kindern», erzählt Fifield. Dass ein nordkoreanischer Diktatorensohn mit ihnen auf dem Platz stand, hätte damals keiner geahnt. 

«Sie dachten, er wäre Thai, da sich die thailändische Botschaft nahe der Schule befindet.» Kim sei die ganze Zeit von Nordkoreanern umgeben gewesen, die ihn ständig gelobt hätten. «Er war ein relativ normales Kind», so Fifield. «Es gibt keine Berichte über seine Zeit in der Schweiz, die besagen, er habe Kätzchen gequält oder andere psychopathische Dinge gemacht.»

Hass auf China

Fifield glaubt aber, dass Kim in der Schweiz eine Lektion gelernt habe, die sein späteres Denken prägte: In einer Demokratie nach Schweizer Vorbild sei er einer unter Vielen gewesen – und keine höhergestellte Persönlichkeit mehr wie in seiner nordkoreanischen Heimat später. «Diese Erfahrung hat ihn bestärkt, das System intakt zu halten, um weiterhin der König seines Reiches zu sein», sagt Fifield in einem Interview mit dem «New Yorker».

Ein Klassenfoto zeigt angeblich Kim und seine Mitschüler.
Ein Klassenfoto zeigt angeblich Kim und seine Mitschüler.
Bild: Keystone

Die Journalistin, die dutzendmal in Nordkorea zu Besuch gewesen ist, glaubt, dass Kim in eine dysfunktionale, äusserst brutale Familie hineingeboren worden sei. Angeblich habe er schob als Kind stets einen geladenen Revolver bei sich getragen. Da sein älterer Bruder als untauglich für das höchste Amt im Staate angesehen wurde, sei er von Kindesbeinen an auf seine spätere Aufgabe vorbereitet worden. In Nordkorea habe er weder Kontakt zu Kindern aus dem Volke noch zu Kindern der Elite gehabt. Während Teile des Volkes hungerten, habe er im Luxus gelebt. Seine einzigen Freunde waren seine Geschwister: sein älterer Bruder sowie seine jüngere Schwester. Mit seinem Halbbruder habe er hingegen keinen Kontakt gehabt.

Schon als Kind habe sich Kims Weltbild geprägt, glaubt Nordkorea-Expertin Fifield. Er liebe Japan und die weltlichen Verlockungen, die der Westen zu bieten hat. China hingegen, Nordkorea Alliierter seit dem Krieg der 50er-Jahre, könne er nicht ausstehen. Es ärgere ihn masslos, dass das Überleben seines Landes vom Wohlwollen des grossen Nachbarn abhänge.

Derzeit besucht Chinas Staatspräsident Xi Jinping Nordkorea  – als erster Präsident seit 14 Jahren. Möglicherweise erhofft sich Kim, China könne ihm in Konflikt mit den USA über das Atomprogramm seines Landes den Rücken stärken.

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