20'000 Zuhörer jubeln Fertig lustig! Merkel rechnet bei Harvard-Rede mit Trump ab

DPA/phi

31.5.2019

Angela Merkel hält an der US-Eliteuniversität Harvard eine Rede, die es in sich hat. Obwohl die Kanzlerin US-Präsident Donald Trump kein einziges Mal erwähnt, ist für jeden klar, auf wen ihre Kritik gemünzt ist.

In einer emotionalen Rede an der US-Eliteuniversität Harvard hat Kanzlerin Angela Merkel (CDU) für internationale Zusammenarbeit und gegenseitigen Respekt geworben – und sich scharf von US-Präsident Donald Trump abgegrenzt.

«Veränderungen zum Guten sind möglich, wenn wir sie gemeinsam angehen», sagte Merkel bei ihrer immer wieder von langem Beifall und Jubel unterbrochenen Ansprache vor Absolventen der renommierten Hochschule. «In Alleingängen wird das nicht gelingen.» 

Standing Ovations

Die Kanzlerin sprach in Cambridge im Bundesstaat Massachusetts vor rund 20'000 Menschen: Absolventen und deren Angehörige, Studenten, Professoren und Ehemalige. Auch wenn Merkel Trump kein einziges Mal namentlich erwähnte, wirkte ihre Rede wie eine Abrechnung mit der Politik des US-Präsidenten. Und ihr ging es auch um das wirklich Grosse und Ganze.

Bundeskanzlerin Angela Merkel während ihrer Rede in der Harvard Universität. Foto: Omar Rawlings
Bundeskanzlerin Angela Merkel während ihrer Rede in der Harvard Universität. Foto: Omar Rawlings
Source: Omar Rawlings

Die Deutsche trat in Harvard bescheiden auf, wurde aber dennoch wie ein Popstar gefeiert. Mehr als 30 Mal brandete bei der 35-minütigen Ansprache Beifall auf, mehrfach erhob sich das Publikum, um Merkel stehend Respekt zu zollen. Besonders viel Applaus gab es bei jenen Stellen, an denen Merkel – auch ohne Namensnennung für alle Zuhörer klar erkennbar – Kritik an Trump äusserte.

Einschränkend muss man aber sagen: Harvard ist eine liberale Hochburg in den USA, repräsentativ für die Meinung im Land ist die Hochschule keineswegs. Trump verfügt weiterhin über eine solide Basis – die Merkel mit Sicherheit nicht so begeistert empfangen hätte.

Mekerl vs. Trump – die Streitpunkte

Angela Merkel und Donals Trumps Vorstellungern liegen weit auseinander.
Angela Merkel und Donals Trumps Vorstellungern liegen weit auseinander.
Bild: Keystone

Multilateralismus

Jeder in Harvard wusste, auf wen Merkel anspielte, als sie sagte: «Mehr denn je müssen wir multilateral statt unilateral denken und handeln. Global statt national.» Der bekennende Nationalist Trump scheint dagegen mit seiner «America First»-Politik seit seinem Amtsantritt daran zu arbeiten, die Nachkriegsordnung auf den Kopf und jahrzehntealte Bündnisse in Frage zu stellen.

Handel

«Protektionismus und Handelskonflikte gefährden den freien Welthandel und die Grundlagen unseres Wohlstandes», sagte Merkel. Trump hat zahlreiche Handelskonflikte vom Zaun gebrochen und droht mit Strafzöllen auf Autos aus der EU, wovon besonders deutsche Hersteller betroffen wären. Am Donnerstagabend kündigte er Strafzölle auf alle Importe aus Mexiko ab dem 10. Juni an, sollte die dortige Regierung die illegale Migration in die USA nicht stoppen.

Angela Merkel als frischgebackener Doktor honoris causa der Universität Harvard.
Angela Merkel als frischgebackener Doktor honoris causa der Universität Harvard.
Bild: Keystone

Klimawandel

Merkel forderte in Harvard, alles Menschenmögliche zu unternehmen, um den Klimawandel in den Griff zu bekommen. Sie räumte ein, dass auch die Bundesregierung dabei besser werden müsse. Trump hat die USA – einen der grössten Verursacher von Treibhausgasen weltweit – aus dem internationalen Pariser Klimaschutzabkommen zurückgezogen. Merkel sagte, Klimawandel sei vom Menschen verursacht. Trump zweifelt das an (auch wenn er Klimawandel – anders als früher – inzwischen nicht mehr für einen «Scherz» hält).

Politischer Aktionismus

Erst nachdenken, dann handeln – Merkel sagte, schwierige Fragen könnten gelöst werden, «wenn wir bei allem Entscheidungsdruck nicht immer unseren ersten Impulsen folgen, sondern zwischendurch einen Moment innehalten, schweigen, nachdenken, Pause machen». Kaum ein Politiker ist impulsiver als Trump, der seinen Emotionen ungefiltert auf Twitter freien Lauf lässt.

Trump bei der Abschlussfeier der «United States Air Force Academy» am 30. Mai 2019 in Colorado Springs, Colorado.
Trump bei der Abschlussfeier der «United States Air Force Academy» am 30. Mai 2019 in Colorado Springs, Colorado.
Bild: Keystone

Grenzen

Merkel erzählte von ihrer Vergangenheit in der DDR. Die Berliner Mauer habe ihr Leben damals sehr eingeschränkt, ihr aber nie ihre Träume und Sehnsüchte nehmen können, sagte sie. Die Kanzlerin sprach sich auch dafür aus, «Mauern in den Köpfen» einzureissen. Mauern haben mit Blick auf Trump eine besondere Bedeutung: Der Bau einer Mauer an der Grenze zu Mexiko ist eines seiner Kernanliegen.

Glaubwürdigkeit

Merkel warb für «Wahrhaftigkeit gegenüber anderen und gegenüber uns selbst», und sie sagte: «Dazu gehört, dass wir Lügen nicht Wahrheiten nennen und Wahrheiten nicht Lügen.» Trump verunglimpft die Berichterstattung in kritischen Medien als «Fake News», seine Beraterin Kellyanne Conway hat den Begriff «alternative Fakten» geprägt. Trump ist berüchtigt für sein besonderes Verhältnis zur Wahrheit: Die Faktenchecker der «Washington Post» haben seit Trumps Amtsantritt Anfang 2017 mehr als 10'000 falsche oder irreführende Behauptungen des US-Präsidenten gezählt.

Ehrendoktor für Flüchtlingspolitik

Der promovierten Physikerin wurde am Donnerstag die Ehrendoktorwürde von Harvard verliehen. Die offizielle «Harvard Gazette» nannte zur Begründung unter anderem die Flüchtlingspolitik der Kanzlerin – just jenes Thema also, das ihr zu Hause Kritik eingebracht hat wie kein anderes.

«Mit ihrem Slogan «Wir schaffen das» wurden Merkels vier Amtszeiten geprägt von scharfsinniger Entschlossenheit und Pragmatismus», schrieb das Blatt in seiner Sonderausgabe zur Abschlussfeier über die «Kanzlerin der freien Welt».

31. August 2015: Angela Merkel gibt an der Bundespressekonbferenz die Losung «Wir schaffen das» aus.
31. August 2015: Angela Merkel gibt an der Bundespressekonbferenz die Losung «Wir schaffen das» aus.
Bild: Keystone

Bei den akademischen Zuhörern konnte die Kanzlerin punkten. Er sei «begeistert», dass Merkel bei seiner Abschlussfeier spreche, sagte der 26-jährige Ethan Hughes. «Viele Amerikaner blicken auf sie, wegen des Mangels an politischer Führung hierzulande.» Mit-Absolvent Ahmad Kareh (37) bescheinigte Merkel eine «Leidenschaft für Demokratie». Der Jordanier Malek Hassan (27), der gerade sein Medizinstudium abgeschlossen hat, nannte die Kanzlerin «eine Inspiration für die junge Generation».

Trumps Gegenrede und Merkels Pension

Obwohl Merkel in den USA war, traf Trump die Kanzlerin nicht – warm geworden sind die beiden nie miteinander. Nach Angaben eines deutschen Regierungssprechers hatte die US-Seite frühzeitig mitgeteilt, dass der Präsident nicht in Washington sein werde.

Trump sprach am Donnerstag ebenfalls vor Absolventen, allerdings rund 2'850 Kilometer von Harvard entfernt, nämlich an der US Air Force Academy im US-Bundesstaat Colorado. Nichts und niemand werde jemals die Vereinigten Staaten von Amerika stoppen, rief er dort.

Merkel machte in Harvard erneut deutlich, dass ihre Zeit als Kanzlerin zu Ende geht – auch wenn sie kurz vor ihrer Reise noch einmal betont hatte, dass sie bis zum Jahr 2021 zur Verfügung stehe. «Ich glaube, dass wir immer wieder bereit sein müssen, Dinge zu beenden, um den Zauber des Anfangs zu spüren und Chancen wirklich zu nutzen», sagte sie den Harvard-Absolventen. «Und wer weiss, was für mich nach dem Leben als Politikerin folgt. Es ist völlig offen. Nur eines ist klar: Es wird wieder etwas Anderes und Neues sein.»

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