Hilfe von Xi Jinping China verschafft Taiwans Präsidentin ungewollt ein Comeback

AP

10.1.2020

Ein Wahlplakat von Taiwans Präsidentin Tsai Ing-Wen in Taipeh. Die Chancen auf eine zweite Amtszeit steigen.
Ein Wahlplakat von Taiwans Präsidentin Tsai Ing-Wen in Taipeh. Die Chancen auf eine zweite Amtszeit steigen.
Bild: Ng Han Guan/AP/dpa

Lange sah es gar nicht gut aus für die taiwanische Präsidentin Tsai Ing-wen. Doch kurz vor der Wahl hat sie gute Chancen auf eine zweite Amtszeit — dank eines unfreiwilligen Helfers.

Vor einem Jahr schien Tsai Ing-wen politisch erledigt. Doch wenn nun am Samstag in Taiwan gewählt wird, hat die amtierende Präsidentin Taiwans den Umfragen zufolge beste Chancen auf eine zweite vierjährige Amtszeit. Hilfe für dieses bemerkenswerte Comeback hat sie aus einer unerwarteten Ecke erhalten: vom chinesischen Präsidenten Xi Jinping.

Den Tiefpunkt hatten Tsai und ihre Demokratische Fortschrittspartei DPP bei den Kommunalwahlen im November 2018, als sie schwere Verluste hinnehmen mussten. Doch seitdem ging es bergauf. Tsai schlug dabei vor allem aus drei Entwicklungen Kapital: den Ängsten, die die chinesischen Drohungen gegen das Land schürten, den Protesten in Hongkong sowie der Haltung der US-Regierung, auf deren Unterstützung die Menschen in Taiwan bauen, sollte sich die Situation zuspitzen.  «Alle Faktoren, die Tsai Ing-wen, helfen, sind eingetreten», sagte Meinungsforscher You Ying-lung, Vorsitzender der Taiwan Public Opinion Foundation, Ende vergangenen Jahres auf einer Pressekonferenz.

Wahlsieg könnte für weitere Spannungen sorgen

Ein Sieg Tsais und ihrer Partei, die für eine Unabhängigkeit Taiwans eintritt, würde mit grosser Wahrscheinlichkeit für weitere Spannungen mit China sorgen, das Taiwan als abtrünnige Provinz betrachtet.

Eine Illustration der Präsidentin von Taiwan, Ing-wen, ist auf einem Schild während einer Kundgebung zu sehen. Die Präsidentschaftswahl soll am 11. Januar stattfinden.
Eine Illustration der Präsidentin von Taiwan, Ing-wen, ist auf einem Schild während einer Kundgebung zu sehen. Die Präsidentschaftswahl soll am 11. Januar stattfinden.
Bild: -/kyodo/dpa

Grösster Widersacher Tsais ist Han Kuo-yu von der chinafreundlichen Kuomintang (KMT). Er gewann 2018 die Bürgermeisterwahl in Kaohsiung, eigentlich eine Hochburg der DPP. Bis Anfang 2019 lag er in Umfragen mit einem komfortablen Vorsprung vor Tsai. Doch dann schrumpfte der Vorsprung. Im August zog Tsai an ihm vorbei, und zum Jahresende lag sie klar vorne, wie eine Auswertung mehrerer Umfragen des unabhängigen Medienunternehmens The News Lens ergab, das vor allem junge Menschen erreicht.

Ein weiterer Sieg der Amtsinhaberin wäre das Letzte, was Chinas Präsident Xi wollte. Dabei sehen viele Beobachter Xis grosse Ansprache zu Taiwan von Anfang 2019 als Wendepunkt zugunsten Tsais.

Xi schliesst Gewalt nicht aus

Der chinesische Präsident erhöhte damals den Druck auf Taiwan, sich China nach dem Modell «Ein Land, zwei Systeme» anzuschliessen, das bereits in Hongkong angewendet wird. Er forderte Gespräche und erklärte, China schliesse Gewalt nicht aus, um eine Vereinigung zu erreichen.

Tsai reagierte unverzüglich und stellte in einer viertägigen Medienkampagne unmissverständlich klar, dass ihr 23-Millionen-Volk niemals ein solches Modell akzeptieren werde. Kurz darauf hatte sie in Umfragen im Vergleich zum November 2018 rund zehn Prozentpunkte zugelegt. Ausserdem profitierte sie davon, dass ihr Bild in der Öffentlichkeit aufpoliert wurde — unter anderem mit einer umfassenden Kampagne in sozialen Medien. Wahlkampfsprecherin Lien Yi-ting sieht in der Strategie einen wichtigen Grund für Tsais Popularitätsgewinn.

Und dann brachen im Juni die Proteste in Hongkong aus. Tsai nutzte das für ihre Positionierung, verwies immer wieder darauf, dass die Situation in Hongkong ein Beweis dafür sei, dass das von China geforderte «Ein Land, zwei Systeme»-Modell nicht funktioniere.

Unterstützer der oppositionellen Kuomintang-Partei (KMT) versammeln sich um den Präsidentschaftskandidaten Kuo-yu bei einer Kundgebung. Die Präsidentschaftswahl soll am 11. Januar stattfinden.
Unterstützer der oppositionellen Kuomintang-Partei (KMT) versammeln sich um den Präsidentschaftskandidaten Kuo-yu bei einer Kundgebung. Die Präsidentschaftswahl soll am 11. Januar stattfinden.
Bild: -/kyodo/dpa

Bei den Präsidentschaftswahlen in Taiwan spielt das Verhältnis der Insel zu China immer eine zentrale Rolle. Mal schlägt das Pendel für die DPP aus, die auf eine harte Linie bei der Verteidigung der Souveränität des Landes setzt, mal tendieren Wähler stärker zur KMT, die Kooperation mit China propagiert, um das Wirtschaftswachstum zu fördern.

Das wirtschaftliche Argument hat allerdings zuletzt auch an Gewicht verloren, weil sich taiwanische Unternehmen wegen der steigenden Arbeitskosten in China teilweise von dort zurückziehen. Hinzu kommt der Handelsstreit zwischen den USA und der Volksrepublik, der zu einer stärkeren Besteuerung chinesischer Güter geführt hat.

Waffen aus den USA

Die USA erkennen Taiwan zwar nicht als Staat an, verkaufen dem Land aber militärische Ausrüstung zu Verteidigungszwecken. Auch auf anderen Ebenen — etwa bei bestimmten Gesetzen — haben die Vereinigten Staaten zumindest symbolisch ihre Unterstützung demonstriert. Das ermutigt Wähler, sich ungeachtet der möglichen Risiken gegen China zu stellen.

Die Menschen glaubten, dass sich Taiwan auf die USA verlassen könne, sagt Wong Ming-hsien, Professor für Internationale Politik und Strategische Studien an der Tamkang-Universität in Taipeh. «Und wenn sich Taiwan darauf verlassen kann, kann es auch den Druck aus China aushalten.»

Lev Nachman, Stipendiat für Politik des renommierten Fulbright-Programms in Taiwan, verweist noch auf einen anderen Aspekt. Han Kuo-yus Neigung zu verbalen Ausrutschern und der innerparteiliche Konkurrenzkampf um die Präsidentschaftskandidatur mit dem einflussreichen Geschäftsmann Terry Gou hätten die KMT gespalten und so ebenfalls Tsai geholfen.

Aus seiner Sicht spielt das zusammen mit dem aufpolierten Image Tsais womöglich sogar eine noch grössere Rolle als die Proteste in Hongkong. «Sie ist einfach die coolste Politikerin in Taiwan», sagt er. «Junge Menschen mögen sie wieder. Das ist erstaunlich, denn vor einem Jahr noch hatte sie keiner mehr gemocht.»


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