Anhörung im SenatBarretts Glaubensbekenntnis und höchstes Richteramt — unvereinbar?
AP/toko
12.10.2020
Vor der Anhörung Barretts im Justizausschuss demonstrierten Aktivistinnen im roten Kostüm nach Margaret Atwoods «Report der Magd». Sie spielen damit auf die Geschlechterrollen in der Glaubensgemeinschaft People of Praise an, der Barrett nahe steht.
Im Bestätigungsverfahren der von US-Präsident Donald Trump als Verfassungsrichterin nominierten Amy Coney Barrett stehen ihre ultrakonservativen religiösen Überzeugungen mit im Fokus. Die 48-jährige bisherige Bundesrichterin ist der Glaubensgemeinschaft der People of Praise verbunden, die nach Ansicht vieler Anhänger der verstorbenen liberalen Richterin Ruth Bader Ginsburg inakzeptable Positionen zu Geschlechterrollen und Abtreibung vertritt.
Vor dem Kapitol demonstrierten am Sonntag Frauen im roten Kostüm nach Maragaret Atwoods Roman «Report der Magd», der auch als Fernsehserie über eine totalitäre, christlich fundamentalistische Gesellschaft bekannt wurde. Sie bezogen sich damit auf die Hierarchie in den People of Praise, der zufolge eine Frau als höchste Position die einer Magd erreichen kann - abgeleitet aus der Bibel, Lukas 1:38: «Maria aber sprach: Siehe, ich bin des Herrn Magd; mir geschehe, wie du gesagt hast.» Der Titel «Handmaid» wurde inzwischen in «Woman Leader» umbenannt. Kritiker bezweifeln, dass sich damit viel am Bild und der Rolle der Frau in der Gemeinschaft geändert hat.
Die Nachrichtenagentur AP hat Interviews mit einem Dutzend früherer Mitglieder der Gemeinschaft und Absolventinnen ihrer Schulen geführt. Die meisten sagten, Barretts Verbindung zu den People of Praise sollte im Justizausschuss des Senats eine Rolle spielen.
Einige waren erfreut darüber, dass eine der Ihren bald im höchsten US-Gericht Platz nehmen könnte und damit in eine Position kommt, das Abtreibungsrecht einzuschränken. Andere sind genau deswegen besorgt, verweisen darauf, dass die Gemeinschaft archaische Vorstellungen zu Geschlechterrollen und Homosexualität lehre.
Angaben gelöscht
Barrett selbst hat ihre Verbindung zu den People of Praise weder bekanntgegeben noch zugegeben. Die Glaubensgemeinschaft scheint ihre Zugehörigkeit verheimlichen zu wollen, indem sie entsprechende Angaben von ihrer Webseite gelöscht hat. «Ich denke nicht, dass die Mitgliedschaft in der Gruppe sie disqualifiziert», sagte Rachel Coleman, die 2010 die Gemeinschaft verliess. «Ich denke, sie sollte offen dazu stehen.»
Recherchen der AP dokumentieren enge Verbindungen Barretts und ihrer Familie zu der Glaubensgemeinschaft, die aus der katholischen charismatischen Bewegung mit Wurzeln zur — protestantischen — Pfingstbewegung 1971 entstand. In einem alten Verzeichnis der Gemeinschaft wird Barrett als eine ihrer «Handmaids» aufgeführt und festgehalten, dass sie eine Verwalterin ihrer Dreieinigkeitsschulen (Trinity Schools) war.
Die People of Praise sind keine Kirche, sondern eine Glaubensgemeinschaft. Sie hat rund 1700 Mitglieder, die meisten Katholiken. Zu ihren Grundsätzen gehört, dass Männer von Gott bestimmt führend in Familien- und Glaubensdingen sind. Ehemalige und derzeitige Mitglieder sagen, dass es die Pflicht der Ehefrau sei, sich dem Mann unterzuordnen. Die Struktur sei streng hierarchisch und autoritär, sagen sie: Männer in Führungspositionen können beispielsweise bestimmen, wer mit wem eine Beziehung eingehen darf. Um in die Gemeinschaft aufgenommen zu werden, muss ein Bund mit einer Verpflichtungserklärung geschlossen werden.
Der Sprecher der Gemeinschaft, Sean Conolly, sagt, er äussere sich nicht zu den Ansichten von einzelnen Mitgliedern und die People of Praise hätten keine Position zu Personen, die für das Oberste Gericht der USA nominiert seien.
«Repressiven Ansichten»
Coleman sagt, die People of Praise böten ein starkes Gemeinschaftsgefühl, das im weltlichen Leben oft fehle. Das könne grosse Anziehungskraft haben. Einige Ideen halte sie aber für problematisch. Sie verweist darauf, dass Barrett als Erwachsene der Gemeinschaft beigetreten sei —was sie zu der Frage führe, was das über Barretts Einstellung zu Geschlechterrollen aussage. Es mache ihr Sorgen, dass jemand mit «repressiven Ansichten» ins höchste Richteramt kommen solle, «die Ruth Bader Ginsburg versuchte, zu überwinden».
Coleman und andere von AP interviewte Personen sagten, Barrett sollte öffentlich machen, dass sie Mitglied der People of Praise sei. Mary Belton geht weiter als Coleman, indem sie sagt, die Mitgliedschaft disqualifiziere Barrett für das höchste Richteramt. Belton sagt, ihre Familie sei aus der Gemeinschaft geworfen worden, nachdem sich ihre Mutter 1990 als lesbisch geoutet habe. Sie habe Jahre gebraucht, sich von den Lehren der Gemeinschaft frei zu machen, die sie als «buchstäblich glühende Hölle» beschrieb. Sie glaube nicht, dass sich Barrett davon frei machen könne. «Es ist besorgniserregend», sagt Belton. «Es ist, was sie ist.»
Cara Wood, Mitglied bis 2010, sagt, die Gemeinschaft versuche gezielt, die Politik in den USA zu beeinflussen. «Deshalb ist Amy Coney Barrett für mich gefährlich — denn die (People of Praise) können keinen grösseren Sieg erringen, als eine Verfassungsrichterin auf Lebenszeit zu bekommen.»
Auch Peter Radosevich ist ein früheres Mitglied, und er ist stolz auf Barretts Nominierung. Er sagt, die Gemeinschaft halte sich aus der Politik heraus - mit Ausnahme der Abtreibung. «Sie denken, das ist ein abscheuliches Verbrechen, gleichbedeutend mit Kindesmord, Auschwitz.»
Susie Lea hat die Gemeinschaft 2019 verlassen. Sie ist überzeugt, dass Barrett als Verfassungsrichterin gegen Abtreibung stimmen werde. Die Gemeinschaft bete für sie. «Ich denke einfach, das Gebete funktionieren. Wenn es der Wille Gottes ist, wird es funktionieren.»