Krasse Presse Boris Johnson trägt es auf der Zielgeraden aus jeder Kurve

Von Philipp Dahm

10.12.2019

Boris Johnson besucht am 9. Dezember «Ferguson's Transport» im englischen Washington.
Boris Johnson besucht am 9. Dezember «Ferguson's Transport» im englischen Washington.
Bild: Keystone

Boris Johnson beherrscht vor der Wahl die Schlagzeilen in Grossbritannien. Nach Pöbeleien gegen Minderheiten macht der Premier nun in Zusammenhang mit dem Spitalbesuch eines Buben von sich reden.

Bisher hatte Boris Johnson in den Wahlprognosen immer einen komfortablen Vorsprung auf seine Herausforderer, doch kurz vor den Unterhauswahlen an diesem Donnerstag tut der amtierende Premier scheinbar nochmal alles, um es noch mal spannend zu machen – so nach dem Motto: Ein Affront jagt den nächsten Eklat.

Sympathien dürfte den Konservativen vor allem eine Herzlosigkeit im Zusammenhang mit einem chronisch kranken Knaben kosten: Der Vorfall kommt kurz vor Weihnachten zur Unzeit und ist per Kamera dokumentiert.

Der Hintergrund: Im Rahmen von Verhandlungen um ein Freihandelsabkommen mit den USA drängt Washington darauf, das britische Gesundheitswesen zu liberalisieren. Die Preise für Behandlungen und Medikamente würden nicht nur für sozial Schwache spürbar steigen – und dabei operieren die Spitäler des Landes jetzt schon am Limit.

Kardinalsünde: Krankes Kind 

Auch deshalb hatte das Foto des Jungen Jack solche Wellen auf der Insel geschlagen, das seine entrüstete Mutter der «Yorkshire Evening Post» geschickt hat. Es zeigt den Vierjährigen, der erschöpft und nur von ein paar Jacken bedeckt auf dem Boden des Spitals von Leeds liegt. Der Knabe hat zu diesem Zeitpunkt schon acht Stunden auf seine Konsultation gewartet: Jack war mit Verdacht auf Lungenentzündung eingeliefert worden.

Das Bild ist für viele Bürger der Ausdruck einer nationalen Misere – also wird auch der Premierminister von einem Reporter des Senders «ITV» um seine Meinung gebeten. Und was tut Boris Johnson, als Joe Pike ihm das Bild des darbenden Jack zeigen möchte?

Er sieht nicht einmal hin, blubbert stattdessen Parteiprogramm herunter, will von Investitionen ins Gesundheitswesen reden. Dann steckt er auch noch das Handy des Reporters ein: Der gebürtige New Yorker schiesst schlicht am Ziel vorbei und wird nach dieser emotionalen Bruchlandung im Internet mit Schimpf und Schande überhäuft.

Der 55-Jährige entschuldigte sich später zwar nicht nur bei der Familie, sondern direkt «bei allen, die schlechte Erfahrungen mit der [Gesundheitsbehörde] gemacht haben» – doch da war das Kind schon längst in den Brunnen gefallen.

Andere aktuelle Schlagzeilen über Boris Johnson sind derzeit auch nicht gerade rühmlich: Gerade erst ist ein Essay von 2004 wieder aufgetaucht, in dem Johnson die braune Mär bedient, nach der die Medien von Juden kontrolliert werden.

Feuern nach eigenem Ermessen

Der Mann hat es offenbar nicht so mit Minderheiten: Er pöbelte einerseits, dass die eingewanderten Festland-Europäer nicht so tun sollten, als sei Grossbritannien «ihr Land» und parierte den Vorwurf der Voreingenommenheit, als er eine frühere Entscheidung verteidigte, Homosexuelle nicht in der Armee zu rekrutieren.

Und als würde alles das nicht reichen, verspricht Johnson für den Brexit-Fall einen Babyboom und muss sich gleichzeitig Kritik gefallen lassen, weil er die Strecke Doncaster-Darlington in einem 25-minütigen Flug bewältigt hat.

Derlei Kritik perlt an Premier Stur stumpf ab. Johnson droht einfach nonchalant, er werde sich die Lizenzen der ebenfalls berichtenden BBC nochmal «genau ansehen».

Beherrscht die Titelseiten in England: Boris Johnson.
Beherrscht die Titelseiten in England: Boris Johnson.
Bild: Keystone

Das Irre ist: Ausser der Babyboom-News vom 8. Dezember ist keine der genannten Johnson-Schlagzeilen älter als 24 Stunden – wenn schlechte PR immer auch gute PR ist, muss sich Johnson um den Sieg am Ende wohl doch keine Sorgen machen.

Bilder des Tages

Zurück zur Startseite