«Pyromane im Maschinenraum» Der neue niederländische Premier und sein langer Schatten

Von Philipp Dahm

4.7.2024

Niederländische Rechtsregierung mit Ministern von Wilders-Partei vereidigt

Niederländische Rechtsregierung mit Ministern von Wilders-Partei vereidigt

Gute sieben Monate nach dem Wahlsieg des Rechtspopulisten Geert Wilders in den Niederlanden hat die erste Koalition mit Beteiligung seiner Partei PVV ihre Arbeit aufgenommen. Das Kabinett unter Führung des parteilosen Ex-Geheimdienstchefs Dick Schoof wurde am 3. Juli im Königspalast in Den Haag vereidigt.

03.07.2024

Ein parteiloser Bürokrat ist neuer niederländischer Premier. Obwohl Geert Wilders nicht in der neuen Regierung sitzt, zieht der Rechtspopulist im Hintergrund die Fäden – und bestimmt die Agenda des Kabinetts.

Philipp Dahm

4.7.2024

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Dick Schoof, ein ehemaliger Geheimdienstchef, ist gestern Dienstag in den Niederlanden als neuer Premierminister vereidigt worden.
  • Der wirkliche neue starke Mann der Niederlande ist jedoch ein anderer: Rechtspopulist Geert Wilders, der im Hintergrund die politische Agenda setzt und auch den Kurs des neuen Kabinetts festlegt.
  • Die neue Regierung setzt sich aus Vertretern von vier verschiedenen Parteien zusammen.

Dick Schoof hat ein Versprechen abgegeben. Er werde «bestimmt» die Pläne der neuen niederländischen Koalition für die «strengste Asylpolitik» in der Geschichte des Landes umzusetzen, die auch «die Migration in den Griff» bekommen will.

Siebeneinhalb Monate nach dem Urnengang, bei der der 67-Jährige selbst gar nicht zur Wahl stand, ist Schoof neuer Premierminister. Der parteilose Bürokrat und frühere Geheimdienst-Chef wirkt wie die Klammer, die die vier Regierungsparteien zusammenzwängen soll, die aber schon vor Beginn ihrer Legislatur so gar nicht zusammenhalten wollen.

Dick Schoof (r.) begrüsst am 28. Mai in Den Haag Geert Wilders.
Dick Schoof (r.) begrüsst am 28. Mai in Den Haag Geert Wilders.
Bild: Keystone

Und hinter ihm steht der Mann, der die Wahl im November eigentlich gewonnen hat: Geert Wilders' Partij voor de Vrijheid (PVV) wird mit 23,6 Prozent die klar stärkste Kraft. Doch mit dem kontroversen Nationalisten ist keine Politik zu machen, wird in den folgenden Koalitionsverhandlungen klar.

Wilders' Agenda

Im März verzichtet Wilders deshalb offiziell auf das Amt des Regierungschefs: «Ich kann nur Premier werden, wenn alle Parteien in der Koalition das wollen», schreibt er damals auf X. «Das war nicht so.» Auch einen Ministerposten lehnt er ab.

Dafür setzt der 60-Jährige die Agenda: Islam-Kritik, Europa-Skepsis und Migration sind seine Themen, die sich nun auch in der Besetzung des Kabinetts und den Regierungsvorhaben wiederfinden. So ist natürlich klar, dass seine PVV das Amt für Asyl und Migration mit Marjolein Faber eine Frau vom rechten Parteiflügel übernimmt.

Faber ist umstritten: Sie hat sich einst für Verbote des Korans und von Moscheen ausgesprochen, um den Islam «loszuwerden». Den Vereinten Nationen warf sie vor, eine «Umvolkung» zu betreiben: Damit nährte sie die Verschwörungstheorie des «Grossen Austauschs». In einer Anhörung vor ihrer Ernennung entschuldigte sich die 64-Jährige zwar für den Begriff, betonte aber ihre Sorge über demografische Entwicklungen.

«Pyromane im Maschinenraum»

Die Konflikte beginnen bereits, bevor Faber tatsächlich im Amt ist: Der Amsterdamer Stadtrat Rutger Groot Wassink sorgt mit einem Interview in «Parool» für Aufsehen, in dem er ankündigt, er werde nicht das Telefon abnehmen, falls sich die Ministerin der «rechtsextremen Partei» meldet.

Umstritten: Marjolein Faber.
Umstritten: Marjolein Faber.
KEYSTONE

Der Gegenwind, der dem neuen Kabinett jetzt schon entgegenweht, ist ungewöhnlich, weiss Geerten Boogaard von der Universität Leiden. Das sei kein gutes Zeichen: «In einem relativ stark dezentralisierten Land wie den Niederlanden war die Kooperation zwischen dem Zentrum und den lokalen Ebenen der Regierung wesentlich», erklärt er «Politico».

Persönliche Bindungen und bürgerliche Bewegungen hätten geholfen, Konflikte zu lösen. «Diese traditionellen Bindungen gibt es jetzt nicht.» Eine Abgrenzung wie im Falle des Amsterdamers Wassink könne der PVV aber auch helfen, gibt Boogaard zu Bedenken: Es könnte «die grössere Gefahr für die Demokratie sein, als den Pyromanen in den Maschinenraum zu lassen».

Gegner von Abtreibung und Entwicklungshilfe

Stellvertretende Premier- und neue Gesundheitsministerin ist Fleur Agema: Die 47-jährige PVV-Politikerin will das Recht auf Abtreibung einschränken. Das Wirtschaftsministerium übernimmt PVV-Mann Dirk Beljaarts: Der ehemalige Hotelmanager ist gleichzeitig ungarischer Honorarkonsul. Das Amt für Aussenhandel und Entwicklung führt nun Reinette Klever: Die PVV-Politikerin hatte einst gefordert, die Entwicklungshilfe abzuschaffen.

Fleur Agema und Dick Schoof am 2. Juli in Den Haag.
Fleur Agema und Dick Schoof am 2. Juli in Den Haag.
KEYSTONE

Die populistische Bauern-Bürger-Bewegung (BBB) übernimmt im Kabinett die Ressorts Wohnen und Landwirtschaft, die beide um den knappen Boden der Niederlande kämpfen müssen: Konflikte scheinen programmiert.

Pieter Omtzigts Partei Nieuw Sociaal Contract (NSC) ist erst 2023 gegründet worden, besetzt nun jedoch vier Regierungsposten: Sie übernimmt Bildung, Soziales sowie das Innen- und Aussenministerium. Die Volkspartij voor Vrijheid en Democratie (VVD) war zwischen 2010 und 2023 stärkste Kraft der niederländischen Parteienlandschaft. Sie führt fortan die Ressorts Finanzen, Verteidigung, Justiz und Umwelt.

Auf Konfrontationskurs mit Brüssel

Diese Mischung ist bunt, warnt Boogaard: Sie berge die Gefahr, dass «jeder politische Akteur nur für seine eigenen Interessen einsteht, um die eigene Wählerbasis zu behaupten, anstatt auf kollektiven Erfolg hinzuarbeiten». Da trifft es sich gut, wenn es äussere Gegner gibt, die im 26-seitigen Koalitionspapier «Hoffnung, Mut und Stolz» benannt sind.

So will die neue Regierung zunächst den Beitrag für die EU senken. Ausserdem soll Schoof prüfen, ob sich die Bewegungsfreiheit von Bürger*innen aus anderen EU-Ländern einschränken lässt – das kann Brüssel nicht gefallen.

Sündenböcke sind für das neue Kabinett auch die Migranten: So soll das Asylrecht nur noch temporär gewährt werden. Gleichzeitig soll schneller und kompromissloser abgeschoben werden und der Familiennachzug begrenzt werden. Die gleichmässige Verteilung von Migranten im Land wird aufgehoben.


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