Neue Wohntrends Schlanke Linie, dürre Beine – Designer setzen Möbel auf Diät

dpa

22.4.2019

Weniger ist mehr – das ist so ein Ausspruch, der sich oft mit teuren Sachen in Verbindung bringen lässt. In teuren Restaurants liegt weniger auf dem Teller. Auch bei den Möbeln zeigt sich gerade: Für die Designer darf es aktuell etwas weniger sein – aber nur scheinbar.

Es klingt ein wenig wie eine Klage, als Philippe Starck auf der weltweit wichtigsten Messe der Möbelbranche am Stand von Kartell spricht. «Ich bin ein Arbeiter, ich bin ehrlich, das wisst ihr», so der Stardesigner auf dem Salone del Mobile in Mailand. «Wenn ich mir nach all den Jahren meine Sachen ansehe, und auch das, was andere machen, dann habe ich das seltsame Gefühl, es ist immer das Gleiche», setzt Starck fort. «Mal machen wir schwarze Stühle, mal machen wir rote Stühle.» Wo bleibe denn da das Wunder?

Klar, hierbei handelt es sich um die übliche Show bei der Präsentation von etwas Besonderem. Aber Philipp Starck spricht damit einen Eindruck aus, den man auf den letzten Möbelmessen bekommen konnte: Wo ist das wirklich Neue?

Denn gerade sehen viele neue Stühle eben aus wie Stühle in ihrer einfachsten Form – keine sichtbaren Extras, kein Chichi. Und noch mehr: Soweit wie möglich wird das Material an vielen Möbeln reduziert.

Sofas, Sessel und Betten stehen auf dünnen, sogar dürren Beinen. Regale setzen sich aus hauchdünnen Platten zusammen. Und sogar wenn Sofas noch Rundungen gegönnt werden, fehlen schon mal die Armlehnen, auf denen sich auch mal der Kopf ablegen liesse. Der Designer Naoto Fukasawa, der sich sowieso der Einfachheit von Produkten widmet, verschmälert die Taille des eleganten Longchairs Land für Plank so weit, dass man sich unweigerlich fragt: Fehlt da nicht etwas?

Und genauso geht es bei vielen anderen Produkten, bei denen man sich beim ersten Anblick unweigerlich fragt: Ist das bequem? Oder gar: Ist das stabil? Die Unternehmen gehen bei ihren Präsentationen diese Fragen an, denn genau das ist das Neue: Sie setzen ihre Möbel bewusst auf Radikaldiät, bieten dabei aber grossen Komfort und Praktikabilität.

Der Reiz daran: Das Minimalistische sieht stilvoll und schick aus. Und es macht neugierig, was die Umsetzung des Designs angeht. Denn dahinter steckt nicht einfach nur der Bau zum Beispiel eines Tisches in seiner einfachsten Form – also aus einer Platte und vier Füssen. Die Kreativ- und Fertigungsprozesse sind aufwendig. Und in manchen Möbeln steckt mehr als auf den ersten Blick ersichtlich. Weit mehr.

Künstliche Intelligenz entwirft Möbel

Zum Beispiel im hauchdünnen Tisch Fila von Konstantin Grcic für Plank, der auf geradezu dürren Beinen stehen kann, ist es ein Rahmen mit vier massiven Aluminium-Winkeln. Sie verbinden die Beine und Traversen miteinander und sorgen so für Stabilität. Damit das nicht auffällt und die Elemente scheinbar keine Nähte haben, sind die Winkelverbinder akkurat gefräst statt gegossen.

Für Moroso hat Stardesignerin Patricia Urquiola übertragen gesprochen mit Steinen gespielt – die man vorsichtig ausbalanciert stapeln kann. Ergibt sich eine Balance zwischen den ungleichen Elementen, könnten normale kräftige Formen ganz leicht wirken, erklärt das Unternehmen. Herausgekommen ist das Sofa Gogan, das in grauer Farbe auch an die Steinskulptur erinnert. Da die Sitzfläche am Schwerpunkt leicht nach hinten geneigt ist, erhöhe sich ausserdem der Komfort beim Sitzen.

Beim Bett namens Friday Night für Zeitraum hat das Designduo Formstelle zu einem anderen Kniff gegriffen: Die Rückenlehne geht auf halbem Weg in eine Biegung und wird unten zugleich zu den schlanken Hinterfüssen des Bettes. Das verschlankt die Seite optisch. Ausserdem sind die vorderen Füsse etwas nach hinten versetzt, wodurch das Bett je nach Blickwinkel wirkt, als würde es schweben.

Auch hinter Philippe Starcks Auftritt am Stand des italienischen Möbelproduzenten Kartell in Mailand steht so eine verschlankte Produktentwicklung. Dafür hat er sogar mal kurz seine Rolle als Designer abgegeben. Auf seine Anregung hin erhielt eine künstliche Intelligenz den Auftrag, einen Stuhl zu formen, der mit so wenig Material wie möglich auskommt. Dabei soll er aber komfortabel, stabil und solide sein sowie ästhetische Grundvoraussetzungen erfüllen. Kooperationspartner dabei ist Autodesk, ein US-Unternehmen für 3D-Software.

«A.I.» ist das Ergebnis – ein Stuhl, der nur zwei übliche gerade Beine vorne hat. Hinten gehen die schrägen Beine bis hoch zur Lehne. Kartell spricht davon, dass dies das «das erste durch künstliche Intelligenz konzipierte Designobjekt» sei.

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