Grossbritannien Endlich klare Verhältnisse? Was man zur Schicksalswahl wissen muss

von Silvia Kusidlo und Christoph Meyer, dpa/uri

12.12.2019

Seit den Morgenstunden wählen die Briten ein neues Parlament. Der Blick fürs Detail kann eingedenk der Flut an Infos schon einmal verloren gehen, deshalb: das Wichtigste zur Wahl zusammengefasst.

Die Briten wählen heute Donnerstag ein neues Parlament. Premierminister Boris Johnson hofft mit seinen Konservativen auf eine satte Mehrheit, um seinen Brexit-Deal durchs Parlament zu bringen und das Land am 31. Januar 2020 aus der Europäischen Union zu führen.

Die oppositionelle Labour-Partei hat dagegen so gut wie keine Chancen auf eine eigene Mehrheit, sondern müsste auf die Unterstützung kleinerer Parteien hoffen. Labour-Chef Jeremy Corbyn will ein eigenes Brexit-Abkommen aushandeln und es den Briten danach in einem zweiten Referendum vorlegen.

Wann ist mit einem Ergebnis zu rechnen?

Die Wahllokale sind von 8 Uhr (MEZ) bis 23 Uhr (MEZ) geöffnet. Unmittelbar danach wird eine Prognose im Auftrag der Fernsehsender BBC, ITV und Sky News veröffentlicht.

Bei vier von fünf Wahlen seit der Jahrtausendwende lagen die Prognosen grundsätzlich richtig. Kleinere Abweichungen zum Auszählungsergebnis sind aber üblich. Sollte das Rennen sehr knapp ausgehen, könnte es sein, dass bis zur Auszählung eines Grossteils der Stimmen keine Klarheit herrscht.

Die Ergebnisse werden für jeden Wahlkreis einzeln bekanntgegeben, die Auszählung dürfte sich bis in die Morgenstunden hinziehen. Mit einem offiziellen Endergebnis ist erst im Laufe des Freitags zu rechnen.

Besonderheiten des britischen Wahlsystems

Grossbritannien hat ein relatives Mehrheitswahlrecht. Ins Parlament zieht nur der Kandidat mit den meisten Stimmen in seinem Wahlkreis ein. Die Stimmen für unterlegene Kandidaten verfallen. Das führt dazu, dass die beiden grossen Parteien – also Konservative und Labour – bevorzugt werden und bringt in der Regel klare Mehrheitsverhältnisse.

In der jüngeren Vergangenheit kam es aber immer wieder zu einem «hung parliament» – das bedeutet, dass weder Labour noch Konservative eine absolute Mehrheit der Mandate im Unterhaus erreichen konnten.

Von den 650 Wahlkreisen in Grossbritannien liegen 533 in England, 59 in Schottland, 40 in Wales und 18 in Nordirland. Theoretisch liegt die Mehrheit bei 326 Sitzen. Weil aber die nordirisch-katholische Partei Sinn Fein ihre Sitze traditionell nicht einnimmt, liegt die Mehrheit faktisch etwas darunter. Bei der vergangenen Wahl gewann Sinn Fein sieben Mandate.

Wahlberechtigte

Zur Wahl aufgerufen sind alle Briten, die mindestens 18 Jahre alt sind, sich für die Wahl registriert und ihr Wahlrecht nicht verwirkt haben, beispielsweise wegen einer Haftstrafe. Abstimmen dürfen auch Bürger der Republik Irland und von Commonwealth-Staaten, die ihren Wohnsitz in Grossbritannien haben. Briten im Ausland dürfen nur an der Wahl teilnehmen, wenn sie innerhalb der vergangenen 15 Jahre für eine Wahl registriert waren. 2018 gab es 45,7 Millionen Wahlberechtigte.

Regierungsbildung

Bei klaren Mehrheitsverhältnissen beauftragt Königin Elizabeth II. den Wahlsieger mit der Bildung einer Regierung. Sollte es zu einem «hung parliament» kommen, müssen zuvor Verhandlungen über eine Koalition oder die Duldung einer Minderheitsregierung stattfinden.

Die Konservativen von Premierminister Boris Johnson haben derzeit kaum Aussicht auf eine erfolgreiche Zusammenarbeit mit anderen Fraktionen. Mit der nordirisch-protestantischen DUP, die Johnsons Vorgängerin Theresa May nach der Wahl 2017 stützte, hat sich Johnson im Streit über seinen Brexit-Deal überworfen. Die Umfragen sehen ihn jedoch auf dem Kurs zu einer eigenen Mehrheit.

Die Chancen der Labour-Partei für eine eigene Mehrheit gehen dem renommierten Wahlforscher John Curtice zufolge «gegen null». Parteichef Jeremy Corbyn könnte aber auf die Hilfe der Schottischen Nationalpartei SNP hoffen. Der Preis wäre jedoch ein baldiges Referendum über die Unabhängigkeit Schottlands, wie Parteichefin Nicola Sturgeon deutlich machte.

Auch die Liberaldemokraten könnten Zünglein an der Waage spielen. Ihr Ziel ist es, den Brexit abzuwenden. Daher wäre eine Zusammenarbeit mit Johnsons Tories nur schwer vorstellbar – mit Labour schon eher.

Was das Wahlergebnis für den EU-Austritt bedeutet

Sollte Boris Johnson eine klare Mehrheit erreichen, könnte er schon bald mit der Ratifizierung seines Brexit-Abkommens beginnen. Zusammentreten soll das Parlament erstmals wieder am 17. Dezember. Johnson kündigte bereits an, noch vor Weihnachten über seinen Austrittsdeal abstimmen zu lassen. Der EU-Austritt soll dann am 31. Januar vollzogen werden.

Anschliessend würden die komplizierten Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen mit Brüssel beginnen, das bis spätestens Ende des Jahres 2020 in Kraft treten muss. Dann endet die im Brexit-Deal vereinbarte Übergangsfrist. Eine Verlängerung wäre zwar bis Ende Juni noch möglich, doch das hat Johnson bereits ausgeschlossen.

Corbyn will innerhalb von drei Monaten einen neuen Brexit-Deal mit enger Anbindung an die EU aushandeln und sechs Monate später den Briten in einem Referendum vorlegen, die Alternative wäre ein Verbleib in der Staatengemeinschaft.

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