16-jährige Iranerin im Koma Mutter laut Aktivisten vor dem Spital festgenommen

dpa/AFP/tpfi

5.10.2023 - 21:27

Die mysteriöse Verletzung von Geravand, die kein Kopftuch trug, als sie in einen U-Bahn-Zug in der iranischen Hauptstadt einstieg, hat kurz nach dem einjährigen Todestag von Mahsa Amini und den dadurch ausgelösten landesweiten Protesten erneut Wut ausgelöst. 
Die mysteriöse Verletzung von Geravand, die kein Kopftuch trug, als sie in einen U-Bahn-Zug in der iranischen Hauptstadt einstieg, hat kurz nach dem einjährigen Todestag von Mahsa Amini und den dadurch ausgelösten landesweiten Protesten erneut Wut ausgelöst. 
Bild: Keystone/AP/Iranian State Television

Die Mutter einer 16 Jahre alten Iranerin, die nach einer Auseinandersetzung mit Sittenwächtern im Koma liegen soll, ist laut der Menschenrechtsorganisation Hengaw festgenommen worden. 

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  • Der Tod von Mahsa Amini hat im Iran für grosses Aufsehen gesorgt.
  • Im neuen Fall geht es um eine 16-Jährige, die ohne Kopftuch in eine U-Bahn stieg und jetzt schwer verletzt im Spital im Koma liegen soll.
  • Die Mutter der 16-Jährigen sei nahe dem Spital, in dem ihre im Koma liegende Tochter betreut werde, festgenommen worden, teilte die Menschenrechtsorganisation Hengaw mit.

Das berichtete die Organisation mit Sitz in Norwegen auf der Online-Plattform X (ehemals Twitter) am Donnerstag. Staatsmedien wiesen den Vorwurf einer Festnahme zurück.

Der in London ansässige Fernsehsender Iran International TV berichtete, die Mutter der 16-jährigen Kurdin Armita Garawand, Schahin Ahmadi, sei nach ihrer Kritik an den eingeschränkten Besuchsmöglichkeiten in der Klinik festgenommen worden. Nach Angaben der NGO Hengaw wurde Ahmadi von Sicherheitsbeamten an einen unbekannten Ort gebracht.

Armita Garawand wurde nach Berichten von Menschenrechtsorganisationen am Sonntag in ein Spital eingeliefert, weil es in einer Teheraner U-Bahn zu einem Zwischenfall mit den berüchtigten Sittenwächtern in dem Land gekommen sein soll.

Staatsmedien sprachen hingegen von einem Unfall. Das Mädchen habe aufgrund eines Blutdruck-Abfalls in der U-Bahn ihr Gleichgewicht verloren und sei mit dem Kopf gegen eine Zugkante geschlagen.

Die Aufnahmen, die das Staatsfernsehen ausstrahlte, zeigen den Aufenthalt des Mädchens im U-Bahnhof vor ihrer Verletzung. Es gibt nur eine Lücke von etwa eineinhalb Minuten. Eine Analyse durch die Nachrichtenagentur AP kam zu dem Schluss, dass nichts darauf hindeutet, dass die Aufnahmen manipuliert wurden. Zu sehen ist, wie die 16-Jährige in einen U-Bahn-Wagen einsteigt, der vermutlich zu einem Abteil nur für Frauen gehört. Ein Zugfahrer blockiert die Sicht auf die Tür, durch die das Mädchen geht. Innerhalb von vier Sekunden ist zu sehen, wie eine Frau rückwärts aus dem Zug läuft. Zu erkennen ist nur ein kleiner Teil des Kopfes von G., die auf dem Boden des Zugs liegt. Frauen ziehen sie nach draussen und holen Hilfe.

Das Staatsfernsehen veröffentlichte keine Aufnahmen vom Inneren des Zugs. In den meisten Wagen der Teheraner Metro gibt es mehrere Überwachungskameras. «Das Verweigern der Veröffentlichung der Aufnahmen erhöht nur die Zweifel an der offiziellen Darstellung», teilte die Gruppe Iran Human Rights mit Sitz in Oslo mit.

Iran dementierte die Festnahme

Die iranische Nachrichtenagentur Tasnim dementierte die Festnahme hingegen und warf ausländischen Medien vor, «Aufruhr und Chaos» verbreiten zu wollen.

Zuvor hatte sich bereits das Aussenministerium in Teheran empört über kritische Äusserungen aus Deutschland und den USA gezeigt. Ministeriumssprecher Nasser Kanani warf den beiden Ländern am Donnerstag im Onlinedienst X, ehemals Twitter, vor, «sich einzumischen, voreingenommene Bemerkungen zu machen und unaufrichtige Sorge um iranische Frauen und Mädchen zum Ausdruck zu bringen».

Spital gleicht Hochsicherheitsgefängnis

Das Spital, in dem sich Garawand befinde, werde streng bewacht, berichtete Hengaw unter Berufung auf Quellen im Land. Sicherheitskräfte hätten die Telefone von Garawands Angehörigen konfisziert.

In sozialen Medien schrieben Nutzer, sie fühlten sich an den Fall der iranischen Kurdin Jina Mahsa Amini erinnert. Die 22-jährige war im September 2022 ins Koma gefallen und anschliessend gestorben, nachdem sie wegen angeblichen Verstosses gegen die islamische Kleiderordnung von der Sittenpolizei festgenommen worden war.

Kopfbedeckung auch ein politisches Symbol

Iranische Abgeordnete setzen sich derzeit für noch höhere Strafen gegen Frauen ein, die nicht wie vorgeschrieben eine Kopfbedeckung tragen. Das Kopftuch ist für gläubige Musliminnen ein Zeichen der Demut vor Gott und Zurückhaltung gegenüber Männern, die nicht zu ihrer Familie gehören. Doch im Iran ist die Kopfbedeckung auch ein politisches Symbol. Der Iran ist neben Afghanistan, wo die militant-islamistischen Taliban regieren, das einzige Land, in dem der Hidschab für Frauen Pflicht ist.

Die deutsche Aussenministerin Annalena Baerbock kommentierte den neuen Vorfall am Mittwoch auf X. «Schon wieder kämpft eine junge Frau in Iran um ihr Leben. Allein, weil sie in der U-Bahn ihre Haare gezeigt hat», schrieb die Ministerin und nannte die Situation «unerträglich».

dpa/AFP/tpfi