Rede zur Lage der Nation Joe Biden klingt verdächtig nach seinem Vorgänger

Von Jan-Niklas Jäger

8.2.2023

US-Präsident Joe Biden adressiert die Nation vor dem versammelten US-Kongress. Im Hintergrund zu sehen sind Vizepräsidentin Kamala Harris und der Sprecher des Repräsentantenhauses, Kevin McCarthy.
US-Präsident Joe Biden adressiert die Nation vor dem versammelten US-Kongress. Im Hintergrund zu sehen sind Vizepräsidentin Kamala Harris und der Sprecher des Repräsentantenhauses, Kevin McCarthy.
Bild: Jacquelyn Martin / AP POOL / dpa

In seiner Rede zur Lage der Nation verkündet Joe Biden das Ende der Krisenzeit. Dabei fällt auf, dass er sich der Versprechen und Ankündigungen bedient, die schon sein Vorgänger Donald Trump machte: America first.

Von Jan-Niklas Jäger

Es sind deutlich optimistischere Töne, die Joe Biden in seiner Rede zur Lage der Nation anschlägt. «Die Geschichte Amerikas ist eine Geschichte des Fortschritts und der Widerständigkeit», sagt der US-Präsident vor dem versammelten Kongress. «Wir sind das einzige Land, das aus jeder Krise stärker hervorgegangen ist. Das tun wir wieder.»

Die Message, die in dieser Bekundung der eigenen Stärke mitschwingt: Die Krise ist vorbei.

Permanente Krise

Denn seit der Wahl von Bidens Vorgänger Donald Trump im Jahr 2016 befindet sich das politische Amerika in einem überparteilichen Krisenmodus. Die Demokraten schlugen Alarm: Der Rechtspopulist Trump im Weissen Haus bedeute eine Gefährdung der amerikanischen Demokratie direkt an ihrer Wurzel, nämlich ihrem höchsten Amt.

Die Republikaner hingegen befanden sich bereits seit den Achtzigerjahren im Krisenmodus: Der damalige Präsident Ronald Reagan prägt seine Partei bis heute, indem er das medienwirksame Alarmschlagen zum Erfolgsrezept gemacht hatte.

Reagans Erbe

Reagan hatte sich zum Kämpfer für «traditionelle Werte» erkoren und die Arbeiterklasse davon überzeugt, dass die christlichen Werte des Landes gefährdet seien, attackiert von liberalen Eliten: an den Universitäten und in der Demokratischen Partei.

Die Demokraten galten bis dahin als Arbeiterpartei und einige der wichtigsten politischen Errungenschaften für Arbeiter*innen – etwa Sozialhilfe und Regulierungen des Marktes – waren ihr Vermächtnis. Reagan gewann die Stimmen der Arbeiterklasse durch kulturelle Panikmache und nutzte sie, um diese Errungenschaften wieder rückgängig zu machen.

Der Weg zu Trump

Donald Trump perfektionierte diesen Ansatz, als er es schaffte, sich gegen den Widerstand des nahezu kompletten politischen Establishments – das seiner eigenen Partei eingeschlossen – durchzusetzen, bis er im höchsten politischen Amt des Landes angekommen war.

Doch auch der Rechtsrutsch der Demokraten in den Neunzigerjahren spielte Trump in die Hände. Unter Bill Clinton wurde Reagans Abbau des Sozialstaates fortgesetzt statt rückgängig gemacht.

Eine Reform des Kriminalrechts, die ein härteres Vorgehen gegen in ärmeren Bevölkerungsschichten verbreitete Gesetzesverstösse vorsah und die amerikanischen Gefängnisse überfüllte, war von niemand Geringerem federführend unterstützt worden als von Joe Biden selbst.

Rhetorik des Ausnahmezustands

Nach George W. Bushs desaströsem Einmarsch in den Irak und Barack Obamas Finanzkrisen-Management zulasten der Mittelklasse nutzte Trump die vorherrschende Stimmung gegen die Entscheidungsträger Washingtons beider Parteien, indem er sich für viele Wähler*innen glaubhaft von ihnen distanzierte.

Die «Etablierten» – Demokraten und moderate Republikaner – sahen sich durch Trumps Wahl bedroht und übernahmen eine von einem permanenten Ausnahmezustand geprägte Rhetorik. Die Parteien und die ihnen nahestehenden Medien drifteten weiter auseinander. Heute scheint die Gesellschaft unwiederbringlich polarisiert.

Diese Rhetorik ist immer noch präsent, wenn Biden den Sturm von Trumps Anhängern auf das Kapitol im Januar 2021 als «grösste Gefahr für unsere Demokratie seit dem Bürgerkrieg» bezeichnet. Die Corona-Pandemie tat ihr übriges, um das Gefühl eines permanenten Ausnahmezustands zu zementieren.

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Aufbruchsstimmung mit Ankündigung

Doch Biden sieht diese Krisen nun als überwunden an. Und appelliert an die Republikaner, ihm dabei zu helfen, eine neue Richtung einzuschlagen, die «den Kurs der Nation und der Welt für die nächsten Jahrzehnte bestimmen» werde. Aufbruchstimmung will er verkünden und signalisieren: die harten Zeiten sind vorbei.

Ein historischer Augenblick sei gekommen, und dass Republikaner und Demokraten zusammenarbeiten könnten, habe man in den letzten zwei Jahren oft bewiesen. Nun, da die Republikaner die Mehrheit im Senat stellen, ist der Präsident allerdings mehr als zuvor auf deren Kompromissbereitschaft unter dem neuen Sprecher Kevin McCarthy angewiesen.

Biden führt Republikaner vor

McCarthy ist durchaus in der Lage, über Parteigrenzen hinaus Politik zu machen. Er steht aber auch unter Druck, weil rechte Hardliner seiner Partei ihm Anfang des Jahres ihre Stimmen verweigert hatten, bis er ihnen Zugeständnisse machte, die ihren Einfluss stärkten.

So wollen die Republikaner die Ausgaben des Staates zurückfahren. «Manche Republikaner wollen, dass Gesundheitsfürsorge und Sozialhilfe alle fünf Jahre auslaufen», merkt Biden in seiner Rede an und erntet die Buhrufe vieler Republikaner, die den Vorwurf absurd finden. Ihr Parteikollege Rick Scott hat diesen Vorschlag tatsächlich vorgebracht.

«Dann sind wir uns ja einig», freut sich Biden über die Gegenwehr seiner Kontrahenten. «Sozialhilfe und Gesundheitsfürsorge sind damit gesichert, richtig? Einstimmig!»

Zusammenarbeit möglich

Neben diesem rhetorischen Sieg glänzt Bidens Rede mit der Ankündigung akuter Massnahmen zur Besserung der Grundsituation der Amerikaner*innen, die – und das betont er – von den Republikanern mitgetragen werden. Abseits kultureller Grabenkämpfe scheint eine Zusammenarbeit noch möglich.

So setzt der Präsident ein Wahlversprechen um, indem er die Infrastruktur des Landes einer Generalüberholung unterziehen lässt. Durch die Subventionierung des Kaufs umweltfreundlicher Technologien soll ausserdem der hohen Inflation entgegengewirkt werden.

Die Rückkehr von «America First»

Wer nun aber meint, das von Biden beschworene Ende der Krise bedeute, dass der Schatten von Donald Trump nicht mehr über Washington liege, irrt. Das wird deutlich, als Biden verspricht, die Produktion von Halbleitern, die etwa für Autos und Handys nötig sind, wieder zurück in die USA zu holen.

«Wir stellen sicher, dass die Versorgungskette für Amerika in Amerika beginnt», verkündet Biden. Der Satz könnte auch aus dem Mund seines Vorgängers stammen. Auch die Ankündigung, dass die Baumaterialien für alle Infrastruktur-Projekte des Bundes künftig in Amerika hergestellt werden müssen, klingt verdächtig nach Trumps Motto «America First».

Die Zukunft vor Augen, die Vergangenheit im Nacken

Denn so sehr der Präsident das Augenmerk seiner Rede auch auf die Gegenwart und die von ihr geprägte Zukunft zu richten versucht, so wenig kann er der Vergangenheit entkommen. Den Einfluss seines Vorgängers versucht er zu minimieren, indem er sich aus dessen Handbuch bedient. 

Joe Biden scheint zwar vor Optimismus zu strotzen, doch er weiss genau, wie sehr die Republikaner ihn in der Hand haben. Ob er sich ihrem Griff entziehen kann, könnte darüber entscheiden, ob ihm seine eigene Partei einen erneuten Wahlsieg zutraut.

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