Schlagabtausch vor der UNO Armenien spricht von «ethnischer Säuberung» in Berg-Karabach

dpa

22.9.2023 - 08:12

Bergkarabach: Feuerpause gebrochen?

Bergkarabach: Feuerpause gebrochen?

STORY: Nach Vereinbarung einer Feuerpause in der umkämpften Region Bergkarabach haben sich die Konfliktparteien zu Gesprächen in Aserbaidschan getroffen. Eine Delegation ethnischer Armenier sei in der Stadt Jewlach eingetroffen, teilte das aserbaidschanische Präsidialamt am Donnerstag mit. Die Gespräche hätten im Beisein eines Vertreters russischer «Friedenstruppen» begonnen, meldete die Nachrichtenagentur Tass aus Russland. Es soll bei den Verhandlungen um die Zukunft der rund 120.000 ethnischen Armenier in Bergkarabach gehen. Zuletzt haben diese Aserbaidschan allerdings den Bruch der gerade erst vereinbarten Waffenruhe vorgeworfen. Im Zentrum der Regionalhauptstadt Stepanakert seien Schüsse zu hören, teilten Vertreter der Bevölkerungsgruppe am Donnerstag mit. Das aserbaidschanische Verteidigungsministerium wies die Anschuldigungen umgehend zurück. Der armenische Ministerpräsident Nikol Pashinjan sagte am Donnerstag, dem nationalen Unabhängigkeitstag in Armenien. Die Region Bergkarabach erwähnte er dabei nicht explizit. Frieden sei etwas, das zu schätzen sei, aber nicht mit einem Waffenstillstand oder einer Feuerpause verwechselt werden dürfe. Bei dem jüngsten Militäreinsatz sollen Menschen getötet und verletzt worden sein, darunter auch Zivilisten und Kinder. Die Angaben liessen sich unabhängig zunächst nicht bestätigen. Durch den breit angelegten Angriff Aserbaidschans waren die in Bergkarabach lebenden Armenier gezwungen worden, ihren bewaffneten Widerstand aufzugeben. Sie stimmten einer Vereinbarung zu, die vorsieht, dass die Region unter die Kontrolle von Baku gestellt wird. Das ölreiche Land und sein Nachbar Armenien streiten seit Jahrzehnten um Bergkarabach. Der Konflikt mündete mehrfach in bewaffneten Zusammenstössen.

22.09.2023

Die Eskalation in der umkämpften Region Berg-Karabach ist zwar vorerst beruhigt, die Lage aber bleibt fragil. Die Konfliktparteien überziehen sich vor den Vereinten Nationen mit heftigen Vorwürfen.

Nach der Eroberung der von Armeniern bewohnten Region Berg-Karabach durch Aserbaidschan haben sich beide Länder vor dem UNO-Sicherheitsrat schwere Vorwürfe gemacht.

Während Armenien von «ethnischen Säuberungen» durch die Truppen sprach, bezeichnete Aserbaidschan sein Vorgehen vor dem mächtigsten Gremium der Vereinten Nationen als «Anti-Terror-Massnahme».

Die deutsche Aussenministerin Annalena Baerbock verlangte eine Deeskalation: «Was die Menschen in der Region brauchen, ist ein dauerhafter Frieden zwischen Aserbaidschan und Armenien. Und das kann nur am Verhandlungstisch erreicht werden.»

Das autoritär geführte Aserbaidschan hatte die auf seinem Staatsgebiet gelegene, mehrheitlich von Armeniern bewohnte Region Berg-Karabach seit Dienstagmorgen mit Raketen und Artillerie angegriffen, um sie zu erobern. Am Mittwoch gaben die militärisch unterlegenen Armenier auf.

Viele von ihnen befürchten nun, aus ihrer Heimat vertrieben oder – wenn sie bleiben – zum Ziel aserbaidschanischer Gewalt zu werden. Durch die Kämpfe der vergangenen Tage wurden laut armenischen Medien mindestens 200 Menschen getötet und mehr als 400 verletzt.

Armenien: Mehr als 10'000 Menschen vertrieben

Der armenische Aussenminister Ararat Mirzoyan warf der Regierung in Baku vor: «Die Intensität und Grausamkeit der Offensive macht deutlich, dass die Absicht darin besteht, die ethnische Säuberung der armenischen Bevölkerung von Berg-Karabach abzuschliessen.» Laut Mirzoyan wurden mehr als 10'000 Menschen gewaltsam vertrieben, darunter Frauen, Kinder und ältere Menschen, die ohne Nahrung und andere Lebensmittel im Freien leben müssten. Tausende Familien seien auseinandergerissen worden.

Die Lage sei seit Längerem alarmierend gewesen. Die internationale Gemeinschaft habe sich aber geweigert, die Alarmzeichen ernst genug zu nehmen, beklagte der armenische Minister. Der UN-Sicherheitsrat habe in der Vergangenheit nicht angemessen reagiert. «Die Rechte und die Sicherheit des armenischen Volkes von Berg-Karabach müssen angemessen berücksichtigt und international garantiert werden.»

Aserbaidschan geht gegen «Terroristen» vor Aserbaidschans Aussenminister Jeyhun Bayramov hielt dagegen: «Was Armenien der internationalen Gemeinschaft als Angriff auf friedliche Bewohner der Region Karabach in Aserbaidschan darzustellen versucht, sind in Wirklichkeit Anti-Terror-Massnahmen Aserbaidschans», sagte er.

Es gebe Tausende Einheiten Armeniens in Region. Diese seien mit schweren Waffen wie Panzern und anderen gepanzerten Fahrzeugen, Artilleriegeschützen, Mehrfachraketenwerfern, Mörsern sowie elektromagnetischen Waffen ausgestattet.

Diese Truppen hätten die Streitkräfte Aserbaidschans immer wieder beschossen, ihre Kampfstellungen befestigt sowie Schützengräben und Militärunterkünfte gebaut, sagte der Aussenminister weiter. Bayramov hielt Fotos hoch, die seine Worte untermauern sollten. In der Folge sei es zum Angriff auf diese gekommen, wobei innerhalb von 24 Stunden mehr als 90 Aussenposten, 20 Kampffahrzeuge, 40 Artilleriegeschütze, 30 Mörser und 2 Flugabwehrraketensysteme zerstört worden seien. Armenien allein trage die Verantwortung für die Vorfälle.

Wohl keine EU-Erklärung – wegen Ungarn

Die EU dürfte trotz der Eskalation nicht reagieren: Aus Delegationskreisen in New York verlautete, es sei bedauerlich, «dass Ungarn als einziger Mitgliedstaat nicht bereit war, eine gemeinsame EU-Erklärung mitzutragen und diese blockiert hat». Es habe Diskussionen über Sanktionen gegeben, zu denen Deutschland durchaus bereit gewesen wäre.

Die Vereinten Nationen mahnten in der Sicherheitsratssitzung einen «echten Dialog zwischen der Regierung Aserbaidschans und Vertretern der Region» an. Oberste Priorität habe der Schutz der Zivilbevölkerung.

Russlands Vize-UN-Botschafter Dmitri Poljanski sagte, nun müsse «eine Wiederaufnahme der Kämpfe verhindert und die Situation wieder in eine politische Richtung gelenkt» werden. Die Präsidenten von Aserbaidschan und Armenien hätten sich in Telefonaten mit Kremlchef Wladimir Putin zu einer Deeskalation verpflichtet.

dpa