Bötschi fragt Stress: «Von Stefanie Heinzmann habe ich viel gelernt»

Von Bruno Bötschi

18.3.2022

«Wenn wir ein körperliches Problem haben, gehen wir doch auch zum Arzt. Wieso soll ich bei einem seelischen Problem also nicht einen Psychologen fragen?»: Stress.
«Wenn wir ein körperliches Problem haben, gehen wir doch auch zum Arzt. Wieso soll ich bei einem seelischen Problem also nicht einen Psychologen fragen?»: Stress.
Bild: Sebastien Agnetti

Er gehört seit 20 Jahren zu den erfolgreichsten Musikern der Schweiz: Rapper Stress über den Soundtrack seiner Jugend, seine Therapien – und eine besondere Eigenart vieler Schweizer*innen.

Von Bruno Bötschi

Stress, wir machen heute ein Frage-Antwort-Spiel: Ich stelle dir in den nächsten 30 Minuten möglichst viele Fragen – und du antwortest möglichst schnell und spontan. Passt dir eine Frage nicht, sagst du einfach «weiter».

Alles klar, du kannst loslegen.

Beatles oder Rolling Stones?

Rolling Stones ist mehr Rock’n’Roll. Die Band bringt mehr Energie auf die Bühne. Die Beatles waren mir zu brav.

Yoga oder Gym?

Yoga.

Deine Yoga-Lieblingsposition?

Downward-facing Dog.

Tallinn oder Zürich?

Zum Autor: Bruno Bötschi
Bild: zVg

blue News-Redaktor Bruno Bötschi spricht für das Frage-Antwort-Spiel «Bötschi fragt» regelmässig mit bekannten Persönlichkeiten aus dem In- und Ausland. Er stellt ihnen ganz viele Fragen – immer direkt, oft lustig und manchmal auch tiefsinnig. Dabei bleibt bis zur allerletzten Frage immer offen, wo das rasante Pingpong hinführt.

Beide Städte sind wichtig für mich und haben einen Platz in meinem Herzen. Ich habe ein grosses Herz.

Stehst du morgens mit Musik auf?

Nein, ich habe einen Wecker. Aber ich bin ein Morgenmuffel und brauche immer viel Zeit, bis ich richtig wach bin.

Wo hast du letzte Nacht geschlafen?

Daheim.

Wann hast du zuletzt unter freiem Himmel geschlafen?

2008 beim Aralsee in Kasachstan.

Was ist deine früheste Erinnerung an Musik?

Ich war zehn Jahre alt und lebte noch in Estland. Während einer Autofahrt fühlte ich mich unwohl, hatte üble Bauchschmerzen. Plötzlich lief Rockmusik am Radio und ich realisierte, wie mich das beruhigt hat. Damals spürte ich zum ersten Mal, wie viel Kraft Musik haben kann.

Deine ungestillte Sehnsucht als zwölfjähriger Teenager?

Ich träumte damals, wie viele andere Est*innen auch, vom Ende des kommunistischen Regimes.

Stimmt es, dass du früher immer mal wieder mit dem Velo abgehauen bist, weil dir daheim alles zu eng wurde?

Ja, ich fuhr oft einfach ziellos durch die Gegend.

«Ich träumte als Teenager, wie viele andere Est*innen auch, vom Ende des kommunistischen Regimes»: Stress.
«Ich träumte als Teenager, wie viele andere Est*innen auch, vom Ende des kommunistischen Regimes»: Stress.
Bild: Sebastien Agnetti

Wie viel von dem, das du als Stress singst, ist aus dem realen Leben von Andres Andrekson gegriffen?

100 Prozent.

War dein Aussehen für deine Karriere als Sänger hinderlich oder förderlich?

Ich weiss nicht, wie das Publikum mein Äusseres einschätzt.

Wunderst du dich manchmal darüber, dass du seit 20 Jahren einer der erfolgreichsten Musiker der Schweiz bist?

Ich kann nur so viel sagen: Ich bin dankbar dafür, dass ich das machen kann und darf, was ich mache.

Auf «Sincèrement», deinem Album aus dem Jahr 2019, singst du über deine Depressionen. Wie fühlt sich das an, wenn man sein Innerstes auf der Bühne nach aussen kehrt?

Mir tut das unheimlich gut. Jedes Mal, wenn ich den Song «Petite pensée» auf einer Bühne singe, spüre ich, dass ich nicht allein bin, dass andere Menschen ähnliche Erfahrungen gemacht haben. Menschen mit Depressionen neigen häufig dazu, sich selbst zu stigmatisieren. Umso wichtiger ist es, dass wir mit anderen über unsere Gefühle reden.

Hast du ein Rezept fürs Leben?

Flexibilität.

Vor 15 Jahren hast du mir auf diselbe Frage geantwortet: «Ein Rezept für das Leben gibt es nicht. Sicher ist für mich jedoch, dass es keinen Erfolg gibt ohne ein gewisses Mass an Disziplin. Und wenn es doch einmal ohne geht, dann ist Glück dabei. Aber nicht alle Menschen haben jeden Tag so viel Glück.»

Heute bin ich überzeugt davon, dass wir in den Momenten, in denen wir als vermeintliche Verlierer dastehen, oft mehr gewinnen, als wenn wir als Sieger ausgerufen werden. Niederlagen machen einen stärker. Wir sollten aufhören, sie nur negativ zu bewerten.

Wie hast du es geschafft, wieder glücklicher zu werden?

Ich musste lernen, mir mehr zu vertrauen und daran zu glauben, dass ich fähig bin, die richtigen Entscheidungen zu treffen. Und ich musste zudem lernen, nicht ständig links und rechts zu schauen, sondern meinen eigenen Weg zu gehen.

Hast du Therapien besucht?

Ja. Ich war in einem Loch gefangen. Durch die Therapien konnte ich mich aus diesem Loch befreien. Und weisst du was? Bei einem neuen Problem würde ich nicht zögern, wieder eine Therapie zu belegen. Ich weiss, es schämen sich immer noch viele Menschen dafür. Aber wenn wir ein körperliches Problem haben, gehen wir doch auch zum Arzt. Wieso soll ich bei einem seelischen Problem also nicht einen Psychologen fragen?

«Heute bin ich überzeugt davon, dass wir in den Momenten, in denen wir als vermeintliche Verlierer dastehen, oft mehr gewinnen, als wenn wir als Sieger ausgerufen werden»: Stress.
«Heute bin ich überzeugt davon, dass wir in den Momenten, in denen wir als vermeintliche Verlierer dastehen, oft mehr gewinnen, als wenn wir als Sieger ausgerufen werden»: Stress.
Bild: Sebastien Agnetti

Kann einen ein anderer Mensch glücklich machen?

Er kann daran beteiligt sein.

Auf einer Skala von 1 bis 10: Wie glücklich bist du gerade?

Acht, nein, neun Punkte.

Studien haben bewiesen, dass Singen gegen Stress hilft. Hilft dir das Singen auch gegen das Unglücklichsein?

Auf der Bühne ja, im Studio nicht immer.

Wieso dort nicht?

Während ich einen neuen Song erarbeite, funktioniert oft nicht immer alles so, wie ich es geplant habe. Ich bin zudem ein sturer Mensch, will oft mit dem Kopf durch die Wand. In den letzten Jahren ist das aber besser geworden, weil ich gelernt habe, dass es oft besser ist, zwei Schritte zurückzugehen und das Problem nochmals von einer anderen Seite anzusehen.

Ist es mühsam, mit dir im Studio zu arbeiten?

Heute nicht mehr. Ich habe gelernt, meine Emotionen besser im Griff zu haben.

Dieser Tage erschien dein neues Album «Libertad». Die Platte klingt extrem positiv.

Danke für das Kompliment – und ja, das finde ich auch.

Ich hätte aber nicht gedacht, dass du Abba-Fan bist.

Meine Mutter ist ein riesengrosser Abba-Fan. Die Musik der schwedischen Band war der Soundtrack meiner Jugend.

Ist dies der Grund, warum du in deinem neuen Song «Animal Asocial» eine Reminiszenz an Abba eingebaut hast?

Wie bitte? Meinst du vielleicht das Piano im Refrain?

Genau. In meinen Ohren klingt das nach «S.O.S.» von Abba.

Da muss ich dich enttäuschen. Das Sample ist von einer japanischen Band und hat mit Abba rein gar nichts zu tun. Aber ich finde es natürlich geil, dass es dich an Abba erinnert.

Warum singen so viele Menschen unter der Dusche?

Ich denke, sie fühlen sich unter der Dusche sicher. Zudem ist es warm dort und es ist keiner da, der einen kritisiert.

Fällt schön singen leichter, wenn man Liebeskummer hat?

Die Emotionen sind in einer solchen Situation grösser und deshalb kann ich mir gut vorstellen, dass dem so ist.

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Wie hoch ist deine Stimme versichert?

Meine Stimme ist nicht versichert.

Stress ist dein Künstlername: Wer hat ihn eigentlich erfunden?

Ein Freund von mir – und zwar vor einem Konzert im Jahr 1993. Ich war total nervös und fragte ihn ständig: «Bist du parat? Bist du parat?» Irgendwann meinte der Kollege: «Mann, stress mich nicht.» Heute bin ich nicht mehr ganz so nervös vor Konzerten, der Name aber ist geblieben.

Am Anfang deiner Karriere nanntest du dich Billy Bear. Wieso kam es zu diesem Namenswechsel?

Billy Bear war mein Alter Ego. Billy Bear hatte mehr Freiheiten. Er war frecher.

Billy Bear war böse, Stress ist nett: Wahr oder nicht?

Billy Bear war lustig, aber auch mega unanständig.

Netteste Erinnerung an Alkohol?

Nette Erinnerungen an Alkohol habe ich keine, dafür einige blöde.

Netteste Erinnerung an sonstige Drogen?

Vor 20 Jahren war ich mit einigen deutschen Rappern auf Tour. Nach meinem Auftritt gab mir einer von ihnen Magic Mushrooms zum Probieren. Kurz danach sollte ich nochmals auf die Bühne. Das habe ich auch getan, aber als ich vor dem Publikum stand, brachte ich kein Wort mehr heraus, stattdessen habe ich zum ersten Mal in meinem Leben Crowdsurfing gemacht. Ohne den Genuss von psilocybinhaltigen Pilzen hätte ich diese Erfahrung wohl kaum gemacht.

Wie geht’s dem Kiffen?

Früher habe ich viel gekifft. Vor zwei Jahren habe ich jedoch damit aufgehört. «Libertad» ist das erste Album seit Langem, während dessen Produktion ich kein einziges Mal gekifft habe.

Deine Lieblingsfarbe?

Blau.

Deine Lieblingszahl?

Sieben.

Dein Lieblingsparfum?

Ich trage kein Parfum. Ich mag es nicht, wenn Menschen zu viel Parfum auftragen. Für mich fühlt sich das wie ein körperlicher Übergriff an.

«Vor zwei Jahren habe ich mit dem Kiffen aufgehört. ‹Libertad› ist das erste Album seit Langem, während dessen Produktion ich kein einziges Mal gekifft habe»: Stress.
«Vor zwei Jahren habe ich mit dem Kiffen aufgehört. ‹Libertad› ist das erste Album seit Langem, während dessen Produktion ich kein einziges Mal gekifft habe»: Stress.
Bild: Sebastien Agnetti

Lieder funktionieren oft wie Apotheken: Welcher Song hilft dir gegen schlechte Laune?

Das funktioniert bei mir so nicht.

Wie bitte?

Habe ich schlechte Laune, höre ich meistens Musik, die mich noch mehr runterzieht. Sehr oft sind das alte Rap-Stücke. Was ich aktuell sehr oft höre, ist der Song «Losing Weight» von Cam'ron.

Gegen mangelndes Selbstbewusstsein?

Keine Musik.

Gegen Liebeskummer?

Keine Musik.

Von welchen Musiker*innen hast du am meisten gelernt?

Mit Stefanie Heinzmann hatte ich während des Openairs Gampel 2020 ein intensives Gespräch. Steffi hat gespürt, dass es mir nicht so gut ging. Irgendwann nahm sie mich zur Seite. Wir haben dann zwei Stunden lang zusammen gesprochen.

Über was?

Steffi meinte, wir Musiker*innen hätten einen sehr speziellen Job. Umso wichtiger sei es deshalb, dass wir mit uns selber nett umgehen würden. Sie fragte mich, wie viele Menschen in der Schweiz etwas Ähnliches wie ich machen würden? Niemand, antwortete ich. Genau deshalb, sagte Steffi danach, könnten viele Menschen auch nicht verstehen, wie eine Musikerin, ein Musiker funktionieren würde und welche Herausforderungen das Leben an uns stelle. Ich solle mich deshalb nicht von anderen unnötig unter Druck setzen lassen, denn die wüssten sowieso nicht, was ich tue.

Auf deinem neuen Album singst du mit Stefanie Heinzmann das Duett «Just Like I Love You».

Wir wollten schon lange mal einen Song zusammen aufnehmen. Steffi sagte immer: «Schreib einen Song und ich bin dabei.» «Just Like I Love You» schrieb ich zusammen mit Noah Veraguth. Als ich ihn das erste Mal Steffi vorspielte, war sie sofort begeistert und meinte: «Der perfekte Match.»

Bist du gut im Entschuldigen?

Ja.

Wann musstest du dich zum letzten Mal entschuldigen?

Letzte Woche bei einem Freund. Während einer Diskussion hatte ich meine Emotionen nicht richtig unter Kontrolle. Ich habe mich danach aber sofort entschuldigt.

Du bist ein Musiker, der sich oft und gern engagiert – etwa für Nachhaltigkeit. Warum tust du das?

Es ist der einzige Weg, damit wir Menschen noch eine Zukunft haben.

So grundsätzlich: Stehen wir mit dem Rücken zur Wand?

Ja. Aber der Grossteil der Menschheit benimmt sich leider so, als wäre noch alles total in Ordnung.

Dein Song «On a qu’une terre» (zu Deutsch: Wir haben nur eine Welt) erschien vor 15 Jahren. Was hat sich seither hier in der Schweiz getan in puncto Nachhaltigkeit?

Zu wenig. Das grosse Problem von uns Menschen ist, dass wir zu sehr auf uns selber schauen und es kaum schaffen, auch einmal etwas vorausschauend zu planen. Umso glücklicher bin ich, dass es heute junge Menschen wie Greta Thunberg gibt, die uns auf die Finger schauen.

In deinem Arbeits- und auch deinem Privatleben musst du oft reisen – auch mit dem Flugzeug. Wie lässt sich das mit einem nachhaltigen Lebensstil vereinbaren?

Ich versuche, einen möglichst umweltfreundlichen Lebensstil zu pflegen. Ich habe zwar noch ein Auto, weil ich es beruflich brauche, aber ich fahre immerhin eines mit Elektromotor. Mein Haus wird mit einer Erdsonde beheizt und LED-Leuchten sorgen für das Licht. Meinen Fleischkonsum habe ich aufs Minimum reduziert. Und ich kaufe deutlich weniger Kleider als noch vor ein paar Jahren.

Mir scheint, da gäbe es noch Luft nach oben.

Stimmt.

Würde der junge Andres sich an den heutigen Klimademos beteiligen?

Ja.

Findest du auch, die Schüler*innen würden gescheiter am Freitag in die Schule gehen, als mit den Klimastreiks den Verkehr in den Städten aufzuhalten?

Ich finde, die Schüler*innen machen genau das Richtige.

Welches war die letzte Demo, an der du mitgemacht hast?

Ich war letztes Jahr an der «Black Lives Matter»-Demo in Zürich.

Was würde der 14-jährige Andres über das Leben des heute 44-jährigen Andres denken?

Krass, dass das möglich ist.

«Das grosse Problem von uns Menschen ist, dass wir zu sehr auf uns selber schauen und es kaum schaffen, auch einmal etwas vorausschauend zu planen»: Stress.
«Das grosse Problem von uns Menschen ist, dass wir zu sehr auf uns selber schauen und es kaum schaffen, auch einmal etwas vorausschauend zu planen»: Stress.
Bild: Sebastien Agnetti

Welcher typische Schweizer Minderwertigkeitskomplex geht dir auf die Nerven?

Dass wir nicht genug künstlerisches Talent hätten.

Eine überraschend gute Seite der Schweizer*innen?

Viele Schweizer*innen motzen zuerst drei, vier Minuten lang, aber dann sind sie meistens mega lieb.

Bist du ein guter Verlierer?

Ich werde immer besser.

Wie wichtig ist dir, was andere über dich denken?

Nicht wichtig.

Eine unterschätzte Schweizer Band, für die du hier und jetzt gern etwas Werbung machen würdest?

Arma Jackson aus Lausanne ist supercool und ein toller Musiker. Leider haben sein Talent immer noch zu wenige Menschen entdeckt.

Der wichtigste Rat, den du einem/r jungen Rapper*in auf den Weg geben würdest?

Frage dich immer wieder: Warum machst du, was du gerade machst?

Was wird sein, wenn du mit deiner Musik einmal nicht mehr erfolgreich bist?

Dann werde ich einen anderen Job finden. Ich habe das grosse Glück, dass ich ein kreativer Mensch bin und Musik nicht mein einziges Interesse ist. Ich bin sicher, ich würde eine neue Leidenschaft finden, die mich glücklich macht.

Du fürchtest dich demnach nicht vor dem Tag, an dem niemand mehr deine Musik kaufen will?

Es wäre schon mühsam, weil ich extrem gern Musiker bin. Hättest du mich vor ein paar Jahren gefragt, wie lange ich als Rapper auf der Bühne stehen möchte, hätte ich gesagt, mit 40 ist meine Karriere vorbei. Aber jetzt bin ich 44 und finde: Cool, wenn ich noch bis 65 Musik machen darf.


Rapper Stress ist aktuell jeweils am Mittwoch, 20.15 Uhr, auf 3+ bei «Sing meinen Song – das Schweizer Tauschkonzert» zu sehen.

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