Neue Waffen für die Ukraine Der Westen versucht fieberhaft, Kiews Lücken zu schliessen

Von Philipp Dahm

28.6.2022

Die Raketenangriffe auf zivile Ziele unterstreichen die Lücken in der ukrainischen Luftabwehr. Das Weisse Haus reagiert und beschafft für Kiew eine norwegische Lösung. Auch von anderer Seite gibt es Unterstützung.

Von Philipp Dahm

28.6.2022

Ein Raketenangriff auf ein Einkaufszentrum in Krementschuk fordert nach ukrainischen Angaben mindestens 18 Menschenleben – und Präsident Wolodymyr Selenskyj wiederholt seine Bitte an den Westen, sein Land mit Luftabwehr-Systemen zu versorgen.

«Die Leute im Einkaufszentrum in Krementschuk verdienten die gleiche Sicherheit wie Leute in jedem Einkaufszentrum der Welt, ob irgendwo in Philadelphia oder Tel Aviv, oder in einer Einkaufspassage in Dresden», sagt Selenskyj in seiner täglichen Videoansprache. Auch den G7-Grössen teilt der 44-Jährige dieses Bedürfnis mit.

Und Washington reagiert bereits: Die USA wollen in Norwegen entsprechende Systeme einkaufen und nach Kiew schicken, berichtet die Nachrichtenagentur Associated Press. Das Norwegian Advanced Surface to Air Missile System (Nasams) soll demnach die Ukraine mit einer Mittel- und Langstrecken-Luftabwehr versehen, die Angriffe wie den auf die Mall in Krementschuk hätten abfangen können.

Ausbildung in F-15- und F-16-Jets?

Nasams gilt als bewährtes System: Spanien hat gerade eine Batterie des Systems nach Lettland verschifft, um dort die Kontrolle des Luftraums zu gewährleisten. Deutschland hatte zugesagt, das System Iris-T in die Ukraine zu liefern, was laut Aussenministerin Annalena Baerbock jedoch Monate in Anspruch nehmen wird. Nicht zuletzt müssen Kiews Streitkräfte auch noch an den Systemen ausgebildet werden.

Die Nasams-Beschaffung soll nur ein Teil eines grösseren neuen Militärhilfe-Paketes sein. Nachdem zuletzt der Fokus auf Artillerie lag, gewinnt die Luftabwehr zwangsläufig an Bedeutung, nachdem zuletzt am Wochenende 60 Raketen auf die Ukraine abgefeuert wurden. «Der Luft-Krieg ist überall im Land, deshalb brauchen wir sehr viel mehr Luftabwehr und Flugzeuge», bestätigen zwei ukrainische Piloten im CNN-Interview.

Doch auch in diesen Bereich kommt Bewegung, nachdem der Republikaner Adam Kinzinger und die Demokratin Chrissy Houlahan im Repräsentantenhaus ein Gesetz einbringen wollen, das die Ausbildung ukrainischer Piloten in F-15- und F-16-Jets regelt. Die Erwartung dabei ist, dass das Weisse Haus im Laufe der Zeit den Export entsprechender Flugzeuge erlaubt.

CIA in Kiew aktiv

Wie die «New York Times» berichtet, setzt Washington auch Personal am Boden ein: Weil Soldaten nicht in den Krieg eingreifen dürfen, übernimmt die CIA die Aufgabe, die Verteilung westlicher Waffe innerhalb der Ukraine zu koordinieren. Die Geheimdienst-Mitarbeiter sind offenbar vor allem in der Region von Kiew aktiv.

Es gebe ausserdem wenige Dutzend Spezialkräfte aus anderen Staaten wie Kanada, Grossbritannien, Frankreich und Litauen, die in der Ukraine aktiv sein sollen. Unterstützt werden westliche Kräfte weiterhin durch Informationen: Nach wie vor fliegt die Nato regelmässig Aufklärungsflüge, die dann nachvollziehbar sind, wenn die Geräte wie zuletzt eine Global-Hawk-Drohne ihre Transponder einschalten.

Eine US-Drohne vom Typ RQ-4B Global Hawk patrouilliert über dem Schwarzen Meer.
Eine US-Drohne vom Typ RQ-4B Global Hawk patrouilliert über dem Schwarzen Meer.
Bild: u/SirBorkel

Apropos Drohnen: Auch an dieser Front bekommt die Ukraine Verstärkung. Eine Crowdfunding-Sammelaktion der Organisation Serhiy Prytula in der Ukraine hat in weniger als 3 Tagen rund 20 Millionen Dollar eingesammelt, mit der 4 Bayraktar-Drohnen beschafft werden sollen. Der türkische Hersteller Bayrak reagiert wohlwollend und schenkt Kiew nun das potenziell tödliche Quartett.

Frankreich will neue Waffen liefern

Und was tut Europa? Es bewegt sich – wenn auch langsam. Paris will angeblich sechs weitere Haubitzen vom Typ Caesar sowie Schützenpanzer vom Typ VAB in die Ukraine liefern. Auch über den Export von Exocet-Antischiffsreaketen werde nachgedacht.

Die Caesar ist bei Kiews Kämpfern sehr beliebt: Sie sei ein Gamechanger, weil sie so viel genauer und auch weiter schiesse, während sie extrem mobil ist, sagen ukrainische Soldaten. Allerdings melden die russischen Streitkräfte auch, sie hätten zwei Caesar kapern können: Dass die Technologie Moskau in die Hände fällt, hören die Franzosen nicht so gern.

Eine der stärksten Waffen der Ukrainer ist die Moral ihrer Streitkräfte. Während Russland angeblich weiterhin Mühe hat, Soldaten einerseits zu rekrutieren und andererseits sie zum Kampf zu bewegen. Im Juni enden zudem viele Verträge von Zeitsoldaten. Kiew hingegen kann sogar auf Freiwillige aus dem Ausland zählen.

«Das hier ist schwarz und weiss, richtig gegen falsch»

Sie lassen sogar ihr Leben für die Ukraine – so wie Aleksei «Tur» Skobli. Der Weissrusse war stellvertretender Kommandeur des Kastus Kalinouski Regiment, dass allein aus Weissrussen besteht. Für seinen Kampf vor allem in Butscha hat Selenskyj Skobli posthum als Held der Ukraine geehrt. In Chmelnyzkyj soll die Puschkin-Strasse neu seinen Namen erhalten.

Die Gefahr hält die ausländischen Kämpfer nicht ab. «Das ist das Wichtigste, was gerade auf der Welt passiert», sagt Soldat «Grinch» zu «Radio Free Europe». «Es ist der wichtigste Konflikt der letzten 50 Jahre.» «Die Russen werden nach der Ukraine nicht anhalten, wenn sie gewinnen sollten», pflichtet «Jimmy» bei.

Er könnte Franzose oder Belgier sein und sagt: «Wenn sie hier gewinnen, machen sie mit anderen europäischen Ländern weiter.» «Grinch» hat auch im Irak gedient. Die Grenzen seien dort fliessend gewesen. «Das hier ist schwarz und weiss, richtig gegen falsch.»

Sogar gewöhnliche Pickups werden von motivierten Ukrainern tauglich für das Schlachtfeld gemacht.