Beziehungen «am Tiefpunkt»Am Tag vor Genf sind sich Biden und Putin für einmal einig
Von Philipp Dahm
15.6.2021
Vor dem mit Spannung erwarteten Treffen zwischen Wladimir Putin und Joe Biden am Mittwoch in Genf herrscht zwischen russischem und amerikanischem Präsidenten – zumindest verbal – eine kleine Eiszeit.
Von Philipp Dahm
15.06.2021, 06:45
15.06.2021, 09:41
Philipp Dahm
Einst war die Sowjetunion der Antrieb, um die Nato zu gründen. Heute wird die Pressekonferenz des aktuellen Nato-Gipfels in Brüssel auch auf Russisch übersetzt. Ein Fingerzeig?
Als der Nato-Generalsekretär vor wenigen Minuten vor die Presse getreten ist, ging es zwar auch um andere Staaten – Jens Stoltenberg führt namentlich die ausbaufähigen Beziehungen zu China an. Doch auch mit Russland ist das Verhältnis zerrüttet: Die «transatlantische Familie», wie Stoltenberg sie nennt, hat Moskau die Krim-Annexion nicht vergessen.
«Moskaus aggressive Aktionen beeinflussen unsere Sicherheit. Wir werden unsere Verteidigung stärken, sind aber offen für Gespräche.» Stoltenberg kündigte an, die Ukraine und Georgien näher an die Nato heranzuführen. Dass der Generalsekretär das in dieser Form offen äusserte, dürfte im Kreml wie eine Ohrfeige aufgenommen werden.
Militärhilfe für die Ukraine und «harte Botschaften»
Die Ansage an Russland ist nur eine weitere von vielen Spitzen, die die erste Europa-Reise von US-Präsident Joe Biden begleiten. Da geht es einerseits um Worte, aber auch um Taten. Vor drei Tagen erst hat das Pentagon bekannt gegeben, der Ukraine Militärhilfen in Höhe von 150 Millionen Dollar zukommen lassen zu wollen.
Mit dem Geld sollen «Letalität, Kommando, Kontrolle und Lage und das Lage-Bewusstsein» der ukrainischen Streitkräfte erhöht werden. Konkret würden Artillerie-Radar, Drohnen-Abwehrsysteme und Material für die Kommunikation und elektronische Kampfführung geliefert. Auch für das Training der Osteuropäer werde gesorgt. Seit 2014 sind somit bereits 2,5 Milliarden Dollar US-Militärhilfe in die Ukraine geflossen.
Auch am G7-Gipfel in Grossbritannien haben die westlichen Staaten-Lenker wenig warme Worte für Moskau in petto. Am Samstag bekundete Premier Boris Johnson, er glaube, dass Biden Putin beim Genfer Gipfel «einige ziemlich harte Botschaften» übermitteln werde. Auf die Frage, ob er den Russen ebenfalls für einen «Killer» halte, antwortet er: «Ich denke auf jeden Fall, dass Präsident Putin Dinge getan hat, die skrupellos sind.»
Ist er ein Killer? Putin lacht nur
Und was sagt der so Gescholtene dazu? Der stand ebenfalls am Samstag NBC Antwort und Rede. Auch der US-Sender fragte sich und dann eben auch direkt Putin – im Video zu sehen ab Minute 1:52; ist der Kreml-Chef nun ein Killer oder nicht?
Putin lacht auf spezielle Art, verweist darauf, dass er Angriffe gewohnt sei. Er sagt, dass der Terminus Killer doch ein Hollywood-Begriff sei, der Teil der amerikanischen Polit-Kultur geworden sei. In Russland sei das anders.
Der Reporter hakt nach, seine Frage sei nicht beantwortet. Doch, das habe er, bekräftigt Putin. Er kenne solche Anschuldigungen von Terroristen aus der Zeit der Kaukasus-Kriege, doch ihm gehe es bloss um Russland. Wer ihn wie bezeichne, das «kümmert mich überhaupt nicht», stellt Putin klar.
Der Reporter liest die Namen getöteter Oppositioneller vor. Alles Zufall? Putin lacht wieder so schräg. Er sagt, verschiedene Leute seien zu unterschiedlichen Zeiten an diversen Orten «umgekommen» – der 68-Jährige lässt sich nicht festnageln.
Biden bestätigt: Ja, wir sind am Tiefpunkt
An anderer Stelle wird er deutlicher: «Wir haben ein bilaterales Verhältnis, das sich in den vergangenen Jahren immer weiter verschlechtert hat und auf einem Tiefpunkt angekommen ist.» Es gebe aber auch gemeinsame Interessen und «Themen, bei denen wir effektiv arbeiten können», so Putin.
Den Ball, der nun in seinem Feld liegt, schlägt Joe Biden gestern in Grossbritannien zurück, als er auf das erwartete Klima am Genfer Gipfel angesprochen wird. «Ich denke, er hat recht damit, dass wir am Tiefpunkt sind.» Nun hänge es davon ab, ob die Gegenseite nach internationalen Normen handeln könne. «Was er oftmals nicht getan hat», ergänzt Biden mit Blick auf Putin.
«Es geht darum, sehr deutlich zu machen, was die Bedingungen sind, um ein besseres Verhältnis zu Russland zu haben», versichert der 78-Jährige. «Wir sind nicht auf Konflikt aus. Wir wollen sie lösen.» Nachgefragt, wie er denn Moskau noch beeinflussen wolle, da es bereits diverse Sanktionen gebe, antwortet Biden: «Es gibt keine Garantien, dass man das Verhalten einer Person oder eines Landes ändern kann.»
Kleiner Lichtblick: Bewegung in Sachen Cyber-Kriminalität
Und weiter: «Autokraten haben eine enorme Macht und müssen sich nicht vor der Öffentlichkeit verantworten.» Russland habe sein «eigenes Dilemma mit der Wirtschaft, Covid, mit Europa und dem Nahen Osten». Bei Themen wie dem libyschen Bürgerkrieg könne man zusammenarbeiten. Und warum hat der Kreml-Chef sich bisher nicht von den Sanktionen beeindrucken lassen? «Er ist Wladimir Putin», lautet Bidens Antwort.
Doch vor dem Gipfel, der übermorgen bei strahlendem Wetter über die Bühne gehen wird, dräuen nicht nur am Polit-Himmel dunkle Wolken. So hat Putin Biden in einem Punkt Entgegenkommen signalisiert: Russland hat den USA angeboten, Cyber-Kriminelle auszuliefern, wenn die Gegenseite auch dazu bereit ist.
Wenn Menschen in den USA «Verbrechen gegen Russland begehen» würden, sei der US-Präsident auch bereit, «sie zur Verantwortung zu ziehen», sagte Biden dazu bei der gestrigen G7-Pressekonferenz im englischen Newquay. «Ich habe davon gestern im Flugzeug gehört. Es ist ein gutes Zeichen, ein Zeichen für Fortschritt.»
Ein Fortschritt in den Beziehungen zwischen Russland und den USA wäre im Sinne der gesamten Weltgemeinschaft. Es gibt kleine Lichtblicke, aber vor allem Stolpersteine vor dem Gipfel in Genf. Das Gute an dem «Tiefpunkt», den beide Parteien unisono erkannt haben wollen: Schlechter kann es nun wirklich kaum mehr werden.