Potenzieller neuer Premierminister Boris Johnson: Polternder Brexit-Wortführer am Ziel seiner Träume?

dpa / AFP / tmxh

23.7.2019

Auf Boris Johnson ruhen grosse Erwartungen – insbesondere von Brexit-Hardlinern. Der ehemalige Aussenminister und Londoner Bürgermeister soll als Premierminister so schnell wie möglich den EU-Austritt bewerkstelligen.

Boris Johnson hat es schon lange auf das Amt des Premierministers abgesehen – daran gibt es kaum einen Zweifel. Der britische Ex-Aussenminister und frühere Londoner Bürgermeister hat zuletzt tatkräftig mitgeholfen, Theresa May zu Fall zu bringen.

Sie selbst hatte ihn 2016 nach dem knappen Votum der Briten für den EU-Austritt als Chefdiplomaten in ihr Kabinett geholt. Später löste sich der heute 55-Jährige aus der Umklammerung. Er trat von seinem Kabinettsposten zurück und schrieb fortan in einer wöchentlichen «Telegraph»-Kolumne gegen Mays Brexit-Pläne an.

Genau in jener Kolumne verglich er nun den Brexit mit der Mondlandung, die sich dieser Tage zum 50. Mal jährt: «Wenn es möglich war, mit einfachem Computercode einen reibungslosen Wiedereintritt in die Erdatmosphäre zu schaffen, können wir auch das Problem des reibungslosen Handels an der nordirischen Grenze lösen», schrieb Johnson. Es gäbe ihmzufolge «viel Spielraum, um die notwendigen Lösungen zu finden».

Nachdem May Anfang dieses Jahres drei Mal mit ihrem Brexit-Deal im Parlament in London gescheitert war und Nigel Farage mit seiner Brexit-Partei bei der Wahl zum Europaparlament zur stärksten Kraft in Grossbritannien wurde, sah Johnson seine Chance gekommen, zumal May ihren Rücktritt ankündigen musste.

Beliebt an der Basis

Johnson trauen nun viele Briten zu, enttäuschte Brexit-Wähler, die sich von den Konservativen wegen des bis Ende Oktober verschobenen EU-Austritts abgewendet haben, wieder einzufangen.

Problemlos nahm Johnson die erste Hürde, eine Vorauswahl der Kandidaten innerhalb der einst skeptischen Tory-Fraktion. Auch in der Finalrunde, bei der die Parteimitglieder das Sagen haben, ist ihm ein Sieg so gut wie sicher. An der Basis war Johnson schon immer beliebt.

Den Brexit-Hardlinern in der Konservativen Partei verspricht er einen EU-Austritt zum 31. Oktober – mit Abkommen oder ohne. Gleichzeitig behauptet er aber, die Chancen eines No-Deal-Brexits seien eins zu einer Million.

Ob er tatsächlich einen detaillierten Plan hat, wie er das Brexit-Dilemma lösen will, darf bezweifelt werden. Regeln oder Details interessieren Johnson kaum. Er ist gewohnt, sich mit Witz und Charme darüber hinwegzusetzen. Diese Strategie hat ihn in Grossbritannien in das höchste politische Amt getragen. Fraglich ist jedoch, ob sein Charme auch in Brüssel und anderen europäischen Hauptstädten verfängt.

Trotz seines Talents, den vermeintlich einfachen Mann anzusprechen, ist Johnson ein Mitglied der britischen Oberschicht. Er besuchte das Elite-Internat Eton, studierte in Oxford und war zeitweise Präsident des Debattierclubs Oxford Union sowie Mitglied der als dekadent verschrienen Studentenverbindung Bullingdon-Club.

Als Kind wollte er «König der Welt» werden

Johnson, von vielen einfach nur «Boris» genannt, wurde 1964 in New York als Alexander Boris de Pfeffel Johnson geboren. Schon als Kind habe er den Wunsch geäussert, einmal «König der Welt» zu werden, verriet seine Schwester Rachel dem Biografen Andrew Gimson. Ihr Bruder Boris erhielt als Schüler ein Stipendium für die Eliteschule Eton und ging später auf die Universität Oxford, wo er Mitglied im berüchtigten Bullingdon Club wurde.

Nach dem Studium wurde Johnson Journalist. Die Zeitung «The Times» feuerte ihn nach einem Jahr, weil er Zitate fälschte. Dann arbeitete er für «The Daily Telegraph», das Magazin «Spectator» und verfasste mehrere Geschichtsbücher.

Von 1989 bis 1994 als Brüsseler Korrespondent für den «Telegraph» machte er sich über EU-Institutionen und angebliche EU-Beschlüsse lustig. In Brüssel zerbrach die Ehe mit seiner ersten Frau Allegra Mostyn-Owen. Er heiratete seine Jugendfreundin Marina Wheeler, mit der er vier gemeinsame Kinder hat. Das Paar trennte sich 2018.

Seine politische Karriere begann Johnson 2001 als Abgeordneter. Sein politisches Geschick bewies er 2008 und 2012 durch die zweimalige Wahl zum Bürgermeister von London – einer normalerweise eher links wählenden Stadt. International gewann er durch die Organisation der Olympischen Spiele in der Hauptstadt 2012 an Profil. Kritiker werfen ihm allerdings vor, sein Erbe als Bürgermeister beschränke sich auf eine bessere Verkehrsinfrastruktur für Fahrradfahrer.

Ein Jahr vor dem Ende seiner Amtszeit als Bürgermeister kehrte Johnson 2015 als Abgeordneter ins Unterhaus zurück. Seine Entscheidung, die Brexit-Kampagne zu unterstützen, gilt als Wendepunkt in den Austrittsbestrebungen des Vereinigten Königreichs, und führte zum Sieg der Brexit-Befürworter.

Bereits nach seinem Triumph beim Brexit-Votum galt Johnson als Favorit für den Posten des Premierministers – doch grätschte ihm sein bis dahin engster Unterstützer Michael Gove dazwischen, der selbst seine Kandidatur verkündete.

Erfolglosester Aussenminister?

Johnsons Ernennung zum Aussenminister im Jahr 2016 galt den einen als gewiefter Schachzug der neuen Premierministerin May – wurde angesichts undiplomatischer, teils rassistischer Bemerkungen Johnsons unter anderem über Ex-US-Präsident Barack Obama von anderen aber als ungeschickt gewertet.

Das Institut Chatham House bezeichnete Johnson als den «erfolglosesten» britischen Aussenminister seit dem Zweiten Weltkrieg: Wo Ernsthaftigkeit und Detailgenauigkeit erforderlich gewesen seien, habe Johnson nur Sprüche geklopft. Im Sommer vergangenen Jahres trat er aus Verärgerung über Mays Brexit-Kurs zurück.

Obwohl Johnson im Rennen um die Parteiführung von Anfang an als haushoher Favorit gehandelt wurde, fürchtete sein Team, er könnte es mit seinem unvorhersehbaren Verhalten noch vermasseln. Er mied deshalb zunächst die mediale Bühne - das brachte ihm allerdings den Vorwurf ein, seine als zu vage kritisierte Vision vom Brexit einer genauen Prüfung durch die Öffentlichkeit entziehen zu wollen.

Vor wenigen Wochen machte Johnson dann auch noch mit seinem Privatleben Schlagzeilen. Ein nächtlicher Streit mit seiner Lebensgefährtin rief die Polizei auf den Plan und dominierte alle Titelseiten. 

Am Wochenende bekam Johnson zudem scharfen Gegenwind von zwei Parteikollegen: Finanzminister Philip Hammond und Justizminister David Gauke wollen sofort zurücktreten, wenn Johnson das parteiinterne Duell gegen Aussenminister Jeremy Hunt gewinnt. Am Montag kündigte dann auch Aussenstaatssekretär Alan Duncan seinen Rücktritt an. Dass sich die Parteibasis von solchen Schlagzeilen noch umstimmen lässt, ist aber unwahrscheinlich. Die Tory-Mitglieder wollen vor allem eins: den Brexit durchziehen.

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