Absurde Lebenssituationen «Papi, ich bin ins WC gefallen!» – wie Homeoffice mit Kindern ist

dpa

25.3.2020

Videokonferenzen der Eltern stören oder die Wohnung auseinandernehmen – für Kinderbetreuung und Homeoffice braucht es gute Nerven.
Videokonferenzen der Eltern stören oder die Wohnung auseinandernehmen – für Kinderbetreuung und Homeoffice braucht es gute Nerven.
Bild: Getty Images

«Wohnzimmer-Safari» im Homeoffice, Kochen mit Kind während der Online-Konferenz: Sind Homeoffice und Erziehung parallel möglich? Auf jeden Fall führen sie zu mitunter absurden Szenen.

Kann man mit Kindern im Homeoffice berühmt werden? Ja! Das beste Beispiel dafür ist Robert Kelly, ein Politikprofessor. 2017 gab der Korea-Experte der BBC ein Skype-Interview – von zu Hause.

Leichtfertig hatte er dabei die Tür zu seinem Zimmer offen gelassen.

Seine vierjährige Tochter tanzte plötzlich ins Bild, Kelly schob sie ungelenk zu Seite. Kurz darauf rollte auch noch der kleine James in einem Laufstuhl herein. Das Chaos war perfekt und Kelly plötzlich ein Internetstar – der Clip vom «BBC-Dad» ging viral.

Seit einigen Tagen gibt es in der Schweiz viele Robert-Kelly-Situationen. Um die Ausbreitung des Coronavirus zu stoppen, sind manche Kitas, Kindergärten und Schulen geschlossen, bis auf Ausnahmefälle müssen Kinder zu Hause betreut werden. Viele Arbeitnehmer sind notgedrungen ins Homeoffice gewechselt. Mit den Kollegen wird per Video oder Telefon konferiert.

«Euch zuzugucken ist besser als Kino!»

Dabei kommt es mitunter zu absurden Szenen. Mitten in einer Telefonkonferenz ruft das Kind eines Kollegen aus dem Hintergrund: «Papa, ich bin ins WC gefallen!» Väter kämpfen in der Videoschalte mit dem Sohn auf dem Schoss um den Erstzugriff auf ein Laptop-Headset, um danach von Kollegen zu hören: «Euch zuzugucken ist besser als Kino!». Oder es zeigen sich gleich ganz neue Verhaltensmuster.



«Nach drei Tagen ‹Familien-Homeoffice› ist das neue Lieblingsspiel meiner Tochter ‹Arbeiten›», berichtet Moritz Merten, der eigentlich an einer Uni arbeitet. Seine fast zweijährige Tochter gibt ihm dabei zu verstehen, dass man sie bitte in Ruhe lassen solle – sie habe etwas zu erledigen. Hat sie sich so abgeguckt. «Dann tippt sie auf einer alten Tastatur rum, die wir ihr mal als Spielzeug gegeben haben», sagt Merten, von Beruf Soziologe. «Bin auf die langfristigen Sozialisationseffekte gespannt.»

Nervlich und psychisch eine Herausforderung

Tatsächlich hat das Coronavirus zu einem nie da gewesenen Sozialexperiment geführt. In grosser Zahl müssen sich Familien nun komplett neu organisieren, Arbeit und Kindererziehung finden plötzlich an einem Ort statt. Das ist nicht in erster Linie nur lustig, sondern ein enormer Kraftakt.

«Das Homeoffice ist schon eine Herausforderung ohne Kind. Aber mit Kind – je nach Alter – ist es hochproblematisch», sagt der Arbeitspsychologe Frank Berzbach. Er selbst hat eine neunjährige Tochter. Das gehe noch, sie könne sich auch mal selbst beschäftigen. Bei kleineren Kindern ist das aber nicht möglich. «Das ist dann so, als führe man gleichzeitig zwei Jobs aus», sagt Berzbach. Ist man zu zweit, kann immerhin einer aufpassen. Was aber viel Organisation verlangt. «Das wird nervlich und psychisch eine grosse Herausforderung werden», sagt Berzbach. «Für alle.»



Wer kann, versucht dem arbeitspsychologisch düsteren Szenario mit Witz und Kreativität zu begegnen. In Eltern-WhatsApp-Gruppen macht die Anleitung für eine «Wohnzimmer-Safari» die Runde, bei der mit Möbeln und Decken eine Art Erlebnisspielplatz im Wohnzimmer entsteht. Klingt in der Theorie toll. Die Frage ist, ob man dafür die Nerven hat, wenn man weiss, dass man in zwei Stunden ein wichtiges Projekt abgeschlossen haben muss. Oder die Zeit. Eigentlich müsste man ein Chamäleon sein – ein Auge auf den Bildschirm, eines auf das Kind.

Es fehlen Fluchtmöglichkeiten

Ganz zu schweigen davon, dass viele Wohnungen gar nicht dafür ausgestattet sind, dass sich ein oder sogar zwei Leute einen Arbeitsplatz einrichten. Viele Eltern hocken aktuell gekrümmt vor einem Laptop am Küchentisch. Perspektivisch dürfte aus der Coronavirus-Krise eine Rücken-Krise werden.

Und: Es fehlen Fluchtmöglichkeiten. Das Virus hat das öffentliche Leben vor den Haustüren in weiten Teilen zum Erliegen gebracht – Spielplätze, Cafés und viele Geschäfte haben geschlossen oder sollten Tabu sein. Damit fehlt der Ausgleich. Auch die Kinder seien davon genervt, meint Psychologe Berzbach. «Es ist ja nicht so, dass Kinder primär gerne unter Erwachsenen sind.»

Wäre es doch nur wieder 2017. Da ging nur ein Video von einem Vater im Homeoffice viral. Und kein Coronavirus.

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